Wenn es in den vergangenen Monaten in den Medien um Kinder und Jugendliche ging, waren das meist keine schönen Geschichten: misshandelte, verwahrloste, beinahe verhungerte Kinder, amoklaufende Jugendliche, prügelnde Schüler. Der Kinderschutzbund schätzt, dass jährlich 100.000 Kinder misshandelt werden. 2,5 Millionen Kinder sollen unter der Armutsgrenze leben. Darüber, dass dagegen etwas getan werden muss, sind sich nicht nur die Bundestagsabgeordneten einig. Bei der Frage, wie das geschehen soll, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Am 19. Januar debattierten die Parlamentarier die Situation der Kinder und Jugendlichen in Deutschland auf Basis des Zwölften Kinder- und Jugendberichts. Schwerpunkt dieses Berichts sind die Themen Bildung, Betreuung und Erziehung vor und neben der Schule. Geleitet wird der Bericht von der Idee, dass künftig öffentliche Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote in einem besseren Zusammenspiel von privater und öffentlicher Verantwortung organisiert werden müssen. Bisher mache es den Anschein, als seien in Deutschland Betreuung, Erziehung und Bildung eher als ein zusammenhangloses Nacheinander konzipiert und nicht als eine aufsteigende und vernetzte Abfolge im kindlichen Lebenslauf, heißt es in dem Bericht. Für einen solchen ganzheitlichen Erziehungs- und Bildungsansatz empfehlen die Sachverständigen beispielsweise, die Möglichkeiten zu Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder im ersten Lebensjahr öffentlich zu unterstützen, den Rechtsanspruch auf öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung auf Kinder unter drei Jahren zu erweitern, ganztägige Angebote für Kinder und Jugendliche im Schulalter einzuführen und die Aus- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte zu reformieren.
Fraktionsübergreifend begrüßten die Abgeordneten den Bericht. Er schaffe die Grundlage, für Kinder, Jugendliche und Erzieher künftig eine "ordentliche Politik" zu machen, lobte beispielsweise Thomas Dörflinger (CDU/CSU). Seine sozialdemokratische Kollegin Nicolette Kressl warnte jedoch: "Wir können gesetzlich so viel beschließen wie wir wollen, wenn wir nicht auf Vernetzung und Verzahnung setzen, dann vermitteln wir den Scheineindruck einer Lösung." In einem mit den Koalitionsstimmen angenommenen Antrag ( 16/2754 ) nennen die Koalitionsparteien den Ausbau der Kinderbetreuung und die Förderung der Erziehungskompetenz als wichtige Ziele ganzheitlicher Familienpolitik. Konkretere Forderungen sowohl in der Debatte als auch in zwei Entschließungsanträgen ( 16/827 , 16/4082 ) und zwei Anträgen ( 16/817 , 16/2077 ), die allesamt abgelehnt wurden, formulierte die Opposition. Während Diana Golze für Die Linke einen Rechtsanspruch auf Betreuung für alle Kinder von Geburt an forderte - zur Finanzierung schlägt ihre Fraktion eine Börsenumsatzsteur vor -, kritisierte die Grüne Ekin Deligöz: "Wir müssen Familien fördern und nicht den Trauschein." Die vollständige Absetzbarkeit von Betreuungskosten, Nachbesserungen beim Elterngeld und eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen forderte Ina Lenke von der FDP. Mit dieser Forderung ist sie gar nicht so weit von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) entfernt. "Wir müssen lernen, innerhalb der föderalen Ordnung immer wieder Grenzen zu überwinden", hob diese hervor. Das zum Jahresbeginn eingeführte Elterngeld bezeichnete von der Leyen als Meilenstein. Nichtsdestoweniger müsse das System von Betreuung, Erziehung und Bildung ausgebaut, flexibilisiert, qualitativ verbessert und dabei der Anteil der Eltern an der Finanzierung gesenkt und der Beitrag der öffentlichen Hand gesteigert werden.
Dem Deutschen Kinderschutzbund geht all das nicht weit genug. Alles schöne Gerede über den unumstrittenen Kinder- und Jugendbericht sei wertlos ohne zeitliche Festlegung oder verbindliche Quoten, bis wann welche Ziele umgesetzt sein sollen, kritisiert Professor Hubertus Lauer, Vize-Präsident des Kinderschutzbundes.