Osmar White gehörte zu den Kriegsberichterstattern, die sich in allen Krisengebieten tummelten. Er war dabei, als die Japaner im Zweiten Weltkrieg die zu Australien gehörende Insel Neuguinea besetzten, berichtete darüber für britische Zeitungen des Murdoch-Konzerns und schrieb, nachdem er verwundet worden war, ein Buch über seine Erlebnisse im Dschungel. "Green Armour" wurde ein großer Erfolg. Nachdem er sich von seinen Verletzungen erholt hatte, entsandten ihn seine Auftraggeber auf den europäischen Kriegsschauplatz.
Im Gefolge der 3. Armee unter George Patton berichtete White über den Vormarsch der Alliierten von der französischen Küste in Richtung Westen. Mit den britischen Truppen rückte er 1945 in Deutschland ein und registrierte, dass die "Krauts" - so nannten die Westalliierten die Deutschen - erstaunliche Taten zustande gebracht hätten, dass aber ihr Widerstand vollkommen zusammengebrochen sei, als der Krieg ihr Vaterland erreicht hatte.
Zurück in London verarbeitete er seine Eindrücke wiederum in einem Buch. Amerikanische und britische Verlage interessierten sich dafür, sagten dann aber übereinstimmend ab; White habe zu viel Text, den er sich durch Lektüre nach Kriegsende zu eigen gemacht habe, einfließen lassen. 1983 holte White das alte Manuskript wieder hervor, überarbeitete es und gab ihm den Titel: "Die Straße des Siegers". Der Piper-Verlag veröffentlicht es jetzt wohl in der Hoffnung, es füge sich gut in den allgemeinen Kontext der Aufarbeitung des Krieges.
Tatsächlich ist White dort am stärksten, wo er die unmittelbaren Eindrücke vom Vormarsch wiedergibt. Die am meisten berührende Stelle ist die vom Einmarsch der amerikanischen Truppen in das Konzentrationslager Buchenwald. White folgte ihnen auf den Fersen und erlebte das KZ so, wie die SS-Aufseher es hinterlassen hatten, als sie vor den einrückenden Siegern Hals über Kopf flohen. Der Reporter bekennt, er habe bis dahin die Berichte über deutsche Konzentrationslager für überzogene Propaganda gehalten, aber was er hier sah, übertraf alles, was er je darüber gehört oder gelesen hatte.
Überall lagen Leichen herum, dazwischen bewegten sich halb verhungerte Häftlinge. Einer von ihnen, der dazu noch in der Lage war, führte den Journalisten zu den Gaskammern, dem "Erdrosselungs"- und dem Erschießungsraum und dem Krematorium, dessen sechs Öfen "seit Jahren Tag und Nacht in Betrieb waren", wie ihm der Begleiter berichtete. White hatte nicht viel Zeit, seine Eindrücke zu verarbeiten, er musste mit den Truppen weiter ziehen, aber die Erlebnisse ließen ihn lebenslang nicht los. Daher drängte es ihn immer wieder, an dem alten Manuskript zu arbeiten, da es ihm unvollständig erschien.
So fand er es unzureichend, die Vergehen der eigenen Truppen zu übergehen. In seinen Reportagen wachte die Zensur darüber, dass er nicht über Fehlleistungen der Alliierten schrieb; also rekonstruierte er sie später nach Eintragungen in seinem Kriegstagebuch. Zum Beispiel zitierte er einen britischen Offizier, der nach erbitterten Kämpfen die Schlupflöcher durchsuchte, in die sich geschlagene deutsche Soldaten zurückzogen. Er habe ihnen zugerufen, sich zu ergeben, und ihnen eine Minute Zeit gegeben, danach - so versicherte er - habe er die griffbereite Handgranate ins Erdloch geworfen. Solche nachträglich eingefügten Passagen fallen deutlich schwächer als die unmittelbaren Augenzeugenberichte aus, um derentwillen es sich lohnen dürfte, das Buch zu lesen.
Osmar White
Die Straße des Siegers.
Eine Reportage aus Deutschland 1945.
Piper-Verlag , München/Zürich 2005; 294 S., 14,- Euro