Redaktionskonferenz Deutsche Welle 1997: Der Auftrag war klar und knapp: "In Duisburg streiken die Metaller, fahren Sie morgen mal raus, machen ein Stück über die Position der Gewerkschaft und über die Auswirkungen auf das Unternehmen." Man wusste, was zu tun war: Durchlesen der Agenturen und dann der Gang ins Archiv. Hier im Erdgeschoss standen kilometerlange Regale mit Aktenordnern. Männer und Frauen, die immer etwas staubig wirkten und selbst, wenn sie jung waren, alt, herrschten über das System der ausgeschnittenen und aufgeklebten Zeitungsartikel. Sie fanden auch bei vageren Angaben stets etwas zum Thema. Diesmal also bitte den Ordner zum Thema "IG-Metall und Streiks". Außerdem: Blick in den OECKL, um die Telefonnummern der regionalen Gewerkschaftszentrale und des Gesamtmetallverbands heraus zu finden. Die Interviews in Duisburg wurden dann auf einem Schuhkarton großen Profi-Kassettenrekorder aufgenommen. Auf der Rückfahrt nach Köln überlegte man dann beim Durchhören der Kassette, welche "takes" bei welcher Zählereinstellung sich für den Drei-Minuten-Beitrag eignen würden. Die Produktion im Studio wurde auf Band aufgezeichnet und um 16 Uhr 15 lief der Beitrag im Wirtschaftsmagazin: Einen Tag nach der Beitragsidee und unter Mithilfe von Archivaren, einem Tontechniker und einer Aufnahmeleiterin.
Frühjahr 2006. Wieder wird gestreikt - diesmal die Ärzte. Der Redakteur schaut am Computer noch einmal in die Agenturmeldungen, "googelt" im Internet die Telefonnummern und Eckdaten seiner potenziellen Ansprechpartner. Im weltweiten Netz findet er den einen oder anderen interessanten Artikel mit vielleicht so guten Formulierungen, dass er sie besser nicht hätte machen können und produziert nach den mit dem Streichholzschachtelgroßen Profi-MP3-Player geführten Interviews den Beitrag am Laptop fertig. Per web-basiertem FTP-Client wird der 2'30er in den Sendeablaufplan seines Senders eingestellt. Zeitaufwand für alles: Knapp fünf Stunden.
Persönliche Kontakte nicht ersetzbar
In den vergangenen neun Jahren hat sich nicht nur im elektronischen Journalismus die Welt radikal verändert. Grund dafür ist vor allem das Internet, das eine immer schnellere Recherche ermöglicht. Ein Blick in die Suchmaschine Google bringt umfangreiche Hintergründe, Kontaktdaten und verschiedene Positionen zu fast jedem Thema in Sekundenschnelle. Eine Schnelligkeit, die sowohl Folge eines immer höheren Aktualitätsdrucks ist, als auch umgekehrt genau diesen wieder erhöht. Längst ist das Internet die erste Quelle für Recherchen. Dennoch: Im politischen Berlin zählt auch etwas, was eben weder Internet noch E-Mail ersetzen können: Das persönliche Gespräch. Kontaktpersonen anrufen, Pressesprecher löchern, sich mit Kollegen austauschen, all das also, was für die Recherche über die Hintergründe des jüngsten politischen Skandals, der neuesten Entwicklungen erforderlich ist, funktioniert nach wie vor über das Telefon, das Treffen in Lokalen im Regierungsbezirk. Politischer Journalismus ist auch im digitalen Zeitalter ohne den persönlichen Kontakt undenkbar. Geheuchelt ist dabei die Klage mancher Politiker, dass Bonn nicht Berlin ist und sich manches Gespräch im Hintergrundkreis am nächsten Tag in der Zeitung findet. Sicher, die Zeiten haben sich geändert, aber auch die Politiker haben sich geändert und nutzen die Medienszene gezielter als einst am Rhein. So manches Hintergrundgespräch "unter drei" ist oft nur die getarnte Aufforderung an die Journalisten, eine Indiskretion zu begehen. Längst ist mancher Hintergrundkreis zu einer Art inoffizieller Pressekonferenz geworden. Der Schnelligkeitswettbewerb unter den Medien hat auch die politische Ebene erreicht.
Und genau mit diesem härteren Wettbewerb wächst beim Journalisten die Gefahr, nur noch alles "ganz schnell" zu recherchieren. Längst haben auch die Pressestellen erkannt, wie sie ihre Statements per E-Mail gezielt in die Redaktionen verschicken können. Sie bemühen sich zu bestimmten Suchbegriffen bei Google eine Position unter den ersten zehn Einträgen zu bekommen, um sicher zu gehen, dass der Journalist dann auch diese Seiten anklickt. Per paste und copy von einer Site auf hunderte andere Sites übertragene Informationen zeigen, dass in vielen Fällen immer wieder nur auf eine Quelle zurückgegriffen wurde. Das Internet bietet da dann oft nur scheinbar eine Vielfalt an Informationen. Der Zeitdruck bei den elektronischen Medien und bei den Online-Journalisten erhöht auch zwangsläufig die Fehlerhäufigkeit. So manches Gerücht wird dann gerne schnell als Tatsache geschildert, so manche bevorstehende Geiselfreilassung im Irak unter Berufung auf "politische Kreise" schon online publiziert.
Die Veränderungen bei den elektronischen Medien unter dem massiven Einfluss der digitalen Revolution sind aber längst nicht nur negativ. Positiv gesehen, verstärkt sich mit mehr Internet-Zugängen für den Bürger auch dessen politische Online-Kommunikation, ohne dass die politische Offline-Kommunikation abnimmt. Das Online-Medium "Politik digital" stellt daher Mut machend und optimistisch fest, dass die Bürger das Netz auch dafür nutzen, sich mehr als bisher politisch zu informieren. Informationen und Kritik gehören aber genau zu den klassischen öffentlichen Aufgaben des politischen Journalismus und es kann nicht falsch sein, wenn der Journalist für eine Leserschaft schreibt, die sich eben mehr und mehr versucht, auch ein eigenes Bild zu verschaffen. Aufgabe des Journalisten ist es also mehr denn je, sich umfangreich zu informieren, kritische Distanz zu bewahren und Fakten zu präsentieren.
Der Autor ist Leitender Redakteur der "Netzeitung" in Berlin.
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