Die gegenwärtigen Beziehungen Deutschlands und Polens sind trotz vertraglicher Vereinbarungen und vieler offizieller Erklärungen hochrangiger Politiker noch keineswegs als wirklich erfolgversprechend für den nachhaltigen Ausbau der bilateralen "Interessengemeinschaft" (Skubiszewski) zu bezeichnen. Noch immer erschweren Irritationen, Widersprüche und Empfindlichkeiten ebenso wie mangelndes Engagement eine echte Partnerschaft. Das gegenseitige Aufrechnen, so jüngst die Kopernikus-Gruppe (Darmstadt-Stettin), müsse endlich ein Ende haben.
Dies alles zeugt nicht zuletzt von großen Wissenslücken hüben und drüben. Dem abzuhelfen versucht erneut der "Altmeister" der Forschung zu den deutsch-polnischen Beziehungen, Miesczyslaw Tomala. Er behandelt die Haltung Polens zur Einheit Deutschlands in den dramatischen Jahren 1989 bis 1991. Tomala ist einer der profiliertesten Fachleute auf diesem Gebiet, was nicht heißt, all seinen Interpretationen zustimmen zu können. Jedoch hat er über 30 Jahren lang in Theorie und Praxis (so als Dolmetscher) die wechselvollen Beziehungen in ihren Tiefen und Höhen im wesentlichen zutreffend analysiert.
In sechs im ganzen gelungenen überblicksartigen Kapiteln hat er die Frage untersucht, wie und warum sich Wahrnehmungen, Einstellungen, Bedrohungsbilder und Äußerungen polnischer Führungseliten und Medien in seinem Land zur Wiederherstellung der deutschen Einheit seit dem Ende des Kalten Krieges schrittweise verändert haben und warum sich schließlich die Einsicht durchgesetzt hat, dass die Einheit Deutschlands auch im Interesse eines demokratischen Polens und eines geeinten freiheitlichen Europas liege.
Zunächst skizziert Tomala die Prämissen der offiziellen polnischen Staatsräson nach dem Zweiten Weltkrieg. Hierzu zählten vor allem zwei deutsche Staaten als eine Art moralischer Strafe für vergangenes deutsches Unrecht, die unabdingbare völkerrechtliche Anerkennung der neuen Oder-Neiße-Grenze und die Gewährleistung der nationalen Sicherheit durch den sowjetischen Hegemon. Aber Tomala verweist auch auf eine frühzeitig differenziertere Einschätzung der bilateralen Beziehungen und auf den Wunsch nach Aussöhnung zwischen beiden Völkern.
Im Zeichen der neuen Politik von Solidarnosc und Perestroika mehrten sich dann die kritischen Stellungnahmen gegenüber der einseitigen Haltung Warschaus. Mit der ersten demokratisch legitimierten Regierung Mazowiecki (1989) setzte ein offener Dialog über Polens Haltung zur veränderten europäischen Friedensordnung ein. Mehr und mehr Repräsentanten des geistigen Polens vertraten im Laufe der Jahre die Ansicht, dass den Deutschen das Recht auf Selbstbestimmung nicht länger vorenhalten werden könne. Ein Thema blieb allerdings unstrittig: unabdingbare Voraussetzung für die Zustimmung der Polen zur Einheit Deutschlands blieb die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Hierin wurden sie auch von den westlichen Verbündeten unterstützt.
Es zählte zu den großen Irrtümern mancher Vertriebenen-Organisationen zu glauben, man werde über die Rückgabe der verlorenen Ostgebiete mit einer demokratischen Regierung Polens noch einmal aussichtsreiche Gespräche führen können. Die späteren Verhandlungen zwischen Bonn und Warschau, die Tomala aus bisher unveröffentlichten Quellen belegt, machen deutlich, mit welcher Entschiedenheit das neue Polen seine nationalen Interessen vertreten hat. Wenn Bundeskanzler Kohl mit einer Anerkennung der Grenze lange gezögert hat, so war dies vornehmlich auf innenpolitische Beweggründe zurückzuführen. Er wusste, dass seine Regierung, sobald es einen gesamtdeutschen Souverän gab, ihre Zustimmung zu dem Unvermeidlichen nicht mehr länger verweigern konnte. Hierzu hatten ihn auch die USA massiv gedrängt.
Klar nennt der Autor die latent noch immer vorhandenen Ängste und Sorgen vor einer künftigen Dominanz der Deutschen sowie radikale Haltungen mancher Polen, - für ihn alles Beweise dafür, wie sehr noch immer das Schicksal Polens in der Vergangenheit seine Spuren hinterlassen hat.
Abschließend erörtert er die 2+4-Gespräche der Großmächte, die letztlich die Wege zur Unterzeichnung des gesamten Vertragswerkes von 1990/91 geebnet haben. Kein Zweifel lassen er und seine Frau Karin, die die Einleitung einfühlsam verfasst hat, dass erst durch die Einheit Deutschlands die beste Garantie für gutnachbarliche Beziehungen zwischen Polen und Deutschland und zugleich für die Überwindung der Teilung Europas geschaffen worden sei. Bleibt nur zu hoffen, dass Polen und Deutsche diese einmalige historische Chance endlich verantwortungsbewusst und konsequent nutzen.
Mieczyslaw Tomala
Polen und die deutsche Wiedervereinigung.
Verlagshaus ELIPSA, Warschau 2004; 249 S., 16,80 Euro