Politische Bildung
Entwicklungen von der Antike bis zur Gegenwart
Der politischen Bildung in Deutschland sind in den letzten Jahrzehnten nur wenige Glücksmomente beschieden gewesen. Zu oft musste sie gesellschaftspolitische Fehlentwicklungen im Nachhinein korrigieren; da blieb wenig Zeit zur Reflexion über ihre ureigentlichen Aufgaben. Diese Arbeit wurde nun von Joachim Detjen, Professor für Politische Bildung und Didaktik der Sozialkunde an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, nachgeholt und geleistet. Was der Autor in dreijähriger mühseliger Kleinarbeit an Material zusammengetragen und analytisch verarbeitet hat, verdient höchstes Lob: Chapeau!
Das Unterfangen Detjens ist mehr als anspruchsvoll: Von der Antike bis zur Gegenwart zeichnet er die wichtigsten Entwicklungslinien der politischen Bildung nach. So war es für die Antike selbstverständlich, dass der Einzelne zu einem tüchtigen Bürger seines Gemeinwesens erzogen werden müsse. Mag dieses Ziel für heutige Ohren antiquiert klingen, so kann es doch eine gewisse zeitlose Gültigkeit für sich reklamieren.
Viele Ziele staatlicher politischer Bildung müssen natürlich aus ihrer Zeit heraus gesehen und verstanden werden. So kann politische Bildung mit der Erziehung zur "Untertanenhaltung" heute zu Recht nichts mehr anfangen. Der mündige, kritische Bürger, der zivilgesellschaftliches Engagement an den Tag legt, ist das angestrebte Ideal. Aber auch dieses Leitbild bedarf eines gewissen Fundaments, und dies liefert Detjen. Unwidersprochen wird es gewiss nicht bleiben, aber es ist ein Angebot, an dem man ohne gewichtige Argumente nicht vorbeikommen wird.
Das Buch hat nicht nur eine imposante Gliederung, sondern auch einen gewichtigen Inhalt: Es gliedert sich in vier Hauptteile mit zahllosen Unterkapiteln. Alle sind fundiert und spannend. Besonders interessant lesen sich die Passagen über die ideologischen Schlachten der 1970er- und 1980er-Jahre. Unglaublich, mit welchem Furor in dieser Zeit um Konzepte und Richtung politischer Bildung oder um politische Indoktrination gestritten worden ist. Die Betroffenen scheinen es aber gut überstanden zu haben.
Das Kapitel "Politische Bildung und Erziehung in der DDR" zeigt, dass das Fach in den Dienst der herrschenden Ideologie gestellt worden ist. Von "Gegenwartskunde" mutierte es 1957 zur "Staatbürgerkunde" und wurde 1959 in "Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde" umbenannt. Gemäß marxistisch-leninistischer Lehre sollte eine "sozialistische Persönlichkeit" herangebildet werden.
Detjens Ausführungen über "Politikdidaktik als Leitdisziplin der politischen Bildung" dürften einigen Widerspruch herausfordern. So reiche das Niveau der "alltagstheoretischen Didaktik", das Lehrer, Schüler, Eltern, Schulaufsichts- und Ministerialbeamte, ja auch Politiker über gewisse Vorstellungen hätten, nicht an das "Reflexionsniveau der wissenschaftlichen Didaktik heran". Die Angesprochenen sind aufgefordert, sich mit den Vorbehalten gegenüber der praktischen Politikdidaktik sine ira et studio auseinanderzusetzen.
Ein Blick ins Sachregister zeigt, welche Aufgaben anstehen: eine wertorientierte politische Bildung steht auf der Agenda. Erziehung in all ihren Schattierungen ist dominant vertreten. Auch andere Begriffe wie Demokratie, Bildung, Freiheit, Geschichte, Herrschaft, Ideologie, Individuum, Institutionen zeigen, wohin die Reise nach Ansicht des Autors gehen soll. Mag man auch mit vielen Bewertungen Detjens nicht konform gehen, so sei dieses Buch doch allen politisch Interessierten, insbesondere denen in diesem Bereich Tätigen als Pflichtlektüre empfohlen.
Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland.
Oldenbourg Verlag, München 2007; 510 S., 46,80 ¤