In krassem Gegensatz zu diesem rosigen Bild stehen die Warnungen etwa des südkoreanischen Finanz- und Wirtschaftsministers Han Duck-soo. China werde zu einer echten Bedrohung auf dem Weltmarkt, erklärte er im März 2006. Nur mit mehr Technologie könnten sich Firmen seines Landes gegenüber China behaupten. Wie zur Illustration dieser Auffassung veröffentlichte die Regierung in Seoul fast zeitgleich einen neuen Bericht, nach dem der technologische Abstand vor allem in der Informations- und Kommunikations-Industrie, einem zentralen Sektor der koreanischen Exportwirtschaft, rapide schrumpfe.
Was stimmt nun? Sind beide Länder Partner, Rivalen, oder beides?
Korea hat sich über viele Jahrhunderte mit dem großen Nachbarn im Westen arrangiert. Extremgefühle wie gegenüber Japan - einerseits Hass, andererseits Bewunderung - haben sich kaum aufgebaut. Die Einstellung gegenüber China wird auf Koreanisch mit dem Wort "Sadae" umschrieben - die Unterwerfung unter den Stärkeren.
Angesichts einer solchen Haltung und der eigenen wirtschaftlichen Stärke ist es nicht verwunderlich, dass Südkorea nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Peking 1992 sofort mit Macht in den chinesischen Markt drang. Das Land ist mit fast elf Milliarden US-Dollar die von 1993 bis 2004 in das Reich der Mitte flossen, einer der größten ausländischen Investoren dort geworden. Vor allem kleine und mittlere Betriebe taten sich anfangs hervor. Etwa 11.000 sind es mittlerweile, die durch die Verlagerung besonders arbeitsintensiver Produktionsprozesse den hohen Löhnen des eigenen Landes entflohen sind.
Kostengünstig für den Export zu produzieren, hat auch die koreanische Großindustrie zunächst veranlasst, sich in China niederzulassen. Doch inzwischen sind dort auch Konzerne tätig, die, wie Hyundai, vor allem auf die entstehende Kaufkraft des chinesischen Inlandsmarktes setzen. Allgemein gilt: Keines der großen Konglomerate kann mehr auf China verzichten. Hergestellt werden Autos, Elektro- und Elektronikgeräte, Chips oder Kunststofferzeugnisse. Selbst Koreas Schiffbauindustrie, die die aufkommende chinesische Konkurrenz sehr ernst nimmt, zieht es in die Höhle des Drachen. Angesichts ausgelasteter Werften im Inland beginnt sie, Aufträge zum Bau technologisch weniger anspruchsvoller Schiffe von China aus zu bedienen.
Bisher gab es in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Südkorea viel Komplementarität. Die koreanische Exportwirtschaft profitiert, indem sie zum Beispiel Chemikalien, Stahl und alle Arten von Teilen und Komponenten dorthin liefert. Umgekehrt kommt China nicht nur in den Genuss hoher Ausfuhrerlöse, sondern wird durch den Strom an Kapital, Technologien und Knowhow in die Lage versetzt, auf der technologischen Leiter rasch nach oben zu klettern. So schafft Südkorea allerdings auch Konkurrenz für sich auf den Weltmärkten. Die Folgen sind in Seoul und anderen Orten zu besichtigen: Die "klassische" Textil- und Bekleidungsindustrie zum Beispiel verschwindet aus Südkorea mehr und mehr. Aber auch in technologieintensiveren Bereichen, ob im Schiffbau, in der IT- oder in der chemischen Industrie, holt China gegenüber Südkorea auf. Der jüngste Vorstoß ist in der Autoindustrie zu registrieren, in der China mit ersten Fahrzeugen auf den Weltmarkt kommt. Die Warnungen des koreanischen Finanz- und Wirtschaftsministers erscheinen also nicht unbegründet.
Auf die wachsende Rivalität reagiert Seoul mit einer Fülle von Aktivitäten. So versucht Südkorea vor allem, seine günstige geografische Lage zwischen China, Japan und Russland in einen wirtschaftlichen Vorteil zu verwandeln, indem es sich als Drehscheibe für den nordostasiatischen Raum anbietet. Und es gibt dabei unter vielen Vorhaben auch chancenreiche - so die Bemühungen, Südkorea zu einem regionalen Logistik-Zentrum zu machen.
Ein zweiter Schwerpunkt ist, das technologische Niveau der südkoreanischen Wirtschaft durch die Fokussierung auf zehn Wachstumsfelder anzuheben und gleichzeitig der heimischen Geschäftswelt auch in Zukunft Exportchancen zu sichern. Als neue Wachstumsmotoren wurden vor allem Technologien und Produkte bestimmt, die mit der IT-Industrie verbunden sind, so zum Beispiel Mobiltelefone der vierten Generation.
Drittens sondiert Südkorea die Möglichkeiten eines bilateralen Freihandelsabkommens mit China, denn es würde aus Sicht der Regierung in Seoul dem eigenen Land netto mehr Vor- als Nachteile bringen. So würden zum Beispiel in China tätige südkoreanische Unternehmen von Importzollsenkungen profitieren. Andererseits aber wäre in der Landwirtschaft Südkoreas wie auch in manchen traditionellen Industriezweigen des Landes mit sehr negativen Auswirkungen bei Produktion und Arbeitsplätzen zu rechnen.
Partnerschaft und Rivalität zwischen Südkorea und China zeigen sich auch in einer sehr schwierigen politischen Frage, dem Umgang mit Nordkorea. Präsident Roh Moo-hyun führt die Politik seines Vorgängers Kim Dae-jung fort und setzt im Umgang mit Pjöngjang vor allem auf Dialog und Kontakte. Hilfslieferungen von Reis oder Energie wie auch gemeinsame Projekte, allen voran der Industriekomplex im nordkoreanischen Kaesong unweit Seouls, haben vor allem den Zweck, einen plötzlichen Zusammenbruch des Nordens zu verhindern oder mindestens hinauszuzögern. Ähnliche Absichten verfolgt China. Mit ihrer auf möglichst viel Dialog ausgerichteten Politik steht die derzeitige südkoreanische Führung in deutlichem Gegensatz zur US-Regierung, die einen härteren Kurs fährt, um Pjöngjang zu Konzessionen in der Nuklearfrage zu zwingen, möglicherweise aber auch einen Regimewechsel in Nordkorea herbeizuführen. Präsident Roh und seine Regierung sind in einem Dilemma: Einerseits lehnen sie die wenig kompromissbereite Gangart der USA gegenüber Pjöngjang ab; andererseits brauchen sie deren militärischen Schutz gegenüber einem nie auszuschließenden Angriff des Nordens.
Sollte sich der Kandidat oder die Kandidatin der Opposition bei den nächsten südkoreanischen Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 durchsetzen, sind Akzentverschiebungen, jedoch keine grundsätzliche Umkehr in Seouls Nordkorea-Politik zu erwarten. Sicherlich wird der Ton Seouls gegenüber Pjöngjang weniger konziliant. Auch ist anzunehmen, dass der Süden für seine Leistungen mehr tatsächliche Gegenleistungen des Nordens verlangt. Mit solchen Verschiebungen könnte auch China gut leben. Ablehnen dürfte Peking aber eine Politik, die auf einen abrupten Führungswechsel im Norden mit sehr ungewissem Ausgang abstellt, würde dies doch die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel stark erhöhen.
Ein Kollaps Nordkoreas hätte auch im günstigsten Fall sowohl für Südkorea als auch China unabsehbare Folgen. Beide Länder müssten sich wahrscheinlich auf größere Flüchtlingsströme einstellen. Für Seoul stünde darüber hinaus sofort die Frage der Wiedervereinigung auf der Tagesordnung. Obwohl die Sanierung des Nordens der südkoreanischen Wirtschaft einen gewaltigen Schub geben würde, wären die finanziellen Lasten einer Vereinigung enorm hoch, ganz zu schweigen von den anderen Kosten, die das Zusammenwachsen von zwei über Jahrzehnte fast völlig voneinander isolierten Bevölkerungsteilen mit sich bringen würde.
Peking würde auch einem vereinigten Korea sehr schnell klarmachen, wer der "Chef im Ring" ist, und im Sinne von "Sadae" würde dies von Korea wohl auch akzeptiert. Dennoch könnte die Beilegung von Konflikten in Nordostasien schwieriger werden, wenn es China mit einem trotz der Belastungen vermutlich selbstbewussteren und wirtschaftlich noch stärkeren Korea zu tun hätte. Partnerschaft und Rivalität werden auch in Zukunft das Verhältnis beider Länder bestimmen.
Der Autor ist Mitarbeiter der Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) in Seoul.