Weblogs
Netzschreiber schaffen in totalitären Staaten eine wirkungsvolle Gegenöffentlichkeit
"Baba" hat Mut. "Das Verhalten unserer Herrscher", schrieb der Iraner in sein Weblog, "hat die Religion ihrer heiligen Dimensionen beraubt und sie zu etwas Antisozialem gemacht." Solche Sätze sind geeignet, das Mullah-Regime bis aufs Blut zu reizen.
Über 70.000 Weblogs, also private Internetpublikationen, gibt es Schätzungen zufolge im Iran. Andere gehen gar von der zehnfachen Zahl aus. Junge Iraner schreiben über ihren Alltag, über Liebe und Konsum, über Filme, Musik - und über Politik und Religion. Im Internet wächst eine Gegenöffentlichkeit, die eine Wahrheit und Weltsicht jenseits der staatlich gelenkten Medien verbreitet und so die Mächtigen in Sorge versetzt. Die wehren sich mit Zensur und mit Schikanen, teils mit brutaler Verfolgung.
Das musste Anfang des Jahres der ägyptische Blogger Nabil Suleiman erfahren. Er hatte der muslimischen Al-Azhar-Universität in Kairo vorgeworfen, "extremistisches Gedankengut" zu verbreiten. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak nannte er ein "Symbol der Diktatur". Suleiman wurde mitten in der Nacht aus seiner Wohnung geholt, ins Gefängnis gesteckt, möglicherweise gefoltert und schließlich wegen "Beleidigun des Präsidenten" und "Volksverhetzung" in zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Trauriger Höhepunkt nach vielen Schikanen, die er schon vorher durch die Sicherheitspolizei hatte erdulden müssen.
Gerade in Ägypten machen die Netzschreiber der Regierung zunehmend Schwierigkeiten. In Weblogs tauchten Handyvideos auf, die Misshandlungen und sogar Vergewaltigungen in ägyptischen Polizeistationen zeigen. Fernsehsender griffen das Thema auf, Kairo hatte plötzlich ein offenkundiges Menschenrechtsproblem mehr. Einer der prominentesten Blogger, Wael Abbas, machte Bilder von massenhafter sexueller Belästigung ägyptischer Frauen in der Öffentlichkeit und stellte sie ins Netz.
"In Staaten mit zentralisierten Mediensystemen ist das Internet eine Möglichkeit, zu mobilisieren, zu kommunizieren und sich zu koordinieren", sagt Jan Schmidt, der an der Universität Bamberg Blogs und ihre Folgen erforscht. Die sehr persönliche Form des Web-logs gibt dem Protest ein Gesicht und eine persönliche Stimme. Das gilt für den Iran wie für Saudi-Arabien, für Russland wie für China. Gerade in Russland sind Blogs oft ausnehmend politisch - in anderen Ländern dagegen spielen eigentlich ganz andere Themen die Hauptrolle. Aber das reicht oft schon, um als subversiv betrachtet zu werden.
Ähnlich wie in westlichen Staaten, sagt Schmidt, schreibe auch im Iran die überwiegende Zahl der Blogger über ihr Privatleben. "Dazwischen kann dann auch mal etwas Politisches oder etwas über die Lebenswirklichkeit der Leute stehen - so entsteht ein authentischeres Bild vom Leben in einem Land, als es die Staatsmedien liefern."
Die Iranerin Nasrin Alavi hat solche Äußerungen in ihrem Buch "Wir sind der Iran" gesammelt, in dem die persische Weblog-Szene porträtiert wird. "Ein Grund für die rasche Verbreitung des Bloggens in Iran ist die Tatsache, dass es Bedürfnisse befriedigt, die die Printmedien nicht erfüllen", schreibt Alavi. Der weiche Weg an den Staatsmedien vorbei macht Blogs überall dort zu einer extrem populären Form, wo ungefärbte Information schwer zu bekommen ist.
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat eine Liste jener Länder veröffentlicht, in denen die Meinungsfreiheit im Netz besonders stark bedroht ist. Fünf der 13 liegen im Nahen Osten: Ägypten, Tunesien, Iran, Saudi-Arabien und Syrien. Natürlich steht auch China auf der Liste - das Land, in dem selbst US-Konzerne wie Yahoo und Microsoft mit der Regierung kooperieren, Verbindungsdaten von "Cyber-Dissidenten" herausgeben und sie so der Strafverfolgung ausliefern.
30.000 Internet-Polizisten kontrollieren das chinesische Netz. Blogs, so verkündet ein Ministeriumssprecher, müssten "dem Volke dienen" und sich gefälligst "Berichte und Kommentare über Politik, Wirtschaft, Militär, Außenpolitik und andere soziale Angelegenheiten" verkneifen. Trotzdem sind private Webseiten immer wieder Quellen unliebsamer Information. Etwa während der Sars-Epidemie im Jahr 2003, als die Staatsmedien die Lungenkrankheit schlicht verschweigen wollten, und ein paar Jahre später, als zehntausende von Blutspendern in ländlichen Gebieten durch Fehler der Gesundheitsbehörden mit Aids infiziert wurden. Blogger machten den Fall publik - einige davon leben heute sicherheitshalber in Hongkong.
In China gibt es geschätzte 123 Millionen regelmäßige Internetnutzer und laut der Tsinghua-Universität in Peking 60 Millionen Weblogs. Der effizienteste Überwachungsapparat muss an dieser Masse scheitern. Die "Great Firewall", der Zensurwall der Obrigkeit, ist löchrig, selbst wenn Suchmaschinen bei Begriffen wie "Tiananmen" nur Staatspropaganda statt Informationen über das Massaker auf dem "Platz des Himmlischen Friedens" auswerfen.
Überall, wo Meinungsfreiheit als Risiko betrachtet und Herrschaftswissen propagiert wird, kämpft der Staat gegen die neuen Informationswege: In Vietnam wird das Internet überwacht - jeglicher Verkehr läuft über einen Regierungsrechner. In den repressiven Staaten Zentralasiens müssen Einheimische mit Besuchen der Geheimpolizei rechnen, wenn sie sich im Netz regierungskritisch äußern. Und im bitterarmen Burma hatte die Regierung eine besonders simple Idee: Hier kostet ein Internetanschluss 1.300 US-Dollar Einrichtungsgebühr. Christian Stöcker
Der Autor ist Redakteur im Ressort Netzwelt und Wissenschaft von "Spiegel online".