Gemütlich war es nicht, damals, zu Beginn der Urzeit. Auf jeden Fall nass und dunkel - so schildern viele Schöpfungsmythen die Entstehung der Welt. Denn im Anfang war die Urflut, ein endloser Ozean in Finsternis getaucht. Der Ursprung - nicht zeitlich, sondern als ein für alles Sein grundlegendes Prinzip gedacht - erscheint in den phantasievollen "Berichten" über die Entstehung der Welt als eine chaotische, wässerige Einheit, die von einem Demiurgen, einem Schöpfer-Gott oder auch mehreren Göttern, geordnet und in Teile - zunächst Himmel und Erde - zertrennt wird. Das Urdrama nimmt seinen Lauf: Bevor der Kosmos geordnet wird, muss ein Kampf mit einem Wasserungeheuer, einem Drachen oder unter den ersten Göttern selbst ausgetragen werden; dabei geht die ursprüngliche Einheit verloren.
Nach dem babylonischen Schöpfungslied "Enuma elish" etwa - benannt nach den Anfangsworten "Als droben" - sind die ersten Götter aus Apsu, dem Süßwassermeer, und Tiamat, dem Salzwasserozean, hervorgegangen. Nach einem Aufstand der zweiten Göttergeneration wird Apsu getötet und später auch die rachsüchtige Tiamat, die allesbeherrschende Urmutter, aus deren Drachenleib der weise Gott Marduk Himmel und Erde bildet. "Im Uranfang ist Nun, das dunk-le Urgewässer", heißt es in einem altägyptischen Mythos. Aus dem Nun geht der Schöpfergott Atum hervor, oft als Urhügel oder als Sonne dargestellt. Auch eine andere archaische Gottheit Ägyptens, Amun, entstammt dem Ozean des Beginns. Das Urpaar der griechischen Mythologie bei Homer sind der Flussgott Okeanos - der "Ursprung der Götter" und "Ursprung von allem" - und Tethys, eine Wassergöttin. In den Kosmogonien Sibiriens und Indonesiens ist die Vorstellung weit verbreitet, die Welt sei aus einem Ei hervorgegangen, das von einer Gottheit auf die anfänglichen Gewässer gelegt wurde. Mit einem Wasser-Urgemisch verbunden sind auch sehr alte Mythen vom "Erdtaucher", die bei den Völkern Indiens, in Indonesien, Sibirien, Südosteuropa und in Nordamerika in vielen Varianten verbreitet sind. Auch hier existieren zu Beginn nur die Urwasser. Eine Schöpfergottheit oder ein amphibisches Tier tauchen auf den Grund des Meeres und holen aus der Tiefe ein Stück Erde oder etwas Sand - daraus erschafft der Demiurg die Welt. Bei den Yóruba im Südwesten von Nigeria gibt es zu Beginn der Zeit "weit unten" eine "unendliche Wasserfläche" und einen Schlammbrei.
"Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war aber wüst und leer (tohu-wa-bohu), und Finsternis lag auf dem Antlitz der Urflut (tehom), und der Geist Gottes schwebte über den Wassern" (Genesis 1,2) - so beginnt der wohl bekannteste, der biblische Schöpfungsbericht. Die jüdische Überlieferung stimmt zum Teil mit altorientalischen Schöpfungsmythen (der Anfang als Chaos, Urflut, Leere, Finsternis, Wüste) überein. Die Urflut oder der Abgrund - tehom - ist linguistisch mit der babylonischen Gottheit Tiamat, dem Meeresdrachen verwandt, der 39 Mal im Alten Testament vorkommt. Allerdings setzt sich der Schöpfungsbericht der Bibel in der Klarheit der Sprache und der Systematik der Darstellung von den mythischen Überlieferungen ab. Die Welt wird von Gott in einem geradezu "wissenschaftlichen" Prozess in sechs Tagen geschaffen. Nach der Trennung von Licht und Finsternis werden auch die Urfluten getrennt in Wasser "oberhalb" und "unterhalb" des Gewölbes (Himmels). Die unteren Wasser sammeln sich dann auf ein Schöpferwort hin an einem Ort als Meer.
Einer zweiten Welterschaffung gleicht die Sintflut. Die Chronisten der Urzeit berichten auch hier von der ambivalenten Macht des Meeres, das die Welt zerstört. Nachdem die Fluten zurückgewichen sind, entsteht ein neues Leben. Die bekanntesten unter den mehr als 60 Variationen der Sintflutberichte aus aller Welt sind der aus dem altbabylonischen Gilgamesch-Epos mit der Hauptfigur Utnapischtin und die biblische Geschichte über Noah und die Rettung in der Arche.
Das Meer wird in der Mythologie und in der Bibel oft als eine bedrohliche Macht dargestellt. In der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch des Neuen Testaments, heißt es über die neue, erlöste Schöpfung bezeichnenderweise "...und das Meer ist nicht mehr". Es geht hier wohl um das tote Wasser des Salzmeeres - tehom, Tiamat - im Gegensatz zu den "Strömen des lebendigen Wassers", die Jesus seinen Jüngern verspricht.
Es ist wohl kein Zufall, dass eines der Urelemente aus der griechischen Philosophie - das Wasser - in den mythischen Überlieferungen der Menschheit eine bedeutende Rolle spielt. Das Meer mit seiner Urgewalt und seiner Ambivalenz faszinierte von jeher die Menschen: eine unbegreifliche, chaotische Masse, leben-spendend und todbringend, "ein Symbol des Ungeformten, Präkosmischen" (Manfred Lurkner). Gerade die Gegensätzlichkeit dieses Stoffes, den der griechische Philosoph Thales von Milet für den Anfang und das Ende aller Dinge hielt, ist für mythisches Denken bezeichnend. Denn hierbei geht es nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um sakrale Wirklichkeiten, die Gegensätzliches in sich vereinbaren; "der Mythos beschreibt die verschiedenen, bisweilen dramatischen Einbrüche des Sakralen in die Welt", so der Mythenforscher Mircea Elliade. Und dieser Einbruch des Sakralen sei es, der die Welt wirklich gründet. Bis heute spielt das Wasser in allen Religionen eine wichtige Rolle. Das Taufwasser der Christen symbolisiert das Urwasser des Todes, aus dem der Täufling als neue Schöpfung hervorgeht. Auch in den Reinigungsritualen des Hinduismus, Judentums und Islams ist sozusagen das Echo der Schöpfungsmythen zu vernehmen.
Die Autorin ist Redakteurin der Wochenzeitung "Das Parlament".