Ich mach' mich nicht für andere schön, sondern für mich. Und ich muss mir gefallen, und nicht den anderen. Das finde ich ganz wichtig." So lautet eine typische Antwort auf die Frage "Was bedeutet es für Euch/Sie, sich schön zu machen?" Im Rahmen einer sozialwissenschaftlichen Studie wurde darüber mit insgesamt 160 Diskutantinnen und Diskutanten (31 Gruppen) unterschiedlichen Alters, Geschlechts, sozialer Herkunft und sexueller Orientierung diskutiert. 1
Schön machen sich Menschen für sich selbst, nicht für andere. Zumindest soll es so erscheinen. Die Frauenzeitschrift Brigitte - und die muss es ja wissen - fand bei einer Umfrage aus dem Jahr 2001 heraus, dass sich 94 Prozent der 28 000 befragten Frauen für sich selbst schön machen, weil sie sich damit wohler und selbstsicherer fühlen (1978 waren es bei 27 000 Befragten 79 Prozent). Nur drei Prozent wollten anderen gefallen (1978 waren es 14 Prozent). 2 Glaubwürdig sind diese Zahlen nicht. Denn die Äußerungen sagen vor allem etwas darüber aus, was die Befragten für eine sozial erwünschte Antwort halten. Kein Wunder: Das Eingeständnis, sich für andere schön zu machen, käme für viele einer Bankrotterklärung gleich und wird daher geflissentlich unterlassen. Erst recht nicht lässt sich aus der Brigitte-Statistik ein gewachsenes Selbstbewusstein von Frauen ableiten, sich von der Meinung anderer unabhängig gemacht zu haben. Nähme man die Behauptungen der Befragten eins zu eins, liefe man Gefahr, puren Ideologiekonstruktionen auf den Leim zu gehen. Da hilft es auch nicht viel, wenn die Antworten - pseudowissenschaftlich - bis zwei Stellen hinter dem Komma ausgerechnet und ausgewertet werden.
Wir wollen offenbar andere glauben machen, dass wir über herrschende Schönheitsnormen erhaben sind. Und wir glauben, dass sich vor allem Frauen schön machen - ungeachtet einiger trendig aufgemachter Magazine für lifestyle-orientierte Männer mit natürlich aussehender Solariumsbräune und Waschbrettbauch. Zu guter Letzt sind wir davon überzeugt, der ganze Zauber um Schönheit mache auch noch Spaß: Schönheit sei machbar und etwas Schönes zu tun, sei eine lustvolle Angelegenheit. Tatsächlich verhält es sich ganz anders: Sichschönmachen ist keine Privatangelegenheit und keineswegs nur Frauensache. Und mit juxiger Oberflächlichkeit hat das auch alles nicht viel zu tun: Sichschönmachen ist mitunter harte, erfolgsorientierte Arbeit, die in tiefer liegende Identitätsschichten hinein reicht. Das geht viel tiefer, als es oberflächlich geführte Debatten zum Für und Wider des Schminkens, Frisierens, Kleidens, Rasierens, Piercens oder auch Operierens ahnen lassen.
Beim Sichschönmachen geht es nicht um Schönheit "an sich" und schon gar nicht um die Frage, was und wer schön (oder hässlich) ist. Es geht um pures "Schönheitshandeln" - als Medium der Kommunikation, das der Inszenierung der eigenen Außenwirkung zum Zweck der Erlangung von Aufmerksamkeit und Sicherung der eigenen Identität dient. Schönheitshandeln bedeutet, sich sozial zu positionieren. Im Gegensatz dazu bezieht sich der normativ verwendete Begriff Schönheit auf massenmedial produzierte und im Alltag gewichtige Auffassungen von dem, was Schönheit als Norm im medial-öffentlichen Diskurs in Abgrenzung zum Nicht-Schönen oder Hässlichen ist oder sein soll. Beim "Schönheitshandeln" dagegen interessiert nicht das ästhetische Urteil der Rezipientinnen und Rezipienten, sondern die gelingende oder misslingende Anerkennung, also der Erfolg. Gelingt es der Punkfrau mit gelbem Irokesenlook, abgewetzter Lederjacke, Nasenring und sicherheitsbenadelten Jeansfetzen, spießige Normalos auf der Straße zu schockieren, hat sie ihr Ziel erreicht: Sie weiß, zu wem sie gehört und von wem sie sich abzugrenzen hat. Schönheitshandeln ist ein sozialer Prozess, in dem Menschen versuchen, soziale (Anerkennungs-)Effekte zu erzielen. Dabei stehen Werte wie Individualität, Autonomie und Authentizität im Vordergrund. Das lässt sich durchaus als ein Erbe der Aufklärung interpretieren. Denn die Auffassung, dass es überhaupt so etwas wie eigenständige Individuen, dass es etwas "Unteilbares", nämlich Individualität gibt, wurzelt in einem Kernglauben der Aufklärung, der Mensch sei für sein eigenes Leben selbst verantwortlich, er könne es in die eigenen Hände nehmen und gestalten.
Diese Verlagerung von Verantwortung weg von Gott und Schicksal hin zum Individuum betraf auch Seele und Körper, Befindlichkeit und den Eindruck, den man aufgrund seines oder ihres Äußeren vermittelt. Sichschönmachen ist damit auch eine Strategie gesellschaftlicher Macht und sozialen Erfolgs - zumindest ein Versuch. Einige Komponenten eines solchen Schönheitshandelns möchte ich im Folgenden vorstellen.
Die Aussage, das Motiv des Schönheitshandelns sei das eigene Wohlbefinden und eigentlich tue man "es" doch für sich selbst, ist ein wirkungsmächtiger Glaubenssatz. Ich nenne ihn Ideologie des Schönheitshandelns als privater Angelegenheit. Der Begriff Ideologie meint dabei, dass es einen Bruch zwischen den Darstellungen sozialer Akteurinnen und Akteure und ihrer eigenen Praxis gibt. Man darf ihre Erklärungen also nicht für bare Münze nehmen, obwohl sie keinesfalls mit einer böswilligen Täuschungsabsicht gleichzusetzen sind. Im strengen Sinn ist eigentlich der überwiegende Teil der Höflichkeitsarbeit eine Lüge: Wann interessiert sich der flüchtige Bekannte auf der Straße mit der Frage "Hallo, wie geht's?" tatsächlich für das Befinden der Gegrüßten? Ideologisch ist die Aussage "Ich mache mich für mich schön", weil sie - wie es der Soziologie Erving Goffman ausdrückt - zum gesellschaftlich notwendigen impression management gehört, als autonom und selbstbewusst zu erscheinen. Schließlich steigere Schönheitshandeln vor allem das persönliche Wohlbefinden und Selbstvertrauen: "Ich denk' auch, wenn man sich schminkt, dass man sich, also ich persönlich nehm' jetzt Wimperntusche oder mal Kajal oder sonstwas, aber das mach' ich wirklich für mich auch, also jetzt nicht irgendwie für die anderen oder für die Männer oder sonst irgendwas, sondern wirklich dann für mich, weil ich dann wirklich also, mich selbst wiedererkenne, irgendwie so." (24-jährige Berufsschülerin)
Diese Antwort ist normativ verankert: Eine oftmals beschworene "innere Schönheit" steht für Authentizität und Selbstbewusstsein, die äußere Schönheit verweist auf einen Mangel desselben, degradiert die Trägerin zur hirnlosen Barbiepuppe, die sich für andere schön macht, um charakterliche Mängel zu kompensieren (so einige Fotomodelle und Berufsschülerinnen zweier Gruppendiskussionen). Dies liefe auf ein Eingeständnis mangelnden Selbstbewusstseins hinaus. Und damit möchte man selbst zuallerletzt assoziiert werden. So konstruiert die zitierte Sprecherin auch munter ein widersprüchliches Bild ihres Tuns: "Also, ich finde immer dieses, für sich selbst, das sagen eigentlich wirklich die meisten Leute, und das ist auch das ..., was ich eigentlich vertrete, aber, zum Beispiel, wenn ich jetzt an heute denke, ich hole jetzt dann in zwei Stunden meinen Freund von Bahnhof ab. Ich habe mich vorhin geduscht, ich habe meine Haare schön gemacht, weil er kommt. Und, also, das gebe ich auch zu, wenn ich weiß, ich kriege Besuch, dann mache ich mich auch für den Besuch schön. Aber im großen und ganzen ... mache ich mich für mich schön."
Die Behauptung des privaten Schönheitshandelns ist also falsch. Das Motiv dafür, sich einem mitunter brutalen Schönheitskult zu unterwerfen, der die Beteiligten in ein enges Korsett von Schlankheit, Jugend, Attraktivität, Sportlichkeit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit schnürt, ist gesellschaftliche Anerkennung. Dabei wird der Körper gestylt, kontrolliert und geformt, bis er dem Ideal der erfolgreichen Schönen aus der Werbung entspricht - was meist nicht gelingt. Schönheit ist ein entscheidender Teil des Eindrucks, den Menschen nach außen transportieren wollen, Schönheit wird kommuniziert, und Schönheitshandeln ist die Grundlage dafür, dass genau dies geschehen kann. Gleichwohl segelt all dies unter der Flagge des autonomen Handelns. So ist für sechs Berufsschülerinnen einer Tourismusakademie im Alter von 19 bis 23 Jahren nichts bedrohlicher als der Verdacht, sie könnten sich für Männer schön machen. Sie verwenden viel Energie darauf, nicht als an männlichen Schönheitsidealen orientiert zu erscheinen, und ihre Abwehr, Abspaltung oder Verdrängung besteht genau darin, dass sie praktizieren, was sie kritisieren.
Die Annahme, es seien doch wieder nur die Frauen, die sich dem männlichen Schönheitsdiktat unterwürfen und sich schön machten, wäre allerdings unrichtig. Das ist schon historisch falsch. Denn im klassischen Griechenland galt beispielsweise der Männerkörper alsattraktiver - "adonisch" bedeutet schön. Schönheit als Sache der Frauen zu bewerten, ist eine moderne Zuschreibung. Bis zum frühen 18. Jahrhundert etwa war die Geschlechterdifferenzierung in der Mode weniger wichtig als die Differenzierung nach Klassen. Schönheitshandeln ist zwar ein Mittel der Unterscheidung von Geschlechtern, keineswegs aber ausschließlich Frauensache. Nicht nur Feministen und Feministinnen prangern seit Jahrzehnten einen geradezu brutalen Schönheitskult an, der vor allem Frauen in ein enges Korsett von Schlankheit, Jugend, Attraktivität, Sportlichkeit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit schnürt. Heute ist die äußere Erscheinung pluralistisch geworden, Manipulationen des Körpers werden zum Akt der Freiheit, auszuprobieren, was möglich ist. So ist es nur gerecht, dass die Schönheits- und Wellnesswelle inzwischen auch Männer erfasst hat. Nicht nur hirnlose Muskelmasse, sondern ein wohlgeformter und durchtrainierter Körper ohne überflüssiges Fett wie etwa der eines James Bond-Darstellers Daniel Craig sind das, was Trendmagazine und Fitness-Päpste heute in Millionenauflagen predigen. Und so liegt auch dieser Fall etwas komplizierter. A: "Das is' halt vor allem für mich selbst unheimlich wichtig, dass ich mich, so wie ich aussehe gern, leiden mag, da haben die anderen eigentlich gar nix mit zu tun, das mach ich schon für mich selbst." B: "Ich gehe beispielsweise ins Fitnesstudio, nicht extrem oft, aber für mich ist es schon wichtig, dass ich was für meinen Körper tu, ja weil ich auch auf so was steh'." C: "Wenn du ein Auge auf jemanden geworfen hast, dann versuchst Du natürlich immer, dem zu gefallen und gibst dir dann natürlich Mühe."
Diese Äußerungen stammen aus einer Diskussion mit acht schwulen Männern im Alter von 21 bis 24 Jahren. Auch sie vertreten anfangs das Bild des privaten Schönheitshandelns, das im Verlauf der Diskussion allerdings kippt - sie bekennen sich mit fortschreitender Dauer der Diskussion dazu, ihr Schönheitshandeln auf andere Männer zu orientieren. Drei weitere Diskussionen mit überwiegend schwulen Männern ergeben ein ähnliches Bild: Andere Männer sind ein legitimes Ziel männlichen Schönheitshandelns, für das es sich nicht zu schämen gilt. So empfindet eine Gruppe von fünf schwulen Volleyballern im Alter von 31 bis 39 das Sichschönmachen von Männern als ein Zeichen der Anerkennung und des Respekts gegenüber dem Anderen. Damit muss man nicht an Selbstbewusstsein verlieren oder sich selbst zum Sklaven gesellschaftlicher - hier: schwuler - Szenenormen machen. Schönheitshandeln ist ein Mittel der Kontaktanbahnung, und hier zeigt sich in der unterschiedlichen Bewertung von Schönheitshandeln bei heterosexuellen Frauen und Schwulen ein Stück unterschiedlicher Sozialisation: Kontaktanbahnung war lange Zeit ausschließlich das Vorrecht der Männer, Frauen hatten abzuwarten, bis sie aufgefordert wurden (nicht nur auf dem Abschlussball des Tanzkurses). Schwule sind ebenso wie Heterosexuelle als Männer sozialisiert und empfinden es deshalb als normal, beider Partnersuche aktiv zu sein - in diesem Fall unter Zuhilfenahme von Schönheit. Was zahlreiche heterosexuelle Frauen ablehnen, aber dennoch praktizieren, praktizieren viele Schwule und finden es gut. Denn was sie attraktiv finden, bringen sie auch selbst auf dem Markt der Partnerwahl mit ein.
Aus dieser Perspektive entpuppt sich Schönheitshandeln als an männlichen Attraktivitätserwartungen orientiertes Handeln. Damit lässt sich eine wirkungsmächtige Bedingung erfolgsorientierten Schönheitshandelns identifizieren, nämlich die allgemein als legitim akzeptierte männliche Attraktivitätserwartung, die für eine Struktur dominanter Männlichkeit steht: "Es muss ein gewisses Maß an äußerer Attraktivität ganz klar da sein", (so ein katholischer Burschenschafter in Bezug auf Frauen). Ein aus Russland stammendes Fotomodell begründet die als legitimunterstellte Attraktivitätserwartung von Männern mit der sozialstrukturellen Situation: Nachdem in Russland aufgrund der Kriege in Afghanistan und Tschetschenien ein Mangel an Männern herrsche, "muss man konkurrenzfähig bleiben, um überhaupt einen abzubekommen!". Bei einem solchen Kampf könne nur Perfektion genügen, sonst müsse eine Frau mit einem unattraktiven Mann Vorlieb nehmen: "Wenn du dich gehen lässt, dann kommt eine besser Aussehende und schnappt dir deinen Mann weg. So einfach ist das." Das Umwerben von Männern vermittelt den Anschein von Kampfhandlungen, und der Kampf wird über Schönheitshandeln ausgefochten und entschieden - so einfach ist das.
Natürlich ist es nicht so einfach. Die Außenwirkung ist heute sozial bedeutsamer als noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Davon sind Männer nicht ausgenommen. Ein Bundeskanzler wie Helmut Kohl etwa wäre heute kaum mehr vermittelbar, allein schon deshalb nicht, weil er nicht mehr zu den heutigen Vorstellungen eines dynamischen "Machers" passt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel steht unter permanenter öffentlicher Beobachtung. Freilich haben sich die Regeln modifiziert - der Aufstieg der CDU-Generalsekretärin zur Kanzlerin wurde durch Professionalisierung des Make-up´s und einen typischen "Karriefrauen-Erfolgslook" unterstützt, etwa einen Haarschnitt ähnlich dem von Sabine Christiansen.
Nach den Ergebnissen sozialpsychologischer Studien haben schöne Menschen (im Sinn der statistisch-mehrheitlichen Auffassung von Schönheit) mehr Erfolg in der Liebe, im Beruf und im Leben überhaupt. Die Schönen wirken sympathischer, ziehen andere an und in ihren Bann. Schöne Menschen haben größere Chancen bei der Partner- und Partnerinnenwahl, größere Aufstiegschancen im Job und verdienen besser. Schönheit befähigt zu sozialer Macht, dient ihrer Inszenierung und verkörpert Status. Es ist also ausgesprochen rational, wenn Akteurinnen und Akteure Kuren und Operationen, Diäten, Training und Entspannung gezielt als Mittel zur Steigerung der Schönheit einsetzen.
Spätestens damit erweist sich eine weitere Ideologie als Humbug. Der Ideologie des "Spaßhandelns" zufolge ist Schönheitshan-delnmit Kreativität, Freude und Lust verbunden - es mache Spaß. Aber auch hier fällt der Schein des Lustvollen schnell in sich zusammen. "Wer schön sein will, muss leiden", heißt es. Man wird nie fertig, gebräunte Haut ist nicht mehr zu haben, ohne dabei gesundheitliche Risiken einzugehen, und das richtige Schminken erfordert Übung und Geschicklichkeit. Deshalb lassen einige lieber gleich die Finger davon. Dieser Zwang- beziehungsweise Arbeitsaspekt hat eine protestantische Note: ohne Arbeit keine Belohnung. Das sagen einige auch ganz freimütig: "Also ich kann Schönheit nur dann empfinden, wenn ich irgendwas getan habe oder dafür gemacht habe." So sind auch sportliche Körperprogramme mit Joggen, Bodybuilding, Gymnastik oder gesunder Ernährung funktionale Äquivalente für das Schminken beziehungsweise die Fassadenpflege mit Make-up und Kajal: Schönheitshandeln ist Arbeit und kein hedonistischer Akt des Sich-gut-gehen-Lassens.
Schönheit instrumentell zu nutzen, ist heute unerlässlich etwa für Promis, Politikerinnen und Politiker sowie Professionelle - Schauspielerinnen und Models etwa, für die das Aussehen von zentraler Bedeutung ist. Ihre Schönheitskompetenz als Fähigkeit, die eigene Wirkung auf andere im Hinblick auf Anerkennung erfolgreich zu inszenieren, lässt sich als erfolgsorientiertes Handeln beschreiben: Wer sich schön macht, steigert seine Erfolgsaussichten, und Schönheitshandeln erscheint als Versuch der Teilhabe an sozialer Macht. Dies schlägt sich auch in der Bedeutung von Schönheit im beruflichen Leben nieder: Nicht eine Rolle lediglich zu spielen, sondern sie zu verkörpern, lautet die Maxime, wobei immer mehr Aspekte eines einstmals rein äußerlichen Verhaltenscodes in den Körper hineingenommen werden.
Soziale und integrative Kompetenzen werden wichtiger, der sachliche Austausch wird zunehmend in einen sozialen Austausch transformiert, und zur Absicherung bedient man sich der Gefühle und Motivationsstrukturen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die ganze Person ist gefordert, ihr Können dokumentiert sich in inkorporierten Kompetenzen. Das hat inzwischen auch schon einen leisen Eingang in "große Gesellschaftstheorie" gefunden. Der Soziologe Luc Boltanski und die Ökonomin Eve Chiapello 3 etwa beschreiben einen neuen "Geist des Kapitalismus", für den Mobilität, Selbstverantwortung und Aktivität zu zentralen Erfolgsfaktoren avanciert sind, die bis in die Körper smarter Manager und "Betriebsathleten" reichen (von Frauen ist keine explizite Rede). Attraktivität steigert die Motivationsmacht, und genau das entspricht auch dem neuen Führungsideal: motivieren, Begeisterung ausstrahlen, mitreißen. Einen übergewichtigen und kurzatmigen Griesgram mag man sich hier nicht vorstellen.
Erfolg muss sozial anerkannt werden und ist damit immer auch mit einer sozialen Positionierung verbunden. Hier schlagen vor allem gruppen- und milieuspezifische Normen durch: Denn erfolgreich sein heißt nicht nur, eine attraktive Partnerin oder einen attraktiven Partner zu erobern oder einen prestigereichen Job zu ergattern. Zum Erfolg gehört auch, dass andere dies anerkennen und permanent bestätigen.
Schönheitshandeln ist damit in einem anderen, viel deutlicheren Sinn erfolgsorientiert, als es in der - politisch unkorrekten - Rede, jemanden "abbekommen zu wollen", zum Ausdruck kommt. Eine Gruppe diskutierender Bodybuilder im Alter von 22 bis 56 Jahren etwa weiß, dass Personalchefs (Chefinnen tauchen dabei nicht auf) attraktive Menschen bevorzugen. Deshalb setzen sie Schönheitshandeln auch als ein Mittel zu Behauptung im Konkurrenzkampf ein. Denn Körperarbeit führe zu einem größeren Selbstbewusstsein, und das wiederum sei in beruflichen Zusammenhängen wie beispielsweise im Außendienst eine notwendige Voraussetzung.
Fallen gesellschaftliches Schönheitsideal und berufliches Anforderungsmodell zusammen, handelt es sich beim Bodybuilding um eine sehr gezielte und langfristige Anpassung an gesellschaftliche Normen. Einen ähnlichen Friedenmit der Wirkungskraft gesellschaftlicher Schönheitszwänge hat eine Gruppe fünf 23- bis 26-jähriger katholischer Burschenschafter geschlossen. Für sie ist der Anzug Symbol männlichen Schönheitshandelns: "Gute Kleidung und gepflegtes Aussehen ist ein Zeichen von Respekt gegenüber seinen Mitmenschen." Der Anzug steht für Mannsein. Er erleichtere das Durchkommen durch Polizeikontrollen, im Zug werde man höflicher behandelt, im Café aufmerksamer bedient und auch im Telekommunikationsladen komme man schneller zum Zug. Der Anzug sei auch insofern praktisch, weil er wie eine Uniform einfach angezogen werden könne, und man müsse sich nicht wie die Frauen viele Gedanken um das Outfit machen - weshalb Männer etwa von einigen Lesbengruppen beneidet werden. Kein Wunder: Dunkle Anzüge sehen jahraus, jahrein gleich aus, Frauen dagegen müssen sich jede Saison ein neues Outfit zulegen. Wenn Frauen es sich so einfach machten wie Männer, würden sie eindeutig als unweiblich positioniert.
Dass Schönheitshandeln Arbeit ist, wird auch in Diskussionen überwiegend lesbischer Frauen offenkundig, die gleichermaßen dem Diktat der männlichen Attraktivitätserwartung unterliegen, dies aber hinsichtlich der Beziehungskomponente nicht als Zwang erfahren. Für viele von ihnen reduziert sich Schönheitshandeln als Arbeit auf berufliche und öffentliche Zusammenhänge jenseits einer sexuellen Konnotation: "Also ich trenn' da auch so zwischen dem offiziellen Äußeren und dem privaten Äußeren. Und für mich, ich verbinde halt mit dem geschminkten Äußeren, das is' für mich was Offizielles, und was Aufgesetztes. Und das Private, das bin halt ich." (Lesbische Angestellte)
Ein Hintergrund dieser Auffassung ist der nicht im Verhältnis stehende Aufwand, der mit kompetentem Schönheitshandeln verbunden sei: Man müsse Zeit und Geld investieren, sich an männlichen Schönheitsnormen orientieren, und dies laufe auf das Gegenteil dessen hinaus, wofür Lesbischsein stehe. Die sieben diskutierenden Frauen eines Tanzkurses im Alter von 23 bis 34 Jahren wollen gar nicht erst in den Verdacht geraten, ihre berufliche Anerkennung beruhe nicht auf fachlicher Kompetenz, sondern sei durch Schönheit "erschlichen" worden.
Dies ist durchaus eine Form des Protests: Die Frauen wissen, dass Schönheit mit Macht verbunden ist, dass schöne Menschen es gesellschaftlich einfacher haben, aber sie wollen sich treu bleiben, Nischen ausloten oder im Zweifelsfall in andere Jobs wechseln.
Erfolgsorientiertes Schönheitshandeln ist nicht nur Arbeit, es erfordert auch Kompetenz. Kompetenz im Sinne von Vermögen und Fähigkeit, bestimmte Anforderungen zu erfüllen oder selbst gesteckte Ziele zu erreichen, ist zur modernen Voraussetzung schlechthin geworden, gesellschaftlich überlebensfähig zu bleiben. Schönheitshandeln mehr oder weniger erfolgreich in Szene zu setzen, hat zur Voraussetzung, die gesellschaftlichen Erwartungen schönheitsadäquaten Verhaltens zu kennen: Schönheitshandeln ist eine "Sprache", die in den Spannungsfeldern von Distanz und Nähe, Sachlichkeit und Erotik, Professionalität und Freizeit in unterschiedlichen Dialekten gesprochen wird. Wenn Wahlprogramme hinter herausgeputzten und medial inszenierten Kanzler- oder Präsidentschaftskandidaten und -kandidatinnen verschwinden, lässt sich Schönheitshandeln als Kompetenz begreifen, die Leistung oder - neutraler formuliert - inhaltliche Kompetenzen zunehmend überlagert. Zumindest drei Komponenten kompetenten Schönheitshandelns bzw. der Schönheitskompetenz möchte ich hier herausgreifen: die wachsende Bedeutung von Körper (statt Kleidung), Jugendlichkeit und Natürlichkeit. Körper und Kleidung: Schönheitshandeln umfasst Maßnahmen zur Modifikation und Inszenierung des Körpers wie auch die Gestaltung von Körperbedeckungen, also der Kleidung. Mit der Aufwertung des Körpers (bei gleichzeitiger Abwertung körperlicher Arbeit) geht ein Bedeutungsverlust der Kleidung einher: Wenn (Ver-)Kleidung nicht mehr ausreicht, um schön zu sein, muss der Körper her. 4 Entsprechend betrifft das Modediktat auch nicht mehr nur die Kleider, sondern auch die Körper. Letztere werden gestählt, entspannt, geliftet, gepierct, tätowiert oder aufgespritzt. So steigt beispielsweise die Zahl der durchgeführten Schönheitsoperationen. Deutschland liegt bereits auf Platz sechs im weltweiten Ranking, hinter den USA, Mexiko, Brasilien, Japan und Spanien. Die Renner sind Fettabsaugungen, gefolgt von Brustoperationen und Nasenkorrekturen - Tendenz steigend. Der Körper unterliegt dem Leistungsdenken in weit stärkerem Maße als die Kleidung, die nach Belieben gewechselt werden kann. Er braucht Zeit zur Veränderung, und die Modifikationen lassen sich mitunter schwer oder gar nicht rückgängig machen. Vor allem Bodybuilderinnen und -builder und Models machen deutlich, dass damit ganz neue Mechanismen der Disziplinierung erforderlich sind: Statt eines Gangs in die Modeboutique treten zeitaufwändige Trainings- und Diätmaßnahmen auf den Plan, Schönheitshandeln geht tief unter die Haut und erfordert mehr Kompetenzen - im Sinne von Disziplin und langfristiger Planung. Jung bleiben: Zur Schönheitskompetenz gehört des Weiteren, jung zu bleiben. Dem sind Frauen immer noch in stärkerem Maß ausgesetzt als Männer. Denn das Alter gilt als der größte Feind der Schönheit und muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Die Standards für weibliche Schönheit - jung, schlank, sexy - sind stärker kulturell normiert als jene für männliche Schönheit und lassen sich von Frauen schwerer halten. Dennoch sind es nicht nur Frauen, die einem solchen Jugendlichkeitskult unterliegen. So äußern in der Gruppendiskussion schwule Männer ähnliche Sorgen vor einem Attraktivitätsverlust wie heterosexuelle Frauen - weil viele Männer bei ersten Kontakten Priorität auf das Aussehen legen. Wie viele Frauen klagen sie darüber, dass sie als homosexuelle Männer in erotischer Hinsicht schon in jüngeren Jahren nicht mehr beachtet werden. So kreierten Schwule - nicht nur hier kann man sie als Trendsetter für Verhaltensweisen betrachten, die sich auch in der heterosexuellen Männerwelt durchsetzen - aus Angst vor verloren gehendem Sexappeal aufgrund von Haarausfall den extremen Kurzhaar- oder gar Glatzenlook: "Toupets und sowas, das is' total verpönt in der Schwulenszene. Zumindest bei den jüngeren Typen. Wenn die Haarausfall oder so haben, dann würden sie sich eher die Haare ganz kurz machen." (Schwuler Volleyballspieler) Natürlich erscheinen: Zur Schönheitskompetenz gehört schließlich, natürlich zu erscheinen. Natürlichkeit ist zu einem nötigenden Schönheitsideal geworden, und die alte feministische Forderung nach Natürlichkeit wurde damit instrumentalisiert - freilich in völlig anderer Weise. So wurde in den 1990er Jahren das Make-up "natürlicher", es sollte nicht mehr auffallen. Natürlichkeit ist eine unsichtbare Leistung: Auf natürlich geschminkt zu sein, ist etwas anderes als ungeschminkt zu sein, denn bei letzterem sieht man, was man nicht getan hat. Friseurinnen und Friseure wenden viel Mühe auf, um ihre Kundschaft verstrubbelt aussehen zu lassen: um den Anschein von Absichtslosigkeit und Natürlichkeit herzustellen. Kompetentes Schönheitshandeln geht also mit einer Kompetenz zur Naturalisierung einher. Explizit wird Naturalisierungskompetenz etwa beim Aufwand, den zahlreiche Transsexuelle treiben, um als das für sie lebbare Geschlecht "durchzugehen" bzw. zu passen. Transsexuelle werden erst durch viel unsichtbar gewordene Arbeit zu dem, was wir als ganz normale Männer oder Frauen bezeichnen. Ihr Handeln ist zwangsweise schönheitskompetent (sie müssen alles, was zur Inszenierung von Geschlecht gehört, neu lernen), und dieses Handeln schreibt sich in ihre Körper ein. Im Erfolgsfall wird nicht nur ihr Schönheitshandeln unsichtbar und naturalisiert, sondern auch darüber hinaus die Konstruktion und Zurichtung von Geschlecht. Diese Fähigkeit ist eine Naturalisierungskompetenz des Alltags. Körperlichkeit, Jugendlichkeit und Natürlichkeit - all dies bündelt sich beim Schönheitshandeln in der Kompetenz zur Naturalisierung. Schönheitshandeln ist damit ebenso Arbeit in instrumenteller Hinsicht, wie es sich auch an gesellschaftlichen Normen der Anerkennung orientiert. Schönheitshandeln ist zu einem guten Teil Ideologie. Grund zur kulturkritischen Resignation indes besteht nicht. Denn auch und gerade Inszenierungen, die etwas anderes bedeuten, als sie zu bedeuten vorgeben, bieten die Möglichkeit der ironischen, subversiven oder auch spielerischen Aneignung - was vor allem Angehörige gesellschaftlicher Subkulturen praktizieren. Die Ideologie des privaten und frauenspezifischen Schönheitshandelns etwa unterläuft eine Gruppe von Transgendern, wenn sie sich darüber auseinandersetzt, welches "Beuteraster" hinter welcher Inszenierung stecken möge und wie es am erfolgreichsten zu bedienen sei. Und die Ideologie des Schönheitshandelns als Spaß- und Oberflächenphänomen schlägt dann geradezu in einen Innerlichkeitskult um, wenn Menschen in schwarzem Lack, Gummi und Leder mit Striemen und Narben auf der Haut gängige Schönheitsnormen auf den Kopf stellen und neu erfinden. Die Devise "Zeige deine Wunden und finde dich trotzdem schön dabei" macht solche Inszenierungen zu einer Form von Schönheitshandeln, das ermöglichen soll, zu einer tieferen Ebene jenseits oberflächlicher Inszenierungen vorzudringen. Schönheitshandeln bleibt damit ein identitätsstiftender Akt; es kommt zu sich selbst.
1 Vgl. Nina
Degele, Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und
Schönheitshandeln, Wiesbaden 2004.
2 Vgl. Brigitte/G+J Marketing-Forschung
und Service, Was bedeutet Ihnen Schönheit? Hamburg 2002.
3 Luc Boltanski/Eve Chiapello, Der neue
Geist des Kapitalismus, Konstanz 2006.
4 Vgl. Waltraud Posch, Körper
machen Leute. Der Kult um die Schönheit, Frankfurt/M.
1999.