Das Parlament: Die Volksrepublik China spielt mittlerweile international eine wichtige politische Rolle, nicht nur in seiner Nachbarregion, sondern auch auf der Bühne der Weltpolitik. Was bedeutet das für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland?
Gernot Erler: Als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat, als bevölkerungsreichstes Land und viertgrößte Volkswirtschaft der Welt kommt China große Verantwortung zu - und zwar in regionalem wie auch globalem Maßstab. Es verfügt über die zweithöchsten Devisenreserven und war im vergangenen Jahr nicht nur regionaler Spitzenreiter beim Wachstum, sondern weltweit das attraktivste Land für ausländische Direktinvestoren. Diese Position bringt international und regional noch mehr Verantwortung mit sich. Daraus ergibt sich eine besondere Verpflichtung, sich für eine Politik des friedlichen Interessensausgleichs einzusetzen. China und Deutschland teilen die Überzeugung, dass Sicherheit und Frieden nur auf der Basis eines effektiven Multilateralismus gewährleistet werden können. China hat in den letzten Jahren zunehmende Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung in multilateralen Foren gezeigt. Deutschland unterstützt dies sehr. Bei den China-Besuchen von Außenminister Steinmeier im Februar und Bundeskanzlerin Merkel im Mai haben wir einen strategischen Dialog verabredet, in dem wir uns über all diese Fragen intensiv austauschen wollen. Wir sollten daher China ermuntern, die Rolle einer verantwortlichen Großmacht auf regionaler und globaler Ebene noch aktiver auch in den Bereichen zu spielen, die für uns von zentralem Interesse sind. Mit großer Aufmerksamkeit und Interesse verfolgt Deutschland zudem die aktuellen Bemühungen um die regionale Zusammenarbeit und Integration in Ostasien. Wie Deutschland in Europa, so ist China in Asien der Staat mit den meisten Nachbarn. Auch dies bedingt besondere Verantwortung unserer beiden Staaten für Stabilität, Frieden und Sicherheit.
Das Parlament: In den Verhandlungen mit dem Iran über dessen Nuklear-Projekte ist China als ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates sehr aktiv. Deutschland ist als Teil der EU-Troika an diesen Gesprächen ebenfalls sehr intensiv beteiligt. Ist dieses deutsch-chinesische Miteinander ein Arbeitsmodell für die Lösung auch anderer Probleme von internationalem Ausmaß?
Gernot Erler: Wir sind schon seit langem davon überzeugt, dass es nur dann gelingen kann, Iran davon zu überzeugen, dass seine bisherige Verweigerungshaltung in die Sackgasse führt, wenn die internationale Gemeinschaft möglichst geschlossen auftritt. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir sehr die konstruktive Rolle, die China bei den Bemühungen um eine Lösung der iranischen Nuklearproblematik spielt. China hat an der Abstimmung des Angebots zur Zusammenarbeit, das wir kürzlich Iran unterbreitet haben, aktiv mitgewirkt, und so sind wir auch zuversichtlich, dass sich China an Verhandlungen mit Iran, sofern sie zustande kommen, ähnlich wie dies auch die USA und Russland in Aussicht gestellt haben, beteiligen wird. Es gibt noch ein zweites Land, wo wir wegen eines Nuklearprogramms sehr besorgt sind, nämlich Nordkorea. Die kürzlich stattgefundenen nordkoreanischen Raketentests haben unsere Sorgen leider bestärkt. Man kann sagen, dass China hier eine Schlüsselrolle bei der Lösung der Nuklearkrise auf der koreanischen Halbinsel im Rahmen der Sechs-Parteiengespräche spielt. China hat sich bislang in sehr verantwortlicher Weise engagiert und ich bin sicher, dass es dies auch weiterhin tun wird. Abrüstungs- und Rüstungskontrolle bleiben wichtige Punkte auf der internationalen Tagesordnung. Unsere Anstrengungen hierfür dürfen nicht nachlassen. Dabei brauchen wir gerade auch China, von dem wir erwarten, dass es sein Gewicht und seinen wachsenden Einfluss in verantwortlicher Weise einsetzt. Wir sind dabei zuversichtlich, dass sich die Zusammenarbeit mit China - übrigens natürlich auch auf EU-Ebene - auf immer mehr Felder der internationalen Politik ausdehnen wird.
Das Parlament: Bei der allseits geforderten Reform der UNO möchte Deutschland einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat erringen und hofft dafür auf Chinas Unterstützung. Ist das eine realistische Erwartung?
Gernot Erler: Im Schlussdokument des Gipfels zur Überprüfung der Millenniumserklärung haben sich alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen - und damit auch China - im September 2005 zur Notwendigkeit einer Reform des Sicherheitsrats einschließlich seiner Erweiterung bekannt. Der von Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern Brasilien, Indien und Japan vorgelegte Vorschlag zur Reform des Rates hat nach Überzeugung der Bundesregierung von allen unterbreiteten Vorschlägen weiterhin das größte Potenzial für eine sehr breite Zustimmung durch die Mitgliedstaaten. Nach der Entscheidung der 52 Mitglieder der Afrikanischen Union, vorerst ohne Abstriche an ihrem eigenen Vorschlag festzuhalten, war eine Entscheidung über einen der Generalversammlung vorliegenden Resolutionsentwürfe nicht möglich. Die Debatte über die Reform hat damit zunächst deutlich an Momentum verloren. Sie wird jedoch angesichts der weit verbreiteten Überzeugung, dass der Rat die Aufgaben des 21. Jahrhunderts nicht dauerhaft mit den Strukturen von 1945 bewältigen kann, wieder aufleben. Insofern bleibt Deutschland an einem umfassenden Dialog mit allen Partnern - auch mit China - über die Frage interessiert, wie der Rat reformiert und erweitert werden könnte. Dabei gilt es, mit China dessen bestehende Bedenken anzusprechen und soweit möglich auszuräumen.
Das Parlament: Chinas Energie- und Rohstoffhunger hat Folgen nicht nur für seine Nachbarn, sondern auch für die Wirtschaft Europas und damit auch Deutschlands. Welche Strategien entwickeln Deutschland und Europa, um die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung zu mindern?
Gernot Erler: Die chinesische Wirtschaft hat über die letzten 20 Jahre eine beeindruckende Wachstumsdynamik gezeigt. China ist in dieser Periode zur drittgrößten Handelsnation der Welt aufgestiegen. Parallel ist der Rohstoffimport Chinas in den letzten zwei Dekaden um den Faktor 20 gewachsen und betrug im Jahr 2004 fast 200 Milliarden US-Dollar. Beim Rohöl ist China inzwischen nach den USA der zweitgrößte Verbraucher weltweit und der drittgrößte Importeur. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas hat mehrere Konsequenzen für die globalen Rohstoffmärkte: Einerseits führt die wachsende Nachfrage Chinas zu einem Anstieg der Weltmarktpreise für Rohstoffe. Besonders deutlich spürbar ist dies bereits beim Öl, dasselbe gilt jedoch beispielsweise für Kupfer oder andere Industrierohstoffe. Der Preisanstieg hat zu einem enormen Wachstumsschub bei den Anbieterländern dieser Rohstoffe geführt. So ist die Wirtschaft in den Staaten Afrikas im vergangenen Jahr im Durchschnitt um mehr als fünf Prozent gewachsen, der höchste Wert seit einigen Jahrzehnten. Auch auf einzelne Länder Lateinamerikas wirkte sich diese Entwicklung positiv aus. Mittelfristig sind jedoch auch negative Folgen mit dem Rohstoffhunger Chinas verbunden. Es ist noch nicht abzusehen, ob der Preisanstieg bei Rohstoffen sich negativ auf das Wachstum der Weltwirtschaft auswirken wird; warnende Stimmen der Zentralbanken lassen dies vermuten. Darüber hinaus sind mit der energieintensiven Industrialisierung Chinas gravierende Folgen für Umwelt und Natur verbunden. Die chinesische Umweltagentur selbst schätzt die Schäden auf rund 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr, das entspricht in etwa dem gesamten Wirtschaftswachstum des Landes. Die chinesische Regierung ist sich dieser Belastungen bewusst und hat ein Umdenken eingeleitet. China sucht den Dialog zu Fragen nachhaltiger Energieversorgung, vor allem auch mit Deutschland. Schwerpunkte unserer gemeinsamen Arbeit sind Erneuerbare Energien und Steigerung der Energieeffizienz. Daneben haben wir das Deutsch-Chinesische Umweltforum gegründet, das sich speziell mit Fragen des Umweltschutzes beschäftigt. Darüber hinaus bemühen sich internationale Foren wie die Internationale Energieagentur um eine engere Zusammenarbeit mit China. Dies ist besonders wichtig, um China noch besser als bisher in die globalen Marktstrukturen, vor allem bei Öl und Gas, einzubinden. Diese Zusammenarbeit wirkt stabilisierend auf die Weltmärkte und erhöht die Transparenz für Nachfrager und Anbieter gleichermaßen.
Das Parlament: Welche Haltung hat Ihre Regierung zum Waffenembargo, das von der EU nach der Niederschlagung der Studentendemonstrationen 1989 gegen die Volksrepublik China verhängt wurde?
Gernot Erler: Das Waffenembargo ist in der Tat eine Maßnahme, das von der Europäischen Union verhängt wurde. Es kann daher auch nur von der EU aufgehoben werden, und zwar nur im Konsens. Einen solchen Konsens gibt es bisher nicht. Aus unserer Sicht bleiben die Lage der Menschenrechte in China und die friedliche Streitbeilegung mit Taiwan entscheidende Elemente für die weitere Analyse. Für Deutschland gilt: Auch wenn das EU-Embargo aufgehoben würde, blieben Waffenexporte aus Deutschland nach China wegen unserer sehr restriktiven Bestimmungen ausgeschlossen.