Jungclaussen ist durch seine Artikel und Kommentare über Politik und Wirtschaft in britischen Zeitungen und in Radio- und Fernsehsendungen der BBC hervorgetreten. In Deutschland wurde er durch seine Beiträge für "Die Zeit" und "Cicero" bekannt, auch durch den Herbert-Quandt-Medien-Preis 2004, der ihm und Uwe J. Heuser für ihre Studie über die Erfolge und Fehler bedeutender Unternehmer der Wirtschaftsgeschichte verliehen wurde.
Derselbe Zusammenhang interessiert Jungclaussen, wenn er der Entwicklung der Familien Amsinck, Burchard, Münchmeyer und Vorwerk nachgeht, die jeder Hamburger kennt und deren verwandtschaftliche Verbindungen vielen geläufig sind. Die ältesten der beschriebenen Clans sind die Amsincks, die 1576 als protestantische Glaubensflüchtlinge aus Holland in die Stadt gekommen waren. Sie brachten ihre weltweiten Verbindungen als Tuchhändler mit, weiteten ihren Handel auf andere Bereiche aus und beteiligten sich an Bankgeschäften. Noch heute gehören sie zum Geschäftsleben dieser Stadt, in der sie in der siebten Generation gesellschaftlich fest verankert sind.
Die anderen Familien verdanken ihren Aufstieg dem Überseehandel und dem wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt im 19. Jahrhundert. Sie sind ebenfalls nicht alle Urhamburger. So Georg Friedrich Vorwerk, der 1807 aus Braunschweig zur Ausbildung nach Hamburg kam, seine eigenen Firmen gründete und dann vor allem durch den Chile-Handel sein Geld machte. Auch die Vorwerks gehörten lange Zeit zu den einflussreichsten Familien Hamburgs. Weit über Hamburg hinaus bekannt wurde die Familie Münchmeyer, Außenhandelskaufleute, deren erste Firma 1846 gegründet worden war. Vor allem Alwin Münchmeyer (1908 - 1990) gehörte zu den einflussreichsten Privatbankiers der Bundesrepublik und beriet sechs ihrer Kanzler.
Vor allem aber ist es die alte Hamburger Familie Burchard, die hier hohes Ansehen genießt. Mit ihr beginnt auch das Buch von John F. Jungclaussen, indem er den Auftritt Hamburgs beim 60. Thronjubiläum von Kaiser Franz Josef I. von Österreich-Ungarn in Schloss Schönbrunn am 2. Dezember 1908 beschreibt: Johann Heinrich Burchard (1852 - 1912) einzig im schlichten Bürgermeisterornat als Vertreter einer Freien Stadt im Kreise der aufgetakelten Fürsten in Uniform. In seine Amtszeit fielen die Eröffnungen des Elbtunnels, des Hauptbahnhofs, der Musikhalle und der Kunsthalle - alles Zeichen einer prosperierenden Metropole, die auch durch zahlreiche private Stiftungen hervortrat.
Das Buch ist aus dem Material der Oxforder Dissertation des Autors bei Niall Ferguson hervorgegangen und dementsprechend gut recherchiert. Wer die Quellen sucht, findet sie in dem umfangreichen, den Kapiteln folgenden Anmerkungsteil, der ein Literaturverzeichnis entbehrlich macht. Der Autor wertet die gängigen Geschichtswerke und wissenschaftlichen Unter- suchungen aus, um die politische und wirtschaftliche Geschichte Hamburgs als Rahmen dieser Familiengeschichten zu skizzieren. Ihr gesellschaftliches Umfeld rekonstruiert er anhand öffentlicher und privater Archive, Briefwechsel und Erinnerungsaufzeichnungen.
Jungclaussen stellt detailgenau dar, wie diese Familien ihren wirtschaftlichen und politischen Aufstieg bewerkstelligten, wie sie gelebt und sich untereinander gesellschaftlich verbunden haben. Ihn interessiert dabei besonders der sich langsam anzeigende Niedergang dieser Familien, wie ihn auch Thomas Mann in den "Buddenbrooks" vor Augen hat. Dem Autor gelingt so ein anschauliches Bild des vor allem im 19. Jahrhundert stetig wachsenden Einflusses dieser Dynastien auf die Geschicke der Stadt, dessen schleichenden Verlust im 20. Jahrhundert sie vergeblich aufzuhalten suchten. Er begann mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871, das den Zollstatus Hamburgs grundlegend veränderte, setzte sich mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung, der Entwicklung der Demokratie und den wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen nach dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik fort und beschleunigte sich in der NS-Zeit und durch den Zusammenbruch nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ganz besonders liegt Jungclaussen daran, an diesen Familien zu zeigen, wie sich das Bürgertum auf die Nationalsozialisten eingelassen hat, sich mit ihren Zielen verbündete, sie dezent unterstützte oder zumindest die Augen verschloss, um sich auf ihr privates Leben zurückzuziehen. Anhand der einschlägigen Literatur räumt der Autor auch mit dem lang gehegten Hamburger Vorurteil auf, die Stadt sei bei der Umsetzung der Gleichschaltung, der Aussonderung politischer Gegner oder der Enteignung und Verfolgung der Juden weniger aktiv gewesen als andere. Sowohl Gauleiter Karl Kaufmann als auch der einer angesehen Hamburger Familie entstammende Bürgermeister Carl Vincent Krogmann haben sich als willfährige und selbst noch nach dem Zusammenbruch unbelehrbare Handlanger des NS-Regimes erwiesen.
Das Buch ist lebendig geschrieben, übersichtlich aufgebaut und mit interessanten Fotos bebildert. Stammtafeln und ein ausführliches Register erleichtern die Lektüre. Wer sich die vielen Monografien über den hanseatischen Bürgeradel ersparen will, sollte es unbedingt lesen.
John F. Jungclaussen: Risse in weißen Fassaden. Der Verfall des Hamburger Bürgeradels. Siedler Verlag, München 2006; 368 S., 24,95 Euro