Nûrhaci, der Stammvater der mandschurischen Herrschersippe Aisin Gioro, verglich einmal die Mongolen mit Wolken: "Wenn die Wolken sich zusammentun, so gibt es Regen, wenn die mongolischen Stämme sich zusammentun, so gibt es Armeen… Wenn die Zeit gekommen sein wird, dass sie auseinandergehen, werden wir ihnen nachsetzen und sie uns holen." Obwohl die heutige Mongolei mit ihren nur 2,5 Millionen Einwohnern für China schon lange keine militärische Bedrohung mehr darstellt, bewerten Pekings Strategen die Beziehungen zum nördlichen Nachbarn durchaus gemischt: Sowohl Vorteilhaftes als auch Nachteiliges sehen sie darin für China. Unterschwellig wirkt dabei noch immer die Erinnerung daran, dass die Äußere Mongolei zumindest bis 1911 mit China eng verbunden war. Diese löste sich jedoch mit russischer Hilfe nach 1911 aus dem chinesischen Staatsverband, erhielt einen autonomen Status, errang so ein großes Maß an Selbstständigkeit und schließlich sogar die Unabhängigkeit. Heute ist sie ein völlig souveräner und von der internationalen Gemeinschaft anerkannter und geschätzter Staat.
Die Mongolei verbindet mit China eine 4.677 Kilometer lange Staatsgrenze, die immerhin einem Fünftel der rund 20.000 Kilometer umfassenden Außengrenzen Chinas entspricht. In den chinesischen Grenzgebieten zur Mongolei leben Mongolen und Uiguren, nationale Minderheiten also, die in Pekings Augen mit Sicherheitsrisiken verbunden sind. Misstrauisch wacht die chinesische Führung über Kontakte der Mongolen der eigenen Provinz Innere Mongolei zu deren Stammesbrüdern in der unabhängigen Mongolei. Der Buddhismus, der sich dort seit 1990 wieder frei entfaltet, die Besuche des Dalai Lama in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar, die Demokratisierung und das pluralistische Parteiensystem in der Mongolei erzeugen bei der chinesischen Führung angesichts der wachsenden sozialen Spannungen und der verschleppten Demokratisierung in der Volksrepublik äußerstes Unbehagen. Dass die Mongolei in diesem Jahr den 800. Jahrestag der Gründung des Großmongolischen Reiches begeht und dabei das Volk zu Patriotismus und Bewahrung der eigenen Kultur und Traditionen aufruft, verstärkt dieses Unbehagen erheblich. Mongolische Politiker denken auch mit gemischten Gefühlen an ihren Nachbarn im Süden. Es gibt die unausgesprochene Furcht, dass "Reich der Mitte" könnte im Sinn haben, die Mongolei zu beherrschen.
Die geografische Einbettung der Mongolei zwischen Russland und China und die Erfahrung, dass in der Vergangenheit beide Nachbarn die Geschicke des Landes zum Teil extrem zu dominieren versuchten, waren der Grund dafür, dass die mongolische Führung ihre Außenpolitik nach dem politischen Wandel im Jahr 1990 neu definierte. Ulaanbaatar strebte ausgewogene Beziehungen zu beiden Nachbarn an und zugleich eine schnelle Annäherung an den Westen. Als der amerikanische Außenminister James Baker 1990 ihr Land besuchte, fragten die Mongolen nach, ob die USA nicht die Rolle eines "dritten Nachbarn" übernehmen könnte. Ihre Absicht dabei war, die Beziehungen zu den beiden Nachbarn mit einer Annäherung an die USA auszubalancieren. Neue Grundsatzverträge mit Russland (1993) und China (1994) stellten die Beziehungen der Mongolei zu den Nachbarn schließlich auf ein neues vertragliches Fundament.
Die Unterzeichnung des "Vertrages über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit" mit China im Jahr 1994, in dem unter anderem die "gegenseitige Anerkennung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität" vereinbart wurde, war für die Mongolei von besonderer Bedeutung. Beide Seiten normalisierten ihr Verhältnis zueinander, schufen einen rechtlichen Rahmen und infrastrukturelle Grundlagen für die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen. Der Außenhandelsumsatz zwischen beiden Ländern stieg von 97,1 Millionen US-Dollar im Jahr 1994 auf 285,7 Millionen US-Dollar im Jahr 1999 an. China begann, in der Mongolei zu investieren. 1998 stammten bereits 21 Prozent der Gesamtinvestitionen in der Mongolei aus China. Präsident Jiang Zemin leitete während seines Staatsbesuches in der Mongolei 1999 eine qualitative Wende ein. China sprach von "Beziehungen der gegenseitigen Kompensation".
Der Wandel hatte seinen Grund. Das neue Sicherheitskonzept Chinas definierte Wirtschaftswachstum und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung als die wichtigsten Säulen der nationalen Sicherheit. Die Mongolei mit ihren Bodenschätzen gewann angesichts der explodierenden Weltmarktpreise für Rohstoffe an strategischer Bedeutung. Von 1999 bis 2002 verdoppelte sich das bilaterale Handelsvolumen auf 388,2 Miillionen US-Dollar. China erhöhte seine Investitionen in der Mongolei. 2001 gab es dort bereits 553 chinesische Unternehmen mit einem Investitionsvolumen von 103,75 Millionen US-Dollar. Zwei Jahre später zählten mongolische Behörden 850 Unternehmen mit einem Investitionsaufkommen von 280 Millionen US-Dollar. Die Volksrepublik entwickelte sich somit zum größten Außenhandelspartner der Mongolei und zum größten Investor dort. Beim China-Besuch des mongolischen Premiers Nambaryn Enchbajar im Jahr 2002 charakterisierte sein Amtskollege Zhu Rongzhi die Beziehungen als die eines "entfernten Verwandten zu einem nahen Nachbarn", eine Äußerung, die in Ulaanbaatar damals eher Unbehagen verursachte. Doch Enchbajar brachte auch eine wichtige Erkenntnis mit. Er erklärte: "China erhöht durch sein Wachstum seinen Bedarf. Bedarf heißt, es braucht Kupfer, Eisen und andere Rohstoffe."
Aber Peking begann, die wirtschaftlichen Hoffnungen der Mongolen mit politischen Forderungen zu dämpfen. Chinas Botschafter Gao Shumao warnte, dass Besuche des Dalai Lama in der Mongolei auf deren Beziehungen zu Peking einen negativen Einfluss ausüben würden. Vor allem aber beunruhigte China das wachsende Engagement der USA und anderer westlicher Staaten. Das neue Staatsoberhaupt der Volksrepublik, Hu Jintao, besuchte bei seiner ersten Auslandsreise im Jahr 2003 demonstrativ zuerst die Mongolei. Er hob die bilateralen Beziehungen auf die Ebene "einer gutnachbarlichen, einander vertrauenden Partnerschaft" und stellte einen Kredit in Höhe von 300 Millionen US-Dollar in Aussicht. Moskau gewährte der Mongolei fast zeitgleich den Erlass ihrer Altschulden in Höhe von 11,4 Milliarden US-Dollar.
China und Russland, die beiden strategischen Partner der Mongolei, forderten Ulaanbaatar auf, der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit beizutreten. Die mongolischen Polit-Planer blieben reserviert, weil der Beitritt das "Viel-Pfeiler-Konzept" ihrer Außenpolitik in Frage gestellt hätte. Die Mongolei fand einen diplomatischen Ausweg: Sie nahm in der Shanghai-Organisation einen Beobachterstatus an und intensivierte ihre Beziehungen zum Westen. Peking nahm sich darauf mit der Kreditvergabe Zeit. Seine Vertreter tischten die Dalai-Lama-Problematik auf und wollten China den Zugang zum neu entdeckten Kupferlager Ojuutolgoj in der Mongolei sichern, einem der größten der Welt. Pekings Botschafter Gao Shumao erklärte in der mongolische Presse: "China ist nicht das Mandschu-Reich… nicht die alte Republik China. China ist ein neues sozialistisches Land. Wir verfolgen eine neue friedliche Außenpolitik."
Die Mongolei ging auf die Offerten ein. Die Chance, mit den eigenen Bodenschätze am chinesischen Wirtschaftswachstum teilzuhaben, war zu verlockend. Als der mongolische Präsident Enchbajar 2005 China einen Staatsbesuch abstattete, prangten in mongolischen Zeitungen Überschriften wie "Wir wollen uns zusammen entwickeln". Während des Gipfels wurde dann das Abkommen über den von Hu Jintao zugesagten 300 Millionen USD-Kredit abgeschlossen. Doch in Ulaanbaatar wuchsen zur selben Zeit antichinesische Stimmungen. Aktivisten der nationalistischen Bewegung "Dajaar Mongol" schmierten an Häuserwände "Man darf keinen Menschen töten, Chinesen aber schon". Sie wurden lediglich verwarnt. Der Einfluss Chinas auf die Mongolei als deren größter Handelspartner, Investor und nun auch Geber nimmt zu. Im Stadtbild von Ulaanbaatar sind immer mehr Chinesen zu beobachten. Die Zahl der Mongolen aber, die dieser Entwicklung misstrauisch gegenübersteht, wächst.
Der Autor ist Mongolist, Ulanbaatar.