G8-Treffen
Kontroverse Debatte im Bundestag über die Verantwortung der führenden Wirtschaftsnationen
Die gewohnte Geschäftigkeit zu Beginn einer Debatte ist am vergangenen Donnerstag einer bedrückenden Stille gewichen: Der Bundestag gedachte der drei bei einem Selbstmordanschlag in Kundus getöteten Bundeswehrsoldaten. Bundestagspräsident Norbert Lammert erinnerte daran, dass in den vergangenen Jahren bereits 25 deutsche Soldaten ums Leben kamen: "Sie folgten einem Auftrag, den wir ihnen erteilt haben. Wir tragen damit eine besondere Verantwortung", betonte Lammert. "Wir verneigen uns vor den Toten." Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach zu Beginn ihrer Regierungserklärung den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus. Die Soldaten seien gestorben bei der Erfüllung ihres Auftrages, "den Menschen im geschundenen Afghanistan bessere Lebensbedingungen zu bieten". Deutschland werde sich trotz des "feigen Anschlags" nicht von seinem Einsatz für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte abbringen lassen, versicherte Merkel.
In ihrer Regierungserklärung zum diesjährigen G8-Gipfel, der vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm an der Ostsee stattfindet, stellte die Kanzlerin das Arbeitsprogramm für das Spitzentreffen der führenden Wirtschaftsnationen vor. Nur 20 Minuten ließ sich Merkel dafür Zeit; knapp und ohne Umschweife skizzierte sie die umfangreiche Agenda. Sieben Punkte waren ihr besonders wichtig: die Sicherung des globalen Aufschwungs, der Schutz geistigen Eigentums, die Sicherstellung von grenzüberschreitenden Investitionen, die soziale Gestaltung der Globalisierung, der Klimaschutz, der Abbau von Handelshemmnissen und die Zukunft Afrikas. Die Schlüsselrolle spielten in Merkels Rede zwei Begriffe: "Verantwortung" - in Anknüpfung an das Motto des Gipfels "Wachstum und Verantwortung" - und "Dialog", die wie ein roter Faden durch die Ansprache führten. Damit versuchte Merkel die Zweifel der Kritiker offensiv anzusprechen.
Was die Verantwortung angeht, betonte Merkel, dass es bei dem Treffen der G8 nicht darum gehe, "spezifische Interessen der führenden Industrienationen gegen den Rest der Welt durchzusetzen", sondern um gemeinsame Lösungen von Fragen, die die ganze Menschheit betreffen. "Wir wollen, dass die G8-Länder ihre Verantwortung für die globalen Entwicklungen wirklich wahrnehmen", so Merkel. Das lasse sich nur im Dialog verwirklichen - auch und gerade mit den wichtigen Schwellenländern. Für den 8. Juni seien Staats- und Regierungschefs aus China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika eingeladen, kündigte Merkel an und wies auf die Chancen der Globalisierung gerade für diese Staaten und Entwicklungsländer hin. "Wer immer nur über die Risiken der Globalisierung redet, verpasst alle Chancen", sekundierte FDP-Fraktionschef Guido Westerwelle. Die Globalisierung sei nicht "das Schreckgespenst eines bösen Kapitalismus, sondern eröffnet die Chance, dass Menschenrechte, Bürgerrechte und Werte weltweit Geltung finden".
Gewarnt hat die Kanzlerin vor Gewalt bei Demonstrationen gegen das Gipfeltreffen. Die Globalisierungsängste der Menschen nehme sie ernst. Wer aber zu Gewalt greife, mache Dialog unmöglich. Friedliche Proteste seien dagegen nicht nur legitim, sondern sie fänden "unser Gehör". An die Kritiker der strengen Vorkehrungen gewandt, sagte Merkel: "Gerade diejenigen, die Sicherheitsmaßnahmen heute lautstark kritisieren, wären die ersten, die den Sicherheitsbehörden mangelnde Vorsicht vorwerfen würden, wenn Gewalt ausbrechen würde."
An diesem Punkt entbrannte eine zum Teil heftige Kontroverse. Während Redner der Koalition und der FDP Merkel unterstützten, warf Gregor Gysi (Die Linke) den Sicherheitsbehörden vor, die Gegenbewegung zu kriminalisieren. Es sei legitim, gegen die "nicht demokratisch legitimierte Weltpolitik" der Industriegesellschaften zu demonstrieren. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth fragte gar nach dem Unterschied "unseres Rechtsstaates zu einer prügelnden, gelenkten Demokratie eines Wladimir Putin". Gysis Fraktionskollegin Heike Hänsel nutzte eine parlamentarische Kurzintervention zum Beitrag von Matthias Wissmann (CDU/CSU) zu einer Protestaktion im Plenum. Zusammen mit ihren Fraktionsgenossen hielt sie Plakate von Globalisierungskritikern hoch, die während der Debatte vor dem Reichstag demonstrierten. Damit handelte sie sich eine Rüge von Bundestagspräsident Lammert ein: Es sei unangemessen, die Großzügigkeit der Geschäftsordnung "zur Inszenierung von Mätzchen zu benutzen".
Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn fand hingegen Verständnis für diese Kurzintervention. Er kritisierte die Unverhältnismäßigkeit der Sicherheitsmaßnahmen und äußerte - ähnlich wie Gysi - Zweifel an der Legitimation der G8, alleine Entscheidungen über die Gestaltung der Globalisierung zu treffen. Inhaltlich bezeichnete er die Regierungserklärung als eine "Orgie von Unverbindlichkeiten" und forderte konkrete Ergebnisse von dem Gipfel. Man könne nicht einerseits dem G8-Treffen die Legitimation absprechen und gleichzeitig konkrete Beschlüsse verlangen, konterte Erich G. Fritz (CDU/CSU). Außerdem sei die Runde ein wichtiges Dialogforum, das keine zusätzliche Legitimation brauche.
Vor der Erwartung schneller Ergebnisse warnte Ditmar Staffelt (SPD): Beim Gipfel würden "ganz dicke Bretter" gebohrt. "Aber wir sollten anerkennen, dass unsere Bundesregierung einen Fuß in die Tür gesetzt und damit einen ersten Schritt gemacht hat", so Staffelt. Angela Merkel räumte zuvor beim Thema Klimaschutz wohlweislich ein, konkrete Übereinkommen seien nicht zu erwarten: "Ich sage Ihnen ganz offen: Ich weiß heute noch nicht, ob das in Heiligendamm gelingt."