1968 Demokratie vor dem Notstand?
Rede des Bundeskanzlers Dr. Kurt Kiesinger bei der dritten Lesung der Notstandsgesetzgebung im Bundestag am 30.Mai 1968.
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Unmittelbar vor der zweiten Lesung der 'Notstandsgesetze' veranstaltete das Kuratorium "Notstand der Demokratie" am 11.Mai 1968 einen Sternmarsch aus allen Teilen der Bundesrepublik nach Bonn
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Über ein Jahrzehnt verhandeln die Abgeordneten im Bundestag, denn sie wollen mit allen Mittel eines vermeiden: Notverordnungen dürfen nicht die Möglichkeit bieten, das Parlament auszuschalten, wie das in der Weimarer Republik möglich war.
Deshalb findet der erste Entwurf zur Notstandsgesetzgebung von Innenminister Gerhard Schröder (CDU) 1960 keine Mehrheit: Nach Ansicht von SPD und Gewerkschaften hat darin die Exekutive zu weitgehende Rechte, die Position des Parlaments ist zu schwach.
Die Große Koalition bietet die Chance zu einem Kompromiss. Er enthält im Kern die Errichtung eines "Gemeinsamen Ausschusses" aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates, der als eine Art Notparlament im Notstandsfall die parlamentarischen Rechte aufrecht erhält. Nach langen Verhandlungen verabschiedet der Bundestag am 30. Mai 1968 die dazu nötigen Grundgesetzänderungen für eine Notstandsverfassung.
Die FDP und 53 Abgeordnete der SPD stimmen gegen die Notstandsgesetze. Auch in der Öffentlichkeit werden die Debatten durch große Proteste begleitet. Vor allem Gewerkschaften und Studenten fürchten eine Aushöhlung der Grundrechte und einen bedenklichen Machtzuwachs des Staates. Sie veranstalten am 11. Mai 1968 einen Sternmarsch auf Bonn, an dem sich 30000 bis 70000 Menschen beteiligen.
Die Opposition gegen die Notstandsgesetze ist jedoch nur ein Anlass der bisher größten Proteste in der Bundesrepublik. Diese kulminieren, wie in anderen Industrieländern auch, im Jahr 1968. Dabei sorgt der Vietnamkrieg für die internationale Dimension der Protestbewegungen.