Für die Atommacht China hat der Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in den vergangenen 15 Jahren an Bedeutung gewonnen. Pekings Interesse an der Nonproliferation atomarer, biologischer und chemischer Waffen ist Resultat von innen- und außenpolitischer Faktoren.
Im "Weißbuch zur Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung" der chinesischen Regierung von September 2005 heißt es, dass China "dauerhaft ein stabiles Umfeld benötigt", um die eigene wirtschaftliche Entwicklung abzusichern. Gerade die ungestörte Versorgung mit Erdöl und Erdgas ist dafür wichtig. Eine unkontrollierte Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verursacht aber nicht nur Instabilität, sondern könnte China auch zwingen, stärker aufzurüsten.
Spätestens seit dem 11. September 2001 ist die Nonproliferation ein Hauptziel der amerikanischen Außenpolitik. Die USA bleiben trotz strategischer Konflikte der mit Abstand wichtigste Handelspartner Pekings und sind Fixstern seiner Außenpolitik. Die Nonproliferation eignet sich aus chinesischer Sicht hervorragend, um sich als verlässlicher und berechenbarer Partner Washingtons zu beweisen.
Obwohl Chinas strategische Interessen also für eine Zusammenarbeit mit dem Westen bei der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sprechen, weicht die außenpolitische Praxis gelegentlich von dieser Theorie ab. Gründe dafür sind der Wunsch Chinas als Kernwaffenstaat und Regionalmacht eigene Interessen durchzusetzen sowie das Bestreben, nicht als Objekt westlicher Politik behandelt zu werden und auch die selbst zugewiesene Rolle als Meinungsführer der Entwicklungsländer.
Ein nuklear bewaffnetes Nordkorea ist Pekings außenpolitischer Albtraum. Sollte Kim Jong Il tatsächlich über Kernwaffen verfügen, würde die amerikanische Militärpräsenz in der Region zementiert. Die atomaren Ambitionen Nordkoreas stärken schon jetzt diejenigen Kräfte in Japan, Südkorea und Taiwan, die auf eine eigene nukleare Bewaffnung drängen. Weitere atomare Rüstungswettläufe in Asien drohen.
Während die Bush-Administration die möglichst vollständige Isolierung Nordkoreas will, fürchtet Peking, dass zuviel Druck das kommunistische Regime implodieren lassen könnte. Erst Chinas beharrliche Vermittlungstätigkeit hat Nordkorea und die USA im Frühjahr 2003 an einen Tisch gebracht. Damit ist das Regime in Pjöngjang dem großen Ziel einer Anerkennung durch die USA ein Stück näher gekommen. Im Rahmen des von China moderierten Sechs-Parteien Dialogs, an dem auch die Regionalstaaten Japan, Russland und Südkorea beteiligt sind, einigten sich beide Seiten im September 2005 zumindest auf einen Rahmen für die Denuklearisierung Nordkoreas. Das war noch kein Durchbruch, aber ein wichtiger Etappenerfolg chinesischer Diplomatie.
Chinas Iran-Politik steht unter energiepolitischem Vorzeichen. Iran ist Chinas zweitgrößter Erdöllieferant. Und die Bedeutung des Landes für Chinas Energieversorgung wird weiter wachsen. Eine Zuspitzung des Nuklearkonflikts und die Verhängung von Sanktionen gegen Iran würden diese Kooperation gefährden.
Aus Angst vor einem Konflikt mit Washington schreckt Peking trotzdem davor zurück, im Atomstreit die Seite Teherans zu ergreifen. Bereits 1997 kündigte China auf amerikanischen Druck die Zusammenarbeit mit dem Iran im zivilen Nuklearsektor. China fürchtet zudem, dass ein Kernwaffenstaat Iran den gesamten Nahen Osten destabilisieren könnte. Aus dieser Region importiert China bereits jetzt mehr als die Hälfte seines Öls.
Sollte der Weltsicherheitsrat über Sanktionen oder gar Militärschläge gegen den Iran entscheiden, befände Peking sich in einer diplomatischen Zwickmühle. Chinas Zustimmung zu Zwangsmaßnahmen würde iranische Gegenreaktionen heraufbeschwören. Ein Nein der Vetomacht wäre gleichbedeutend mit einem Bruch mit den USA. So hat Peking im Februar 2004 zwar der Überweisung der iranischen Atomakte an den Sicherheitsrat zugestimmt, verzögert aber seitdem eine Debatte über Strafmaßnahmen. Es ist aus chinesischer Sicht eine glückliche Fügung, dabei im Windschatten Moskaus segeln zu können. Wladimir Putin teilt Pekings Ablehnung von Sanktionen, scheut aber im Gegensatz zum chinesischen Präsidenten Hu Jintao nicht die amerikanische Kritik für diese Haltung.
Als der indische Premierminister Manmohan Singh und US-Präsident George W. Bush am 18. Juli 2005 bekannt gaben, dass beide Länder auf dem Gebiet der zivilen Nukleartechnologie wieder zusammenarbeiten wollen, hätten in Peking die Alarmglocken schrillen müssen. Es ist kein Geheimnis, dass Washington mit dieser Kooperation Indien als strategischen Partner aufwerten will. Diese Allianz ist langfristig vor allem gegen China gerichtet.
Die geplante Aufhebung der seit 30 Jahren bestehenden Nuklearsanktionen würde es Neu Delhi erlauben, schneller als bisher atomar aufzurüsten. Damit droht eine Destabilisierung des atomaren Gleichgewichts in der Region, denn indische Atomwaffen bedrohen nicht nur China sondern auch das mit der Volksrepublik verbündete Pakistan.
Trotzdem reagierte Peking erstaunlich gelassen auf die indo-amerikanische Allianz-Bildung. Zwar kritisierte das chinesische Außenministerium, dass die USA mit der Lieferung von Nukleartechnologie gegen geltende Regeln verstoßen würden. Schärfere Proteste aber blieben aus. Diese Zurückhaltung ist Ergebnis einer nüchternen Interessenabwägung. Jenseits des Strebens nach regionaler Vormachtsstellung sind China und Indien schon lange an einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen interessiert. Ein Versuch Pekings, das Bush-Atomabkommen mit Indien zu torpedieren, hätte zudem das Verhältnis zu den USA belastet.
Im übrigen haben Pakistan und China beim Staatsbesuch des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf Ende Februar in Peking mehrere Kooperationsabkommen unterzeichnet, die unter anderem. auch die Lieferung von zwei Nuklearreaktoren umfassen.
Operativ ist Chinas Nichtverbreitungspolitik vor allem Resultat der Ad-hoc-Abwägung innen- und außenpolitischer Interessen. Grundsätzlich und völkerrechtlich verbindlich hat Peking auf den Besitz biologischer und chemischer Waffen verzichtet. Dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag ist China 1992 als letzter anerkannter Kernwaffenstaat beigetreten.
Chinas Atomwaffenpolitik beruht auch auf der Einsicht, dass es ein Wettrüsten mit den USA nicht gewinnen könnte. Peking sieht die eigenen Nuklearstreitkräfte vor allem als Abschreckung eines möglichen Angreifers. Die Volksrepublik ist auch die bisher einzige Atommacht, die vorbehaltlos auf den Ersteinsatz von Kernwaffen verzichtet hat. Angesichts des fortgesetzten amerikanischen Strebens nach nuklearer Überlegenheit, möchte China aber die Option auf die Entwicklung neuer Atomwaffen nicht völlig aufgeben. Auch deswegen hat es das internationale Abkommen über ein Verbot von Atomtests bisher nur paraphiert, aber nicht ratifiziert.
Probleme bei der Umsetzung seiner Nichtverbreitungsverpflichtungen hat China, wenn Transparenz nach innen gefordert ist. Spät, erst 2003, veröffentlichte Peking ein erstes Weißbuch zur Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung und setzte damit überprüfbare Standards für die chinesische Politik in diesem wichtigen Feld. Inspektionen, wie sie Rüstungskontrollabkommen vorsehen, sind für China immer dann ein rotes Tuch, wenn sie im eigenen Land stattfinden sollen.
Mängel gibt es auch bei der Umsetzung internationaler Standards bei Ausfuhr von Gütern, die zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen oder Raketen genutzt werden können. Der für Nichtverbreitung zuständige Staatssekretär im US-Außenministerium, Stephen Rademaker, beschuldigte Peking noch im März 2006 der fortgesetzten "unverantwortlichen Verbreitung" von solcher Technologie an "Schurkenstaaten". In diesem Zusammenhang sind den USA insbesondere Chinas Kontakte mit Pakistan und Iran ein Dorn im Auge.
Wenn Chinas Nichtverbreitungs-Politik auch verlässlicher geworden ist, so steht eine grundsätzliche Entscheidung Pekings noch aus, Abrüstung und Rüstungskontrolle notfalls anderen Zielen unterzuordnen.
Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und Internationaler Repräsentant und Korrespondent der Arms Control Association, Berlin.