Durch die Teilnahme von Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, dessen Land bei der SOZ Beobachterstatus hat und nun eine Vollmitgliedschaft anstrebt, erfuhr die Organisation eine bis dahin nicht gekannte Aufwertung. Noch bevor der Gipfel stattfand, wurde der geplante Auftritt Ahmadinedschads heftig kritisiert: "Es scheint mir sehr merkwürdig, dass eine Organisation, die sich gegen den Terrorismus ausspricht, die führende terroristische Nation der Welt, den Iran, aufnehmen will", sagte der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Anfang Juni.
Ahmadinedschad vermied es bewusst, sich in seiner Rede in Schanghai zu dem schwelenden Atomstreit zu äussern. Er schlug dem öldurstigen China und den anderen SOZ- Mitgliedsstaaten, die sich in ihrer Kooperation bisher vor allem auf die Themen Sicherheit, Stabilität sowie Wirtschaft und Handel konzentrieren, vielmehr vor, eine engere Kooperation im Energiesektor einzugehen. Dazu lud er die Energieminister zu einem Treffen in den Iran ein, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei der Erschließung und Entwicklung von Energiequellen zu diskutieren. Die SOZ könne zu einer "starken und einflussreichen" Organisation in der Wirtschaft, der Politik und im Handel werden, erklärte Ahmadinedschad und rief die SOZ-Staaten gleichzeitig dazu auf, sich gegen äußere Einflussnahmen zu schützen. Das war offensichtlich gegen die Vereinigten Staaten gerichtet.
Mit diesen Worten zog der iranische Präsident die internationale Aufmerksamkeit auf sich und stellte Chinas Staatschef und Gastgeber Hu Jintao sowie Russlands Präsidenten Wladimir Putin, die üblicherweise die Schanghai-Gipfel dominieren, in den Schatten. Amerikanische Beobachter reagierten sogleich besorgt auf Ahmadinedschads Vorschlag, dass der Iran, viertgrößter Erdölproduzent der Welt, eine Energie-Allianz mit Russland und China eingehen könnte. Russland ist der größte Erdgas- und zweitgrößte Erdölproduzent der Welt und China einer der am schnellsten wachsenden Absatzmärkte für Öl und Gas. Die mögliche Erweiterung der SOZ um den Iran und die Aussicht auf Bildung einer "asiatischen OPEC" mit Atomwaffen würde, so fürchten die Amerikaner, Washingtons geopolitische Strategie im Nahen Osten und in Zentralasien durchkreuzen. Neben dem Iran gibt es drei weitere mögliche Beitrittskandidaten - Indien, Pakistan und die Mongolei -, die bei der SOZ ebenfalls Beobachterstatus haben.
Ob der überraschende Vorstoß Ahmadinadscheds im Sinne und Interesse der jetzigen SOZ-Mitglieder war oder ob der iranische Präsident damit nicht hauptsächlich Rückendeckung gegen die zunehmende politische Isolierung seines Landes suchte, ist noch offen. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums meinte etwas säuerlich, dass sich die Medienberichterstattung mehr auf die Feierlichkeiten zum fünf-jährigen Jubiläum der SOZ als auf den Iran hätte konzentrieren sollen.
Die Schanghai Organisation für Zusammenarbeit hat seit ihrem Bestehen - auch ohne den Iran - eine Projektionsfläche geboten für westliche Ängste vor dem Aufstieg der Länder Eurasiens zu einem mächtigen antiamerikanischen Militärblock und Energiemonopolisten geboten. Obwohl SOZ-Generalsekretär Zhang Deguang nachdrücklich versicherte, dass dies keineswegs das Ziel der Schanghai-Organisation sei und man mit keinem Land eine Konfrontation suche, wird das Regionalbündnis von Staaten, in denen fast ein Viertel der Menschheit lebt, als potenzielle Bedrohung wahrgenommen.
Tatsächlich ist die SOZ im Westen bisher stark überbewertet worden. Auch wenn zweifellos alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass sie in wenigen Jahren ein wichtiger regionaler Machtfaktor sein könnte, hat sie bis heute erstaunlich wenig bewirkt. Ihre Staatschefs treffen sich im Ein-Jahres-Turnus in einem der Mitgliedsländer - 2007 in Kirgisien - und geben allgemeine Erklärungen über Sicherheitskooperationen und Wirtschaftszusammenarbeit ab. Mehr hörte man von ihr in der Regel in der Öffentlichkeit nicht.
Die SOZ hat ihren Ursprung in einem 1996 gegründeten lockeren Staatenbund, der damals Schanghai-Fünf hiess (noch ohne Usbekistan) und die Lösung der Grenzfrage zwischen China und den angrenzenden Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie Truppenreduzierungen zur Aufgabe hatte. Nach erfolgreichem Abschluss der schwierigen Verhandlungen ging auf Chinas Anregung hin im Juni 2001 aus ihr die SOZ hervor.
Die Terroranschläge des 11. September 2001 in den USA und der anschließende Sieg der von Washington geführten Anti-Terrorkoalition über die Taliban in Afghanistan - im Hinterhof der SOZ - stellten die Organisation vor ihre erste Bewährungsprobe und wurden zu Schlüsselereignissen für ihre weitere Entwicklung. Auf einem regulär geplanten Treffen der Premierminister der SOZ-Staaten am 14. September in Almaty (Kasachstan), wurden die Anschläge scharf verurteilt. Aber erst im Januar 2002, nachdem die Taliban bereits besiegt waren und die USA in Kirgistan und Usbekistan Militärbasen errichtet hatten, meldete sich die Schanghai-Organisation wieder zu Wort - und hatte sich damit in Zentralasien als irrelevant erwiesen.
Ein neuer Schwerpunkt der SOZ wurde nun der konsequente Kampf gegen die sogenannten "three evil forces": Terrorismus, Extremismus und Separatismus. Wobei diese "bösen Mächte" je nach lokaler Situation und politischer Interessenlage unterschiedlich definiert werden.
Für China fallen die nach Unabhängigkeit strebenden Uighuren in der westlichen Provinz Xinjiang unter diese Rubrik. Für Russland sind es die Tschetschenen und für Usbekistan jegliche Andersdenkenden, die durchweg als "islamische Fundamentalisten" gebrandmarkt werden. Da jeder Staat auf seinem Territorium nach eigenem Ermessen dagegen vorgehen kann, wurde Usbekistan für das brutale Niederschlagen von Unruhen in Andischan im Mai 2005, die offiziell als Terrorismus bezeichnet wurden, von den SOZ-Mitgliedstaaten nicht verurteilt.
Das Drängen der Europäischen Union und der USA nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung wurde von Usbekistan kategorisch abgelehnt und führte dazu, dass der unter Druck gesetzte Präsident Islam Karimow Rückhalt bei der Schanghai-Organisation suchte.
Dies bot China und Russland die langersehnte Gelegenheit, sich der für sie in Zentralasien unerwünschten Amerikaner zu entledigen. Beim Jahrestreffen der SOZ-Staatschefs im Juli 2005 in der kasachischen Hauptstadt Astana zeigte sich zum ersten Mal, dass ihre Deklarationen mehr als nur leere Worthülsen sein können. Die Vereinigten Staaten wurden aufgefordert, einen Zeitplan für den Rückzug ihrer Truppen aus Zentralasien vorzulegen. Bis Ende des vergangenen Jahres hatte das amerikanische Militär Usbekistan verlassen. Das verarmte Kirgistan entzog sich hingegen später dem Schulterschluss in der SOZ und forderte statt dessen von den Amerikanern hundertfach höhere Mietzahlungen für ihre Militärbasis. Die Verhandlungen darüber dauern noch an.
Für China und Russland ist die SOZ unter anderem ein Vehikel, ihre Energieinteressen in Zentralasien, insbesondere in Kasachstan, zu wahren und sich dabei gegenseitig zu kontrollieren. Moskau beobachtet mit Argwohn, wie schnell Chinas wirtschaftliche Interessen in Zentralasien in den vergangenen Jahren gewachsen sind.
Die politische und strategische Bedeutung der SOZ liegt daher zunehmend stärker in der Bewahrung der Machtbalance zwischen China und Russland als im Austarieren der Kräfte dieser beiden Staaten und der ganzen Schanghai-Organisation einerseits und dem Westen andererseits. Möglicherweise hat Ahmadinedschad mit seinem Vorschlag der Koordinierung eines russisch-chinesisch-iranischen Öl- und Gasbogens eine Gangart eingeschlagen, die für die SOZ zu schnell ist. Aber er hat eine Perspektive aufgezeigt, welche die Schanghai-Staaten langfristig sicher nicht ignorieren können.
Die Autorin ist Korrespondentin des "Economist" in Almaty, Kasachstan.