Auf die Minute genau trifft der Unionsabgeordnete Siegfried Kauder im Sitzungssaal 4.900 im Paul-Löbe-Haus zur ersten nicht-öffentlichen Arbeitssitzung des BND-Untersuchungsausschusses ein. Es ist voll und unruhig. Denn ausnahmsweise dürfen für wenige Minuten auch Fotografen und TV-Teams im Erdgeschoss des kreisrunden Saals ihre Arbeit tun. Schließlich sollen alle Abgeordneten des neuen Gremiums zu ihrem Recht kommen, in den Nachrichtensendungen vertreten zu sein. Kauder ist keiner, der gerne Zeit verplempert. Er bittet darum, die Plätze einzunehmen. Zeitpläne einzuhalten, ist ihm grundsätzlich wichtig. Andernfalls komme der ganze Tag aus dem Tritt, findet er. Der Vorsitzende, auf den sich erwartungsgemäß die meisten Kameras richten, wirkt entspannt und gelassen. Das kann der Rechtsanwalt auch sein. Denn seine neue Rolle ist eher die eines Moderators. In Untersuchungsausschüssen gibt es keine Richter und keine Angeklagten. Der Jurist ist in diesem Ausschuss eben nicht mit einem Vorsitzenden Richter einer Großen Strafkammer zu vergleichen. Er hat eben nicht die Möglichkeiten einer so genannten Amtsermittlung. "Ich kann nicht von mir aus Ermittlungen einleiten, nicht von mir aus Akten beiziehen. Da bedarf es immer eines Beschlusses des Untersuchungsausschusses", unterstreicht er. Und das bedeutet für den Parlamentarier eben mehr zu moderieren als zu führen. Kauder tut dies aus einer komfortablen Situation heraus. Er weiß: "Ich bin natürlich zugegebenermaßen in der moderaten Lage, dass ich als Mitglied der CDU-Fraktion nicht darauf spekulieren brauche, was unter dem Strich bei diesem Ausschuss herauskommt." Denn die Untersuchungen des BND-Einsatzes in Bagdad während des Irak-Krieges, der geheimen CIA-Flüge und der Verhöre von Terrorverdächtigen im Ausland beziehen sich auf die Zeit der rot-grünen Vorgängerregierung. Die Frage, ob nicht doch wegen der Großen Koalition eventuell eine gewisse Rücksichtnahme erwartet werden könnte, stellt sich ihm nicht. "Ich habe nicht die Verpflichtung, Rücksicht zu nehmen. Ich bin Vorsitzender dieses Ausschusses und habe den Ermittlungsauftrag umzusetzen. Das nehme ich auch Ernst."
Er hat sich vorgenommen, den Ausschuss neutral zu führen. Nach der ersten nur rund einstündigen Sitzung, in der Beschlüsse zu Verfahrensfragen und zur Akteneinsicht gefasst worden sind, zeigte sich Siegfried Kauder im Interview mit "Das Parlament" von seiner eingeschlagenen Linie überzeugt: "Es hat sich, glaube ich, sehr gut bewährt, dass ich nicht ganz formaljuristisch an dem Untersuchungsausschussgesetz dran bleibe, auf Mehrheiten schiele, um schnell voranzukommen, sondern immer die einvernehmliche Lösung suche." Doch dass die Arbeit kein Spaziergang wird, ist allen Beteiligten bewusst. Der Untersuchungsausschuss braucht die Akten der alten Bundesregierung. Durch Geheimhaltungsverpflichtungen werde es, so schätzt Kauder, zu Friktionen kommen. Das Bundeskanzleramt werde aus berechtigten Gründen gewisse Akten nicht herausgeben. Kauder verweist aber darauf: "Da gibt es geordnete Verfahrensabläufe, wie so etwas abzuwickeln ist. Es kann durchaus sein, dass wir uns zur Frage, ob Akten berechtigt gesperrt sind oder nicht vor dem Verfassungsgericht wiedersehen."
Als Rechtsanwalt mit fast 30-jähriger Berufserfahrung konzentrierte sich Kauder auf Straf-, Familien und Arzthaftungsrecht. Um jetzt für die neue Aufgabe gut gewappnet zu sein, befasste er sich intensiv mit der Struktur des parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetzes. Der Bundestagsabgeordnete, der seinen Wahlkreis Schwarzwald-Baar 2005 mit über 51 Prozent direkt gewonnen hat, sitzt im Petitions-, Rechts- und im Unterausschuss Europarecht, daneben als stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss. Fragen, die ihn bisher intensiv beschäftigt haben, betreffen beispielsweise die Verbesserung des Opferschutzes und die Opferentschädigung oder die Freierstrafbarkeit im Bereich der Zwangsprostitution. Jetzt mit dieser arbeitsintensiven Aufgabe betraut worden zu sein, hat den 55-Jährigen, der seit 2002 im Bundestag sitzt, "zugegebenermaßen etwas überrascht", weil es eigentlich ein innenpolitisches Thema ist und er nur als stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss arbeitet. Doch da er die Fraktion als Mannschaft sieht, stand für ihn fest: "Wenn die Fraktion der Meinung ist, dass ich das machen soll, mache ich das gerne." Da zu kneifen, käme ihm nicht in den Sinn. "Der Mensch kann viel, wenn er es will." Diese Erfahrung bringt Kauder, der jüngere Bruder des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder, durch den Marathonlauf mit. Da er auch schon den 100-km-Lauf von Biel erfolgreich hinter sich gebracht hat, weiß er: "Einen Marathon läuft man weniger mit den Beinen als mit dem Kopf. Man muss sich immer wieder sagen: ich will ankommen." Siegfried Kauder hat also eines in jedem Fall, einen eisernen Willen. "Das ist etwas, was man sehr gut im Beruf und in der Politik brauchen kann." Er erzählt das ruhig und sachlich, macht da keinen verbissenen Eindruck. Aber er weist darauf hin, dass ausreichend Schlaf und eine entsprechende Lebensführung schon nötig sind, um solche Läufe durchzustehen. "Eine Nacht durchzumachen ist für mich nicht drin. Aber damit habe ich kein Problem. Das ist nicht mein Leben." Und ohne Ehrgeiz wäre der Mann, der bis 2002, als er in den Deutschen Bundestag einzog, auf Kommunalpolitik konzentriert war, auch nicht da, wo er jetzt ist. Schon seine Staatsexamen trugen das Prädikatssiegel. Was er anpackt, macht er offenbar ganz oder gar nicht.
Das gilt auch für sein Hobby, die Malerei. Sie fehle ihm zur Zeit etwas, bekennt Kauder. Zuhause liegen mehrere Entwürfe, für die die Neue Sachlichkeit Pate steht, für ihn eine ganz große Kunstrichtung, wie sie unter anderem bei Schrimpf und Schad zu bewundern ist. Irgendwie passt die Vorliebe für diese Richtung, die sich in Deutschland in den 20er-Jahren entwickelte, zu dem Juristen Kauder. Denn charakteristisch für die Neue Sachlichkeit ist eine objektive und präzise Realitätswiedergabe. Die Motive sind klar und strukturiert, überscharf und gegenständlich. Wenn Kauder formuliert, kommt das auch klar und strukturiert beim Gesprächspartner an. Auch für die Ausschussarbeit hat er eine klare Struktur im Kopf, strukturiert mit den Obleuten die Thematik, bildet Blöcke. Er will Plastizität und Nachvollziehbarkeit, auch für den juristischen Laien. Das wird schwierig genug, denn es wird öffentliche und nicht-öffentliche Vernehmungsteile aufgrund der Geheimhaltungspflicht geben.
Trotz aller Arbeitsbelastung in den nächsten Monaten - den Luxus nach Essen zu fahren, um die große Caspar-David-Friedrich-Ausstellung anzuschauen, wird sich Kauder gönnen. Dass sein Engagement im Kunstbeirat des Bundestages kein befriedigender Ersatz für das eigene kreative Schaffen ist, liegt auf der Hand. Dort wird entschieden, was der Bundestag anschafft, um Abgeordnetenbüros und Sitzungssäle attraktiver zu gestalten. Doch er macht das gerne, sagt er. Auch die orientalische Stadt in seinem Berliner Büro kommt aus dem Fundus des Bundestages.