Es geht munter zu an diesem 19. Mai im Bundestag. Vom "schwersten Angriff auf die Pressefreiheit seit der deutschen Einheit" spricht Ulrich Maurer von der Linkspartei in der Aktuellen Stunde über die BND-Affäre wegen der jahrelang betriebenen Ausforschung von Journalisten. Die "Grenzen des demokratischen Rechtsstaats" seien verwischt worden. Maurer will den BND nicht mit der DDR-Stasi gleichsetzen, sieht aber "verblüffende Parallelen" zu den Anwerbemethoden von Spitzeln unter Medienschaffenden - ein Vergleich, den Kanzleramts-Minister Thomas de Maizière (CDU) scharf zurückweist. Der FDP-Abgeordnete Max Stadler konstatiert eine "Krise des Grundwertebewusstseins", es sei für ihn unvorstellbar gewesen, dass der BND so viele Medienschaffende observiert hat. Der Grüne Hans-Christian Ströbele prangert einen "Abgrund an Bespitzelung in Journalistenkreisen" an, dort breite sich nun schleichend "das Gift des Misstrauens" aus.
De Maizière bedauert Rechtsverstöße durch den BND, es habe einige solche Fälle gegeben. Von einer "umfassenden Gefährdung der Pressefreiheit" könne jedoch keine Rede sein. Ausgelöst hat den Wirbel ein in Auszügen publik gewordener Bericht des Ex-Bundesrichters Gerhard Schäfer, den das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) in Auftrag gegeben hatte. Dessen Vorsitzender Norbert Röttgen (CDU) prangert diese Indiskretion als "strafbaren Geheimnisverrat" an. Olaf Scholz (SPD) kritisiert ein gewisses "Milieu von Schlapphüten", sagt aber, die unerlaubte Veröffentlichung gefährde die PKGr-Arbeit.
Diese teils erregte Diskussion darf als Vorspiel gelten für all die Aufregungen, die diese Affäre noch provozieren wird. Der nächste Höhepunkt ist für Mittwoch programmiert: Dann will das PKGr den Schäfer-Bericht offenlegen - sofern es zu dieser mit Spannung erwarteten Publizierung tatsächlich kommt, und wenn ja, in welchem Umfang: Einige der bespitzelten Journalisten wehren sich unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte dagegen, die BND-Vermerke über ihr Berufs- und Privatleben auf dem Markt auszubreiten. Die Kontroverse um Schäfers Expertise vermengt sich mit dem Streit über politische Verantwortlichkeiten und personelle Konsequenzen wegen der auch von BND-Chef Ernst Uhrlau eingeräumten früheren Rechtsverstöße seiner Behörde sowie mit dem Konflikt über eine Reform der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste zu einer geballten Ladung Sprengstoff.
Die Ausforschungen von Journalisten durch den BND geißelt die frühere FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als "Stasimethoden". Vom BND als einem "Sauladen" spricht drastisch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast - was auf den energischen Protest bei de Maizière stößt. Selbst wenn man sich im Regierungslager dezenter äußert als die angriffslustige Opposition, so erklärt doch auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU), der Geheimdienst habe seine Befugnisse "offenbar deutlich überschritten". Der Kieler SPD-Innenminister Ralf Stegner: "Das ist keine Lappalie."
Seit den 90er-Jahren bis Ende 2005 hat nach allem, was man weiß, der BND Journalisten ausspioniert und sogar Medienschaffende zum Ausschnüffeln von Kollegen angestiftet. Die Pullacher wollten so Lecks in den eigenen Reihen aufspüren, aus denen brisante Interna nach außen drangen. Die Namen und die Details, die über TV-Bildschirme flimmern und durch Zeitungen wandern, legen Abgründiges offen: Das Gefühl der Betroffenheit bei den Ausgeschnüffelten lässt sich nachvollziehen. Wobei auch die journalistischen BND-Zuträger, die ein Doppelspiel gegenüber Kollegen treiben, auf der Anklagebank sitzen. Bei den Medien sei "Selbstkritik nötig", mahnt de Maizière.
In der aufgeladenen Situation spricht viel für weitgehende Transparenz, zu der sich das PKGr mit seinem Beschluss zur Offenlegung des Schäfer-Berichts ja auch entschloss. Nur so sei eine "vernünftige Debatte" möglich, betont Olaf Scholz. Der BND unterstützt die Publizierung ebenso wie Bernd Schmidbauer (CDU), der in die Kritik geratene einstige Geheimdienstkoordinator unter Kanzler Helmut Kohl. Der CDU-Abgeordnete Siegfried Kauder warnt jedoch vor einem solchen Schritt, der die Arbeit des Geheimdienstes beeinträchtigen könne. Und auch einige der ausspionierten Journalisten legen eben ein Veto ein - jedenfalls bei Passagen über ihre eigene Person. Aber angesichts des brodelnden Kessels wird der Druck zur Publizierung wohl steigen. PKGr-Mitglied Ströbele heizt die Erwartungen an: "Es wird Überraschungen geben."
Mittlerweile sind neue Vorwürfe aufgetaucht. Der BND soll sogar Telefonate von Journalisten abgehört haben - was Pullach dementiert. Laut "Stern" wurden indes in der früheren Wohnung eines Autors des Magazins Bauteile gefunden, die für Lauschangriffe genutzt werden können. Zudem sollen nach ARD-Recherchen BND, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst illegal kooperiert haben.
Derweil spitzt sich der Streit über Konsequenzen zu. Die Regierung hat bereits angeordnet, dass die drei Geheimdienste künftig keine Medienschaffenden mehr als Quellen führen dürfen. Glaubt man den Erklärungen der früheren und heutigen BND-Spitze sowie Schmidbauer, so scheint für die dubiosen Vorgänge von den "Oberen" niemand verantwortlich zu sein. Die Regierung spricht BND-Präsident Uhrlau und dessen Vorgänger August Hanning, mittlerweile Innen-Staatssekretär, das Vertrauen aus. Aber liegt die Schuld nur bei nachgeordneten Kräften, die zu weit gingen? Was wussten, was taten Hanning und der 1996 an die BND-Spitze berufene Hansjörg Geiger? Schmidbauer räumt ein, über Kontakte des früheren BND-Direktors Volker Foertsch zu Journalisten informiert gewesen zu sein, will die Ausforschung von Medienschaffenden aber nicht "angeordnet oder gebilligt" haben. Aus dem Fenster hängt sich FDP-Chef Guido Westerwelle: Hanning sei wohl "als Bauernopfer schon ausgeguckt".
Mit seinem Untersuchungsauftrag an Schäfer hat das PKGr die Aufklärung ins Rollen gebracht, was die Kontrolleure als Erfolg verbuchen können. Den Anstoß gaben allerdings im Herbst 2005 erste Medienberichte über umstrittene BND-Aktivitäten. Stadler klagt denn auch, dass das Gremium über Missstände bei den Geheimdiensten oft erst mit Verspätung unterrichtet werde. Die Liberalen haben deshalb im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, um es Mitarbeitern der Geheimdienste künftig zu ermöglichen, sich ohne Einschaltung von Vorgesetzten mit ihrer Kritik direkt an das PKGr wenden zu können. Ströbele plädiert dafür, die Öffentlichkeit künftig mehr über die Arbeit des PKGr zu informieren. Das PKGr bat im Übrigen Bundestagspräsident Norbert Lammert, angesichts der Veröffentlichung von Auszügen des Schäfer-Berichts eine Strafverfolgung wegen Geheimnisverrats zu ermöglichen. Freilich macht sich der Vorsitzende Röttgen über die Erfolgsaussichten solcher Ermittlungen "keine Illusionen".