Das Parlament: Das Tribunal gegen die noch lebenden Verantwortlichen des Völkermords in Kambodscha unter dem Pol-Pot-Regime soll Anfang 2007 offiziell beginnen. Was geschieht in der Vorbereitung auf dieses Tribunal hier in Phnom Penh?
Michelle Lee Es gibt ein Spezifikum des kambodschanischen Rechtssystems: Der Prozess beginnt bereits, wenn die Ankläger ihre Untersuchungen aufnehmen, auch wenn das Tribunal damit noch nicht offiziell eröffnet ist. Das wird Anfang 2007 der Fall sein. Die Ankläger arbeiten in dieser Zeit eng mit den Ermittlern zusammen. Dann muss entschieden werden, ob ein Fall vor dem Tribunal verhandelt wird oder nicht. Dieses Prozedere kann lange dauern, eventuell sogar länger als ein Jahr. Aber erneut: Die Arbeit beginnt mit dem Eintreffen der Staatsanwälte.
Das Parlament: Die Vereinten Nationen haben für das Kambodscha-Tribunal einen zeitlichen Rahmen von drei Jahren festgelegt. Reicht das Ihrer Meinung nach aus, um alle Verbrechen der Roten Khmer vor Gericht zu bringen und diese auch zu sühnen?
Michelle Lee : Die zeitliche Vorgabe wird vom Budget diktiert. Die Mitgliedstaaten haben für die Arbeit des Tribunals rund 56,3 Millionen Dollar festgesetzt. Diese Summe bestimmt über die Dauer des Verfahrens und auch darüber, wie vielen Personen der Prozess gemacht werden wird. Der zeitliche Rahmen erlaubt es, fünf bis zehn Personen anzuklagen, die für die Gräueltaten zwischen dem 17. April 1975 und dem 8. Januar 1979 verantwortlich zu machen sind.
Das Parlament: Sind Sie der Meinung, dass die Mittel für dieses Tribunal zu gering veranschlagt worden sind?
Michelle Lee Ich würde nicht sagen: Das Budget ist zu klein; es ist, ja, es ist ziemlich begrenzt. Viele wichtige Aktivitäten können nicht abgedeckt werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben viel zu wenig Geld, um die Menschen, die unter den Roten Khmer gelitten haben, im Vorfeld über das Tribunal zu informieren. Wenn jetzt tausende von Dorfbe-wohnern aus allen Provinzen Kambodschas hierher gebracht werden, um ihnen zu zeigen, dass und wo ihre Peiniger von einst abgeurteilt werden sollen, dann kann diese wichtige Informationsarbeit nicht von uns bezahlt werden. Finanziert wird dies vom Documentation Center of Cambodia. Für uns ist es daher wichtig, mit der Zivilgesellschaft hier im Lande zusammenzuarbeiten, auch mit den vielen Nichtregierungsorganisationen. Ein weiteres Beispiel: Wir müssen die Zeugen dieses Tribunals nicht nur schützen, sondern wir müssen sie auch unterstützen. Wir haben zu geringe finanzielle Mittel, um die Zeugen psychologisch zu betreuen oder ihnen unter Umständen auch medizinische Hilfe angedeihen zu lassen. Also müssen wir versuchen, solche Gelder über Sponsoren zu erhalten.
Das Parlament: Recht kann nur gesprochen werden, wenn eine ausreichende Zahl von Zeugen zur Verfügung steht. Ist das nach so langer Zeit der Fall?
Michelle Lee: Ich muss auch hier auf das Budget zurückkommen, dessen Umfang sich auch auf die Zahl der Zeugen auswirkt. Das Tribunal rechnet mit einer vergleichsweise geringen Anzahl von Zeugen, nämlich rund 150.
Das Parlament: In Kambodscha gibt es immer noch zahlreiche Rote Khmer, deren Taten nicht bekannt sind und die daher unbehelligt im Dschungel leben. Weil dies so ist, könnten Zeugen des Prozesses durch ihre Enthüllungen in Gefahr geraten. Wer sorgt für die Sicherheit dieser Zeugen?
Michelle Lee: Für die Sicherheit der Zeugen ist die kambodschanische Regierung verantwortlich. Diese Sicherheit zu gewährleisten, ist bereits vor Beginn des Tribunals außerordentlich wichtig. Nämlich dann, wenn die ersten Befragungen beginnen, wenn die ersten Interviews mit den Zeugen geführt werden. Wir müssen sehr eng mit der kambodschanischen Seite zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass sie ein geeignetes und umfassendes Programm zum Schutz der Zeugen entwickelt hat. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass die Schweizer Regierung angeboten hat, beim Training der Polizei zu helfen, um den bestmöglichen Zeugenschutz zu garantieren. Es liegt auf der Hand, dass die Polizei hier im Land nicht über die Erfahrung verfügt, wie dies in anderen Ländern der Fall ist.