BBV-Vereinbarung
Seit einem Jahr muss die Regierung das Parlament über EU-Vorlagen unterrichten
Hört man den Namen des Datensystems für EU-Dokumente des Bundestages, denkt man sofort an die verstoßene Sagenfigur, die vergeblich versuchte einen schweren Stein einen Hang hinaufzubekommen. Zwar trägt das System den Namen "SysiVus" und nicht Sysiphos, aber die große Menge an EU-Dokumenten wird so manchem schon einmal schier unendlich vorgekommen sein.
20.000 EU-Dokumente und 12.000 Unterrichtungsdokumente erhält der Deutsche Bundestag im Schnitt jährlich. Dazu kommen noch einmal 800 so genannte EU-Vorhaben. Die Flut an Dokumenten beschert den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern zwar eine Menge Arbeit, ist aber auch durchaus erfreulich. Denn genau ein Jahr ist jetzt die Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union, kurz BBV genannt, in Kraft.
Peter Hintze (CDU), studierter Theologe, gab sich bei der Bilanz zur BBV im Europaausschuss am 19. September durchaus optimistisch: "Der Geist entfaltet sich", sagte der Staatsminister im Bundeswirtschaftsministerium. Seine Behörde ist federführend für die Weiterleitung der Unterlagen an den Bundestag. Trotzdem sieht Hintze an einigen Stellen noch Veränderungsbedarf. Als ein Beispiel führte er die Bewertung von so genannten Rechtsetzungsakten an. Dabei wird geprüft, welche wirtschaftlichen, sozialen oder ökologischen Folgen ein Richtlinienvorschlag aus Brüssel haben kann und welchen Kosten und bürokratischen Folgen dies nach sich ziehen könnte. Von Oktober 2006 bis Mitte Juli 2007 wurden dem Bundestag 317 Vorschläge der Kommission unterbreitet, aber nur knapp ein Viertel konnte bisher umfassend bewertet werden.
Dabei sieht die BBV vor, dass der Bundestag "frühzeitig, fortlaufend und in der Regel schriftlich" zu unterrichten ist. Doch nicht immer werden bei der Vielzahl von Arbeitsgruppen und Sitzungen auch Protokolle verfasst. Gerade bei sensiblen Bereichen der Außen- oder Sicherheitspoltik müssen die Abgeordneten schon mal nachfragen. "Ich weiß, dass für Diplomaten die Schmerzgrenze höher liegt als für Abgeordnete", sagt das Mitglied des Europaauschusses Markus Löning (FDP). Sein Ausschusskollege Michael Roth (SPD) sieht aber nicht nur die Bundesregierung in der Pflicht, sondern auch die Abgeordneten selber: "Es kommt nicht nur auf die Verfügbarkeit von Dokumenten an", sagt er, "sondern auch auf deren Nutzung, vor allem in den Fachausschüssen. Insgesamt ist er aber zufrieden: "Die Theorie ist großartig, in der Praxis hapert es noch manchmal".
Als einer der Stolpersteine erwies sich dabei im ersten Jahr die Frage um das so genannte Einvernehmen. Vor Beitritten anderer Staaten oder bei einer Vertragsreviosion, wie jetzt beim EU-Reformvertrag, heißt es unter Punkt VI: "Vor der abschließenden Entscheidung im Rat bemüht sich die Regierung, Einvernehmen mit dem Deuschen Bundestag herzustellen. Für Kontroversen sorgte dabei jedoch die Frage, wann denn nun eigentlich der richtige Zeitpunkt ist. Anfang Juni hatte sich sogar das Plenum in einer vereinbarten Debatte mit dem Thema befasst. Damals wie heute verweist die Opposition darauf, dass ein solches Einvernehmen, so Markus Löning, "vor Aufnahme von Verhandlungen hergestellt werden muss". Auch Alexander Ulrich (Die Linke) ist mit der Praxis nicht zufrieden. "Für mich ist das Einvernehmen nicht dadurch hergestellt, dass ein Ausschuss besucht wird", sagt er mit Anspielung auf einen Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, bei dem sie den Abgeordneten persönlich Bericht erstattet hatte. Insgesamt zeigt er sich aber zufrieden mit der Vereinbarung: "Ich glaube, dass wir feststellen können, dass sich die Bedingungen verbessert haben", sagt Ulrich. Auch für seinen Kollegen Rainder Steenblock (Bündnis 90/Die Grünen) ist die Situation klar: "Kenntnisnahme ist keine Einvernehmenserklärung", so Steenblock. Um solche Konflikte in Zukunft auszuschließen, plädiert er dafür, das Prozedere des Einvernehmens genau zu klären. Er bewertet die BBV positiv, aber für ihn kommt es auch darauf an, "da, wo es hakt, weniger Sand im Getriebe zu haben". Für Michael Stübgen (CDU/CSU) ist es hingegen wichtig, die Strukturen nicht zu eng zu fassen. Er weiß, dass auch die Abgeordneten gefragt sind: "Wir als Bundestag müssen den Mut haben, dieses Recht offensiv zu nutzen", erklärt er und fügt hinzu: "Wir sollten uns darauf verständigen, dass die Herstellung des Einvernehmens, um das sich die Bundesregierung vor der Aufnahme von Verhandlungen bemühen muss - ein für alle Beteiligten transparenter und sichtbar dokumentierter Vorgang sein sollte."
Auch für Sven Vollrath, Leiter des Europabüros bei der Bundestagsverwaltung, das die Abgeordneten bei ihrer Arbeit unterstützt, hat die BBV vieles verändert: "Die Sensibiliät für die europäische Rechtsetzung hat deutlich zugenommen", sagt er. "Kaum ein anderes europäisches Parlament ist so gut über das, was in Brüssel vorgeht, informiert wie wir und kann so seine Mitwirkungs- und Kontrollrechte gegenüber der Regierung wirklich wahrnehmen", so Vollrath. Und während er das sagt, ist wahrscheinlich schon wieder ein EU-Dokument beim Bundestag eingegangen. Zwar erleichtert die größere Zahl der Dokumente insgesamt die Arbeit der Abgeordneten. Manchmal ist es bei der Fülle von Themen und Papieren aber auch ein wenig so, sagt das Europausschussmitglied Michael Roth, "als müsse man die Nadel im Heuhaufen finden".