ANTI-GOOGLE
Frankreich und Deutschland wollten das Informationsmonopol des US-Unternehmens brechen. Jetzt entwickeln sie jeweils eigene Suchtechnologien.
Vor mehr als zwei Jahren nahm sich das alte Europa vor, die amerikanische Vorherrschaft zu brechen. Es geht um nichts Geringeres als um das digitale Wissen der Welt: Im Internet könnte es für jeden erreichbar sein, Suchmaschinen machen es möglich. Marktführer Google liefert schnell, kostenlos, einfach und übersichtlich, und genau das ist vielen Europäern ein Dorn im Auge: Der freie Wissenszugang sei gefährdet durch das Info-Monopol einer einzigen Suchmaschine, sagen sie. Insbesondere gelten ihnen die Rankingmechanismen von Google als intransparent. Die Politik warnt vor einer kulturellen Dominanz, überlasse man die Suche einem privatwirtschaftlichen US-Unternehmen. Das Weltwissen werde amerikanisiert - und "morgen droht das, was nicht online verfügbar ist, für die Welt unsichtbar zu werden", befürchtete Frankreichs ehemaliger Präsident Jacques Chirac.
Auf französisch-deutscher Regierungsebene wurde sie daher 2005 beschlossen: die eigene europäische Suchmaschine. Das bilaterale Konsortium nannte das Internetprojekt "Quaero"- "ich suche". Die Entwicklung des Anti-Google sollte fünf Jahre dauern, vorgesehen war eine Gesamtfördersumme von 400 Millionen Euro. Anderthalb Jahre später war die gemeinsame Suche jedoch schon zu Ende: Beim ersten deutschen IT-Gipfel in Potsdam im Dezember 2006 wurde das Gemeinschaftsprojekt für erledigt erklärt. Die Ansätze waren zu unterschiedlich: Paris wolle ein Verfahren entwickeln, das Internetdaten statistisch auswertet wie existierende Suchmaschinen. Den Deutschen sei es jedoch nie um eine Konkurrenz zu Google gegangen, wie das deutsche Wirtschaftsministerium verlauten ließ. Es könnten schließlich keine Steuergelder in ein Produkt fließen, das die freie Wirtschaft schon längst auf den Markt gebracht hat. Jetzt wird getrennt an der weiteren Entwicklung gearbeitet.
Die Bundesregierung rief in Folge des Streits das rein deutsche Forschungsprogramm "Theseus" ins Leben, mit dem nun neue Suchtechnologien und Dienste der nächsten Generation für das Internet entwickelt werden sollen. Die Suchmaschine setzt auf die Entwicklung eines semantischen Webs: Wie der griechische Held, der der Sage nach den Weg aus dem Labyrinth des Minotaurus fand, sollen Technologien entwickelt werden, um Wege aus dem Irrgarten der Datenflut zu finden. Anders als bei Google sollen Inhalte von Dokumenten nicht aufgrund der Schreibweise, sondern aufgrund ihrer Bedeutung ausgewertet werden. Ein Wort wie "Golf" wird dann in seinem Zusammenhang erkannt - ob damit die Sportart oder der Meerbusen gemeint ist. Es geht Theseus darum, das Wissen im Internet besser verwerten zu können. Wie Quaero und Google will es das kulturelle Erbe erhalten und Bestände in Bibliotheken und Archiven elektronisch zugänglich machen. Ende Juli stimmte die EU der staatlichen Förderung von Theseus zu.
Geplant ist auch die Entwicklung von Basistechnologien für die Computertomografie, Benutzeroberflächen und virtuelles Lernen.
Derzeit warten die Projektpartner aus Forschungsinstituten und Unternehmen wie SAP, der Bertelsmann-Tochter Empolis und Siemens auf grünes Licht von der EU-Kommission: Sie überprüft, ob es sich bei den bereit gestellten Fördergeldern nicht etwa um wettbewerbswidrige Beihilfen handelt.
Quaero existiert indes weiter als französische Hälfte des Projekts. Ein erstes Ergebnis: Exalead.com. Die französische Suchmaschine will mit acht Milliarden erfassten Webseiten bald an Google herankommen.
Doch eine ernstzunehmende Konkurrenz ist sie deshalb noch lange nicht - auch wenn sie interessante Funktionen hat, wie die Einblendung von Webseiten-Miniaturen auf der Ergebnisliste. Wegen der hohen Werbeerlöse ist der Markt enorm lukrativ - und Google mit seiner passenden, zielgruppengerechten Werbung ein Börsen-darling.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.