Einer dieser vom CIA Verschleppten ist der Deutsch-Libanese Khaled El-Masri. Dieser Fall, den die drei Oppositionsfraktionen im Bundestag für nach wie vor ungeklärt halten, war mit ein Grund für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Ungeplant ruft die brisante Nachricht aus Brüssel die Arbeit dieser Kommission wieder in Erinnerung: Deren Arbeit nämlich ist wegen des sich zuspitzenden Skandals um die Bespitzelung von Journalisten durch den BND unversehens in den Hintergrund getreten.
Auch das jüngste Treffen des Gremiums steht zunächst im Schatten der neuen Affäre. Schließlich wird in Berlin eifrig diskutiert, ob sich der Untersuchungsausschuss auch mit diesem Thema befassen soll. Dessen Vorsitzender Siegfried Kauder (CDU) hat die Debatte mit angestoßen: Wenn die Ausforschung von Medienschaffenden auf diesem Wege aufgearbeitet werden solle, dann nicht nur durch einen neuen, sondern durch den bereits gegründeten Untersuchungsausschuss. Aber ob es dazu kommt, hängt von FDP, Linkspartei und Grünen ab. Diese Fraktionen nämlich müssten, wie Kauder erläutert, einen entsprechenden Antrag stellen. Prinzipielle Einwände gegen eine solche Erweiterung des Untersuchungsauftrags hat SPD-Obmann Thomas Oppermann nicht.
Doch das wird fürs erste nicht passieren. Die Opposition setzt darauf, die BND-Bespitzelungsaktionen im Parlamentarischen Kontrollgremium, im Innenausschuss des Bundestags und im Plenum der Volksvertretung zu durchleuchten. Allerdings behält man sich die Einschaltung des Untersuchungsausschusses ausdrücklich vor. Ob das notwendig sei, sagt der FDP-Abgeordnete Max Stadler mit leicht drohendem Unterton, "hängt von der Auskunftsfreudigkeit der Regierung ab". In diesem Sinne äußert sich auch der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Kein Zweifel: Auf diese Weise will die Opposition die Regierung unter Druck setzen.
Jedenfalls kann der Ausschuss nun endlich mit der Sacharbeit beginnen, die ja recht umfangreich anmutet: Ins Blickfeld nehmen soll die elfköpfige Runde neben dem Fall El-Masri geheime CIA-Flüge mit entführten Terrorverdächtigen über deutschem Territorium zu Geheimknästen, Verhöre solcher Gefangener durch deutsche Beamte im Ausland sowie den Einsatz von BND-Agenten in Bagdad während des Irak-Kriegs.
Die Arbeit habe inzwischen "enorm an Fahrt gewonnen", meint Oppermann. Immerhin wurden laut Kauder 40 Beweisanträge beschlossen. Man sei endlich "aus den Startblöcken gekommen", assistiert Stadler. Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer lobt den "kollegialen Ton" während der Beratungen, die bislang hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Zunächst wird die Entführung El-Masris aufgearbeitet. Der einst fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratene Ulmer soll am 1. Juni selbst aussagen.
Ob das kollegiale Einvernehmen, das im Ausschuss bei der Einigung auf Verfahrensfragen leicht fiel, noch lange anhält? In Zwischentönen deuten sich bereits Konflikte an. Oppermann prognostiziert, die Analyse des Falls El-Masri könne man vielleicht schon Ende Juni abschließen - ein Einschätzung, die auch damit zu tun haben mag, dass Union und SPD das gesamte Thema ohnehin für weitgehend aufgeklärt halten und die Tätigkeit des Ausschusses niedrig hängen möchten. Für die Opposition will sich Stadler auf ein solches Datum indes keineswegs festlegen: Die Verschleppung El-Masris sei eine "äußerst vielschichtige" Sache, da werde man wohl mehr Zeit benötigen.
Der Deutsch-Libanese war Ende 2003 bei einer Reise von Ulm nach Mazedonien in dem Balkanland verhaftet und über drei Wochen in einem abgedunkelten Hotelzimmer festgehalten worden, bevor er in ein Gefängnis nach Afghanistan gebracht wurde. Dort wurde er von CIA-Agenten verhört, unter denen laut El-Masri auch ein gewisser "Sam" war, der einwandfrei Deutsch sprach. Im Mai 2004 wurde El-Masri nach Albanien zurückgeflogen und freigelassen.
Wie heikel dieser Fall ist, beleuchtet derzeit ein Gerichtsverfahren im US-Staat Virginia: Die Eröffnung des dort von El-Masri wegen seiner Entführung gegen den früheren CIA-Boss George Tenet und mehrere seiner Agenten angestrengten Strafprozesses wurde abgelehnt. Der Richter entschied im Sinne der US-Regierung, die unter Hinweis auf das aus dem Kalten Krieg stammende Geheimhaltungsprivileg die Niederschlagung dieses Verfahren beantragt hatte. Begründung: Würden Geheimdienstaktionen im Ausland publik, gefährde dies die nationale Sicherheit.
Stadler beschreibt einige der offenen Stellen in dem mysteriösen Puzzle. Wie kam es überhaupt zu der Verschleppung El-Masris, wie spielten sich deren Details ab? Wer gab wem die entscheidenden Tipps? Was wusste die damalige Bundesregierung? War sie über die eventuelle Verwicklung hiesiger Länderbehörden in diesem Fall informiert? Wie hat Berlin in dieser Angelegenheit gegenüber den USA reagiert? Bei einer Reise nach Mazedonien stießen auch Mitglieder des CIA-Ausschusses im EU-Parlament auf ungeklärte Aspekte bei der Verschleppung El-Masris - etwa bei der Zusammenarbeit Skopjes mit der CIA oder bei der Frage, wie der Deutsch-Libanese nach seiner Festsetzung im Hotel außer Landes gebracht worden ist. Die Erkenntnisse der Brüsseler Rechercheure sollen in die Arbeit der Berliner Kommission mit einfließen.
Richtig interessant wird es, wenn Zeugen öffentlich auftreten. Für die FDP erwägt Stadler, eventuell bereits beim Komplex El-Masri Ernst Uhrlau und August Hanning als derzeitigen und früheren BND-Präsidenten, Ex-Innenminister Otto Schily sowie Außenminis-ter und Ex-Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier zu befragen. Ströbele erhofft sich Nützliches auch von Angehörigen der deutschen Botschaft in Mazedonien. Der Grüne will sogar beantragen, Daniel Coats zu laden: Der US-Botschafter hatte Schily über den Irrtum der CIA im Falle El-Masris vertraulich unterrichtet.
Bei den Oppositionsvertretern, die im Vergleich mit den Kollegen aus der Koalition weit offensiver agieren, ist das Bestreben erkennbar, möglichst rasch die politisch Zuständigen ins Kreuzverhör zu nehmen. Das kann nicht erstaunen, sollen doch neben der Aufklärungsarbeit im Detail vor allem die politisch Verantwortlichen angeklagt werden. Für die Grünen ist dieses Manöver nicht frei von Risiken: Ob El-Masri, CIA-Flüge, Vernehmungen im Ausland oder BND-Einsätze im Irak-Krieg - damals regierten die Grünen mit, und mit Außenminister Joschka Fischer saß einer der ihren an entscheidenden Schalthebeln.