Outback, roter Staub und Hitze: Der trockenste Kontinent der Erde ist vor allem für sein raues Hinterland berühmt. Mehr als drei Viertel der Bewohner Australiens leben jedoch nicht im Landesinneren, sondern weniger als eine Stunde entfernt von der gut 25.700 Kilometer langen Küste. Auch weil das Klima an den Rändern des fünften Kontinents weniger lebensfeindlich ist. Aber nicht nur: Die Ozeane - der Indische, der Südliche und der Pazifik - prägen Alltag und Lebensgefühl der meisten Australier weit mehr als das karge Hinterland. In Sydney ganz besonders: Mit 42 Stränden und mehr als 340 Sonnentagen im Jahr ist die mit vier Millionen Einwohnern größte Stadt Australiens ein maritimes Freizeit-Paradies. Hier gehen Büroangestellte vor der Arbeit Wellen reiten, ist Surfen Schulsport und Schwimmen normaler als Radfahren. Kein Wunder. Exakt 11.011 Strände erforschte Professor Andrew Short von der Uni Sydney in einer Studie, die ihn 17 Jahre lang bis an die entlegensten Strandstreifen des Kontinents führte und vor allem ein Ziel hatte: Die Lieblingsspielplätze der Australier sicherer zu machen. Denn Meer und Strand sind voller Gefahren.
Die spektakulärsten mögen Haie oder tödliche Quallen sein, doch sind dies keineswegs die häufigsten. Strömungen, Gezeiten und vor allem deren Fehleinschätzungen kosten "Down Under" weit mehr Badende, Angler und Surfer das Leben als hungrige oder giftige Meerestiere. Bis zu 60 Menschen ertrinken jedes Jahr an den Stränden - eine Zahl, die allerdings kontinuierlich sinkt. Und das ist vor allem einer Institution zu verdanken, die zu den Wahrzeichen des Landes gehört: der Lebensretter-Bewegung, einer Heerschar gelb und rot uniformierter Freiwilliger, organisiert in 304 Clubs unter dem Dach von Surflifesaving Australia (SLSA).
110.000 Mitglieder machen diesen Verband zu einem der größten ehrenamtlichen Zusammenschlüsse des Landes, der mit beachtlichen Zahlen aufwarten kann: 1,4 Millionen Stunden patrouillieren die 33.000 aktiven Rettungsschwimmer pro Saison am Meer. Freiwillig und unbezahlt, unterstützt von etwa 300 hauptamtlichen "Lifeguards", die als Angestellte der Gemeinden besonders beliebte Sandstücke wie Bondi Beach das ganze Jahr über bewachen. "Surflifesaver" heißen sie übrigens nicht, weil sie etwa surfen oder Wellen reiten, sondern weil sie in Not geratene Badende aus der "Surf" genannten Brandungszone retten. 2007 feiert der Kontinent seine Helden mit dem "Year of the Surflifesaver" - dem "Jahr der Rettungsschwimmer", die mehr als 500.000 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt haben, seit sie sich vor ziemlich genau 100 Jahren in Clubs formierten.
Bis dahin waren derartige Teams kaum nötig. Denn noch um 1900 war das Baden im Meer an Sydneys Stränden aus moralischen Gründen verpönt und per Gesetz verboten. Wer sich damals nach Sonnenauf- und vor Sonnenuntergang in den Wellen zeigte, machte sich strafbar. Eine Tatsache, die heute beim Blick auf den überfüllten Bondi Beach nur schwer vorstellbar ist. William H. Gocher, einem Zeitungsmann aus dem Strandvorort Manly, haben die Australier zu verdanken, dass sich Wassersport in den vergangenen 100 Jahren zur nationalen Leidenschaft entwickeln konnte. Gocher wird nachgesagt, dass er im Jahr 1902 das Bade-Tabu so hartnäckig vor den Augen der Obrigkeit brach, bis die schließlich aufgab: Baden war fortan - vorausgesetzt es geschah in züchtiger, knielanger Kleidung - auch bei Tageslicht erlaubt. Allerdings ging die Begeisterung für den neuen Trendsport nur selten Hand in Hand mit Kompetenz. Starke Brandung, der Wechsel der Gezeiten und Strömungen brachten immer wieder Badende in riskante Situationen, was kompetenterer Wassersportler dazu veranlasste, das Retten zu professionalisieren.
Darum, welcher von den 15 traditionsreichen Surfclubs in Sydney dies nun als allererster tat und sich folglich "first lifesaving club of the world" nennen darf, streiten sich bis heute gleich mehrere Vereine der Weltstadt am Pazifik. Nicht furchtbar ernsthaft, aber durchaus mit Nachdruck. Ihre Clubhäuser liegen in privilegierten Millionen-Dollar-Lagen an den schönsten Buchten, Mitglieder sind Premierminister ebenso wie die Dänische Prinzessin aus Tasmanien. Dabei sind die Clubs keine elitären Zirkel: Am Strand patrouillieren Studenten neben Busfahrern, Arbeitslose neben Anwälten und - seit 1980 die letzte Echte-Kerle-Bastion fiel - sogar Frauen. Fast ein Drittel der aktiven Rettungsschwimmer ist heute weiblich. Beinahe jede Familie, die in Strandnähe wohnt, schickt ihre Kinder irgendwann zu den "Nippers", den Nachwuchsorganisationen der Clubs. Allsonntäglich werden die Knirpse, die eben noch Laufen und Lesen lernten, in Fitness und kompetentem Verhalten am Wasser geschult. Bleiben sie dabei, trainieren die bis 15-Jährigen als Nippers und Junioren weiter. Ab dann werden sie "echte" Retter, die nach strengen Aufnahmetests alle Jahre wieder Wissensstand, Fitness und Erste-Hilfe-Können neu beweisen müssen.
Selbst außerhalb der Sommersaison bleibt "Surf-lifesaving" für viele Mitglieder fester Bestandteil des Alltags. In den kühleren Monaten schwimmen sie in den oft nur 15 Grad kalten Meerwasser-Fels-pools um die Wette. Auch um fit zu bleiben. Dieses Wochenend-Ritual hat jedoch eine mindestens ebenso starke soziale Komponente: Im berühmtes-ten der Winterbäder, den "Bondi Icebergs" von 1929 treffen sich die Mitglieder gleich nach der sonntagmorgendlichen 50-Meter-Ralley in der Bar überm Pool zum Bier - ohne ihre gelb-rote Kappen, aber natürlich mit Blick aufs Meer.
Julica Jungehülsing Die Autorin lebt in Sydney und berichtet als freie Journalistin aus Australien, Neuseeland und anderen Ländern im Südpazifik.