Ein Schwerpunkt der bevorstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird Zentralasien sein. Seit dem Sturz der Taliban 2001 werden zu dieser Region nicht nur Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan gezählt, sondern auch vermehrt Afghanistan. Da ohne die aufstrebende Weltmacht China eine stabile Entwicklung der Region kaum denkbar ist, wird auch die Volksrepublik von der EU in ihre Zentralasien-Strategie mit einbezogen.
China ist bereits an vielen internationalen Projekten regionalen oder transkontinentalen Charakters beteiligt. Fast reflexartig werden diese unter der Rubrik "Das Projekt Seidenstrasse" subsumiert. So tagte Anfang Juni das erste "Investitionsforum Seidenstraße" in Xian. Die Wahl dieser Stadt im Nordwesten Chinas hatte symbolischen Charakter: Dort hatte die legendäre Seidenstraße - um 150 vor bis ins 6. Jahrhundert nach Christus - ihren Ausgangspunkt.
Teilnehmer an dem Investitions-Forum waren Vertreter der chinesischen und zentralasiatischer Regierungen, Unternehmen sowie nichtstaatlicher und internationaler Organisationen. Erörtert wurden die Chancen für eine bessere Kooperation zwischen China, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan - Turkmenistan beteiligte sich nicht - zur Förderung von Handel, Investitionen und Tourismus in der Region. Die Initiative zur Gründung eines solchen Forums, das fortan jährlich in einem der Länder der Region stattfinden soll, ging von den Verantwortlichen mehrerer UN-Entwicklungsprogramme aus. Insbesondere von der UNDP und regionalen Kooperationsorganisationen im Rahmen der so genannten Silk Road Initiative wurde ein solcher Schritt unterstützt und vorangetrieben.
Hintergrund für die Anstrengungen der UNDP und anderer internationaler Gremien zur Förderung solcher zentralasiatisch-chinesischer Projekte bildet folgende Überlegung: gekoppelt an die Wirtschaftslokomotive China sollen wie zu Zeiten der alten Seidenstraße ökonomischer Aufschwung und Prosperität in der ganzen Region Einzug halten. Als Nebeneffekt könnte die Verantwortung der Regierung in Peking für die Sicherheit und die Krisenprävention in der Region wachsen. Vor zu viel Euphorie scheinen einige kritische Anmerkungen angebracht. Denn oft wird übersehen, dass es sich bei Zentralasien nicht um ein homogenes Staatengebilde, sondern um sechs politisch wie wirtschaftlich durchaus unterschiedliche Länder handelt. Fraglich ist zudem, ob bei der augenblicklichen Verteilung der wirtschaftlichen Kräfte ein annähernd ausgewogener Handelsaustausch zwischen China und Zentralasien möglich ist.
Bis jetzt haben sich alle Prozesse in diese Richtung eindeutig zugunsten der Volksrepublik China entwickelt. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sich diese Kluft zwischen China und seinen westlichen Nachbarn in Zukunft schließen könnte. Ein Blick auf die Statistik des Handels zwischen China und den einzelnen zentralasiatischen Staaten dämpft schnell allzu große wirtschaftliche Hoffnungen auf das "Projekt Seidenstrasse".
Zunächst fällt auf, dass es für die vergangenen zwei Jahre keine zuverlässige Statistik gibt. Vielmehr muss auf die für das Jahr 2003 mehrfach verifizierten Angaben von verschiedenen Finanzinstitutionen - IWF, Weltbank, Asian Development Bank - zurück-gegriffen werden. Wie die Prognosen und Analysen zeigen, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Situation in den vergangenen Jahren nicht signifikant geändert hat.
Mit einem Anteil von 86,4 Prozent des gesamten Warenaustauschs zwischen China und Zentralasien ist Kasachs-tan mit Abstand der größte Handelspartner Chinas. So betrug im Jahre 2003 das bilaterale Handelsvolumen 2,856 Milliarden US-Dollar. Allerdings ist der Warenaustausch auf wenige Güter konzentriert. Mehr als 80 Prozent aller kasachischen Einfuhren nach China machten Rohstoffe - 58 Prozent Energieträger, 24 Prozent Buntmetalle - aus, während 78 Prozent aller Einfuhren Kasachstans aus China Fertiggüter - 69 Prozent Maschinenbauerzeugnisse und neun Prozent Lebensmittel - waren.
Einen noch höheren Anteil haben Energieträger in der chinesisch-turkmenischen Handelsbilanz mit einem Gesamthandelsvolumen von rund 122,7 Millionen US-Dollar. So bestanden die turkmenischen Exporte nach China zu 83 Prozent aus Energieressourcen, während 60 Prozent aller Einfuhren Turkmenistans aus China Maschinenbauerzeugnisse waren. Selbst Kirgistan, ein Land mit nur wenigen Bodenschätzen, lieferte überwiegend Rohstoffe an China - Gesamthandelsvolumen: rund 100 Millionen US-Dollar. 60 Prozent aller kirgisischen Exporte bestanden aus Metallabfällen aus der Verarbeitung von Schwarz- und Buntmetallen. Umgekehrt wurde das Land der "Tulpenrevolution" zu einem wichtigen Absatzmarkt für chinesische Konsumgüter und Lebensmittel. Diese machten 65 Prozent der kirgisischen Importe aus. Elf Prozent der chinesischen Exporte nach Kirgistan waren Maschinenbauerzeugnisse. Das kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass in Kirgistan der industrielle Sektor stärker geschrumpft ist als in den übrigen Ländern Zentralasiens. Der chinesisch-tadschikische Handel war 2003 mit einem Volumen von gerade einmal etwa 15 Millionen US-Dollar nahezu bedeutungslos.
Grund dafür ist vor allem der Bürgerkrieg, der in Tadschikistan in der ersten Hälfte der 90er-Jahre geführt wurde. Unbestätigten Informationen zufolge verzehnfachte sich dieser Warenaustausch allerdings nach der Einweihung eines Transportkorridors im Herbst 2004. Nahezu belanglos war der Handel zwischen Afghanistan und China. Einzig die Handelsbilanz zwischen China und Usbekistan erscheint nahezu ausgewogen. 2003 betrug das Gesamtvolumen rund 346 Millionen US-Dollar. Usbekistan exportierte Dienstleistungen (48,2 Prozent), Maschinenbauerzeugnisse und Industrieausrüstung (19 Prozent), Nahrungsmittel (4,6 Prozent), Energieträger und Baumwolle (mit je vier Prozent), sowie Buntmetalle (1,2 Prozent). Der Warenkorb der chinesischen Lieferungen bestand zu 47,7 Prozent aus Maschinenbauerzeugnissen, zu 18,7 Prozent aus Erzeugnissen der chemischen Industrie, zu 8,9 Prozent aus Nahrungsmitteln und zu 8,6 Prozent aus Dienstleistungen. Der chinesisch-usbekische Handel dürfte infolge der gewaltsamen Unterdrückung der Unruhen in der usbekischen Stadt Andischan im Mai 2005 weiter zugenommen haben. Denn die Regierung Usbekistans steht wegen des damaligen brutalen Vorgehens unter internationalem Druck und reagierte darauf unter anderem mit außenpolitischer Neuorientierung.
Die Volkswirtschaften der zentralasiatischen Staaten weisen auch 15 Jahre nach der Unabhängigkeit große institutionelle und strukturelle Schwächen auf. Darüber hinaus bestehen in der Region zahlreiche offizielle wie auch inoffizielle Handelsbarrieren und -restriktionen. Hinzu kommt, dass innerhalb eines jeden Landes zum Teil stark divergierende Regelungen für den Innen- wie auch den Außenhandel gelten. Die große Entfernung von wichtigen Transportwegen zu den Weltmärkten erschwert die Gesundung der Volkswirtschaften zusätzlich. Waren die zentralasiatischen Republiken vormals Rohstofflieferanten für Moskau, so könnten sie es nun für Peking werden. Allerdings wäre damit ein Abbau ihrer eigenen verarbeitenden Industrie verbunden. Eine solche ökonomische Perspektive bei grassierender Arbeitslosigkeit in diesen Staaten birgt die Gefahr wachsender politischer Instabilität, wovon nicht zuletzt auch China betroffen wäre.
Vor allem die an Zentralasien grenzende Provinz Xinjiang mit einer überwiegend muslimischen Bevölkerung könnte der Regierung in Peking noch größere Probleme bereiten als es ohnehin schon der Fall ist. Statt die gewünschte Stabilität an den Westgrenzen zu sichern, könnte Peking dort bald vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen stehen. Diese Risiken könnten einerseits durch die Förderung der zentralasiatischen Integration und durch Technologie- und Know-how-Transfer verringert werden. Andererseits müssten Projekte wie der von der EU unterstützte transkontinentale Transportkorridor von Europa über den Kaukasus nach Asien - TRACECA - stärker belebt und andere von der "Silk Road Initiative" eingeleitete Maßnahmen intensiviert werden. Eine einseitige Ausrichtung von Handelsflüssen könnte so verhindert werden, um Prosperität und Stabilität in der Region zu steigern.
Der Autor ist freier Journalist, Berlin.