Das Parlament: Wo befinden sind zurzeit die Brennpunkte für Piraten-Überfälle?
Noel Choong: Momentan sind das Nigeria und vor allem Somalia. Die Anzahl der Angriffe von Piraten in Somalia ist enorm angestiegen: 40 Überfälle seit März 2005. Die Piraten attackieren vor allem Schiffe in Küstennähe. Daher raten wir allen Schiffen, sich mindestens 200 Seemeilen von der somalischen Küste fernzuhalten. Da die Schiffe jedoch immer weiter hinausfahren, folgen ihnen auch die Piraten immer weiter hinaus aufs Meer. Ein Überfall im vergangenen Jahr fand sogar 390 Seemeilen von der Küste entfernt statt.
Das Parlament: Gibt es niemand, der die somalischen Piraten bekämpft?
Noel Choong: Das Hauptproblem ist, dass es in Somalia keine Regierung gibt, sondern nur sich gegenseitig bekämpfende Kriegsparteien. Die ehemalige Regierung lebt weit weg im Exil. Es gibt daher keine Polizei, keine Justiz, keine Marine, die einem Schiff zur Hilfe kommen könnten, wenn es in Schwierigkeiten gerät. Wenn Piraten also ein Schiff kapern und es bis an die somalische Küste bringen, kann sie niemand mehr dafür belangen. Wir haben daher im Einklang mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an die internationalen Koalitions-Streitkräfte im Indischen Ozean appelliert, bei der Überwachung der Region mitzuhelfen.
Das Parlament: War der Appell erfolgreich?
Noel Choong: Seitdem internationale Kriegsschiffe ihre Patrouillen verstärkt haben, haben sich die Piraten bis auf eine 60-Meilen-Zone vor der somalischen Küste zurückgezogen. Die Angriffe sind dadurch insgesamt zurückgegangen, aber aufgehört haben sie noch lange nicht. Die Taktik hat sich lediglich verändert: Die Piraten überfallen jetzt vor allem Schiffe, die sich auf dem Weg zu oder von einem Hafen befinden.
Das Parlament: Kooperieren Sie auch in anderen Gegenden mit internationalen Streitkräften?
Noel Choong: Ja, zum Beispiel im Irak. Auch dort gibt es keine andere einsatzfähige Exekutive, die die Patrouillen übernehmen könnte. Die Entwicklung im Irak bereitet uns im Moment große Sorgen: Die Anzahl der Überfälle dort ist nicht nur deutlich angestiegen, sondern sie verlaufen auch außerordentlich brutal. Bis vor zwei Jahren gab es im Irak noch gar keine Piraterie, jetzt gilt das Land als neuer Brennpunkt.
Das Parlament: Was ist die Motivation der Piraten dort?
Noel Choong: In der Regel handelt es sich um Raubüberfälle mit einem rein materialistischen Ziel, nicht um Terroranschläge. Die Piraten nutzen häufig die unübersichtliche politische oder geografische Lage einer Region aus, um sich zu bereichern.
Das Parlament: Wie laufen diese Überfälle ab?
Noel Choong: Meistens entern die Piraten von schnellen, kleinen Booten aus viel größere, unbeweglichere Schiffe, bevorzugt im Schutze der Dunkelheit. Einmal an Bord bedrohen sie die Mannschaft mit ihren Waffen. In den meisten Fällen rauben sie entweder das Schiff oder seine Ladung und fahren damit zu einem Mutterschiff oder einer Operationsbasis an Land zurück. Geiselnahmen kommen seltener vor, im vergangenen Jahr in Somalia, Nigeria und Indonesien. Aber egal, ob die Piraten eine Beute im Wert von 10.000 oder einer Million US-Dollar mit nach Hause nehmen: Es ist der Vorgang des Überfalls an sich, der extrem gefährlich ist, weil dabei immer Menschen verletzt oder getötet werden können. Das ist so, wie beim Einbruch in ein Haus: Selbst wenn der Einbrecher gar nichts Wertvolles vorfindet, kann er immer noch unvorhergesehen jemanden verletzen oder töten.
Das Parlament: Welche Waffen nutzen die Piraten?
Noel Choong: Das hängt ganz von der Region ab. Piraten in Somalia und in der nördlichen Straße von Malakka benutzen russische Maschinengewehre und Granatwerfer, ihre Kollegen in der Straße von Singapur arbeiten mit amerikanischen M16-Maschinengewehren. An anderen Orten, zum Beispiel in der indonesischen Gelasa-Straße vor der Ostküste Sumatras, sind die Piraten nur mit Pistolen und Macheten ausgerüstet. Aber selbst, wenn sie nur mit einem Messer angreifen: Alle Waffen können tödlich sein.
Das Parlament: Wie können sich die Schiffsmannschaften vor Piraten-Angriffen schützen?
Noel Choong: Der beste Schutz ist eine konsequente Anti-Piraten-Wache. Für einen erfolgreichen Überfall benötigen die Piraten den Überraschungseffekt. Wird ein Schiff ständig kontrolliert, kann die Wache Alarm schlagen, bevor die Piraten überhaupt an Bord kommen. Da sie natürlich nicht festgenommen werden wollen, werden die Piraten abhauen, sobald Polizei oder Militär bereits alarmiert worden sind. Für eine effektive Anti-Piraten-Wache - zumindest von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang - benötigt man jedoch ausreichend Personal. Leider sparen viele Schiffseigner bei der Mannschaft und besetzen nur die absolut nötigen Posten. Und da die Seeleute ja auch irgendwann einmal schlafen müssen, werden bei der Wache Abstriche gemacht.
Das Parlament: Das heißt Sparen auf Kosten der Sicherheit?
Noel Choong: Wegen des erhöhten Risikos auf bestimmten Strecken sind die Prämien für Schiffe, Ladung und Mannschaft natürlich entsprechend teuer. Auch muss mehr Geld für Sicherheitstechnologie ausgegeben werden. Das heißt, die Kosten für die Schiffahrt in solchen Risikoregionen steigen enorm. Viele Schiffseigner machen daher irgendwo anders Abstriche. Daher ist es natürlich im Sinne aller - der Seeleute, der Schiffseigner und der regionalen Wirtschaft - wenn die jeweils zuständige Regierung langfristige Maßnahmen unternimmt, um den Risiko-Status einer Region herunterzusetzen.
Das Parlament: Könnte man nicht auf andere Strecken ausweichen?
Noel Choong: In manchen Gebieten können die Schiffe versuchen auszuweichen. Aber an anderen Stellen gibt es keine Alternative, zum Beispiel die Straße von Malakka, eine der meist befahrenen Meerengen der Welt: Die Schiffe müssen durch dieses 800 Kilometer lange Nadelöhr zwischen Indonesien und Malaysia, um von der Andamanensee in die Java-See und zum Südchinesischen Meer zu gelangen. Mehr als 30 Prozent des Welthandels in der Schiffahrt sind auf diesen Verkehrsweg angewiesen, rund 2.000 Schiffe befahren die Seestraße täglich. Daher ist es natürlich im Sinne aller - der Seeleute, der Schiffseigner und der regionalen Wirtschaft - wenn die zuständigen Regierungen langfristige Maßnahmen einleiten, um den Risiko-Status einer solchen Region heruntersetzen zu können.
Das Parlament: In der Straße von Malakka scheint dies der Fall zu sein: Lange Zeit galt die Meerenge als einer der Brennpunkte der weltweiten Piraterie. In diesem Jahr jedoch gab es keine Überfälle. Woran liegt das?
Noel Choong: Der Grund für den Rückgang der Piraten-Angriffe in der Straße von Malakka ist, dass Indonesien - unterstützt von Malaysia, Singapur und Thailand - die Schiffspatrouillen seit Juli 2005 deutlich verstärkt hat. Die so genannte "Operation Gurita" umfasst 20 Kriegsschiffe, sieben Patrouillenboote, vier Flugzeuge und zwei Helikopter, die mittlerweile die gesamte Meerenge vom nördlichen Eingang bis zur Straße von Singapur im Süden überwachen. Die Aktion ist sehr erfolgreich: Seitdem sie läuft, gab es lediglich drei versuchte Überfälle, verglichen zu 37 im Jahr 2004.
Das Parlament: Die Straße von Malakka hat drei Anrainerstaaten, Malaysia und Singapur hatten ihre Kontrollen schon länger verschärft. Warum ging die Piraterie erst deutlich zurück, nachdem die Indonesier ihre Patrouillen verstärkt haben?
Noel Choong: Die meisten Piraten in der Region stammen vermutlich aus Indonesien. Daher ist die Kooperation der indonesischen Regierung entscheidend. Ohne verstärkte Patrouillen der indonesischen Seite sind Kontrollen von Malaysia und Singapur aus einfach nicht ausreichend, weil sie nicht jeden Längen- und Breitengrad auf der gesamten Strecke kontrollieren und erst recht nicht den Piraten in indonesische Gewässer folgen können. Wirklich effektiv ist das ganze erst seit dem Start der "Operation Gurita".
Das Parlament: Heißt das, dass die Straße von Malakka in Zukunft für die Schiffahrt sicher ist?
Noel Choong: Die Straße von Malakka scheint momentan sicher zu sein. Aber auf lange Sicht gesehen, ist die Situation noch völlig unklar. Wir wissen nicht, wie lange die Patrouillen in dieser Intensität weiterlaufen werden, beziehungsweise wie lange sich die indonesische Seite die Kraftstoffversorgung für die zusätzlichen Einsatzboote leisten kann, wenn der Ölpreis weitersteigt. Solange die Zukunft der Operation jedoch nicht gesichert ist, warten die Piraten lediglich im Untergrund ab, bis wieder günstigere Zeiten für sie kommen. Das ist auch der Grund dafür, dass wir den Risiko-Status der Straße von Malakka noch nicht heruntergesetzt haben. Dazu muss sich die Lage erst noch längerfristig als ruhig erweisen.
Das Parlament: Warum hat die indonesische Regierung erst im vergangenen Jahr mit den verstärkten Kontrollen begonnen?
Noel Choong: Das hängt mit dem Friedensabkommen zwischen der indonesischen Regierung und den Unabhängigkeitskämpfern der Bewegung Freies Aceh (GAM) im vergangenen August zusammen. Damit will ich nicht behaupten, dass die GAM-Rebellen für die Piraterie in der Straße von Malakka verantwortlich waren. Doch wegen des Bürgerkriegs waren alle verfügbaren Streitkräfte der Indonesier vor der Küste von Aceh konzentriert, um die GAM in Schach zu halten. Jetzt können diese Kräfte auch in anderen Gebieten eingesetzt werden und somit die gesamte Straße von Malakka überwachen.
Das Parlament: Gibt es neue Brennpunkte in der Region, auf die die Piraten ausweichen?
Noel Choong: Indonesien war immer ein Brennpunkt für Piraterie und wird es wohl auch bleiben. Erst vor einigen Wochen gab es mehrere Angriffe in der Straße von Gelasa. Als wir die Meldungen von dort erhielten, haben wir sofort die indonesische Regierung alarmiert. Die hat schnell reagiert und Patrouillenboote ausgesandt - seitdem ist nichts mehr vorgefallen. Aber wir überwachen die Situation weiterhin. Erst wenn es keine Angriffe mehr gibt, werden wir den Risiko-Status der Straße von Gelasa heruntersetzen. Da es sich hier nicht um internationale Gewässer handelt, kümmert sich die indonesische Regierung allein um die Angelegenheit.
Christina Schott arbeitet als freie Korrespondentin in Jakarta, Indonesien.