Die konstituierende Sitzung des Bundestages am 18. Oktober wurde vom 73-jährigen Alterspräsidenten Otto Schily (SPD) eröffnet. In seiner kurzen - teils launigen - Ansprache rief der noch amtierende Bundesinnenminister dazu auf, im Plenum die Sorgen der Menschen klarer zur Sprache zu bringen. Politiker sollten dies mit "mehr Optimismus, Selbstvertrauen und Zuversicht" tun. Schily, der nach 2002 erneut als Alterspräsident fungierte, forderte dazu auf, nicht "das eigene Land wider besseren Wissens schlecht zu reden, nur um politische Geländegewinne zu erzielen".
In seiner Antrittsrede unterstrich Lammert die Bedeutung des Parlaments für eine funktionierende Demokratie. Ein politisches System werde nicht durch die Existenz einer Regierung als Demokratie qualifiziert, sondern durch die Existenz eines Parlaments: "Hier schlägt das Herz der Demokratie oder es schlägt nicht", hob er hervor. Das Parlament sei nicht Vollzugsorgan der Bundesregierung, sondern umgekehrt - ihr Auftraggeber. Weiter betonte er, man müsse die oft berechtigte Kritik am Zustand des politischen Systems ernst nehmen. Die großen Herausforderungen und die damit verbundenen Veränderungen in Deutschland setzten Vertrauen in die dafür verantwortlichen Institutionen, in die Legitimation, die Kompetenz und die Integrität der politischen Akteure voraus.
Lammert löst den bisherigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) ab. In der neuen, der 16. Wahlperiode sollen ihn sechs Stellvertreterinnen beziehungsweise Stellvertreter unterstützen, zwei mehr als in der 15. Legislaturperiode. Gewählt wurden Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU), Wolfgang Thierse und Susanne Kastner (beide SPD), Hermann Otto Solms (FDP) und Katrin Göring-Eckhardt (Grüne). Für Unmut in der SPD sorgten 136 Nein-Stimmen und 52 Enthaltungen bei der Wahl Thierses.
Zu einem politischen Eklat kam es bei der Wahl des von der Linkspartei vorgeschlagenen PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky. Er verfehlte auch im dritten Wahlgang die erforderliche Stimmenmehrheit. Obwohl laut Geschäftsordnung alle Fraktionen einen Anspruch auf einen Sitz im Bundestagspräsidium haben, wurde Bisky bei den drei geheimen Abstimmungen nicht gewählt. Die Sitzung wurde daraufhin ohne Entscheidung beendet. Für den 25. Oktober hat die Linkspartei eine Sondersitzung des Ältestenrats beantragt, in der über das weitere Verfahren zur Wahl des noch ausstehenden Vizepräsidenten beraten werden soll. Die PDS-Führung hat angedeutet, dass sich Bisky einem weiteren Wahlgang stellen werde. Der PDS-Politiker, dem auch eine - nicht bewiesene - Stasi-Vergangenheit vorgeworfen wird, ist bereit, sich einer Diskussion um seine Person zu stellen. In der Wahlperiode von 1998 bis 2002 war schon einmal eine PDS-Abgeordnete - Petra Bläss - Vizepräsidentin des Bundestages, sie setzte sich damals gegen die CSU-Abgeordnete Michaela Geiger durch.
Mit der Annahme der Geschäftsordnung des Bundestages - ebenfalls am 18. Oktober - traten neue Regeln für die Offenlegung von Nebeneinkünften der Abgeordneten in Kraft. Danach müssen Parlamentarier grundsätzlich ihre außerhalb des Mandats erzielten Einnahmen veröffentlichen. Dies soll in drei Einkommensstufen geschehen.
Rot-Grün hatte diese Neuregelung gegen den Widerstand vor allem aus der FDP im Juni verabschiedet. Die Verschärfung war nach Fällen, bei denen Abgeordnete Zahlungen aus der Wirtschaft ohne entsprechende Gegenleistungen angenommen hatten, in Angriff genommen worden. Lammert hatte sich in seiner Antrittsrede für "Nachjustierungen" bei den neuen Verhaltensrichtlinien eingesetzt; "Übertreibungen" sollten beseitigt werden. Bislang liegen noch keine Ausführungsbestimmungen für die Neuregelung vor. Der SPD-Abgeordnete Christian Lange, der gemeinsam mit anderen Parlamentariern die Verschärfung in Gang gebracht hatte, erklärte: "Nur wenn man weiß, was einer verdient, kann man auch sagen, ob er wirklich nur dem eigenen Gewissen verantwortlich ist."
Bundespräsident Horst Köhler entließ nach dem ersten Zusammentreten des Bundestages die Mitglieder der rot-grünen Bundesregierung. Er bat die bisherigen Kabinettsmitglieder zugleich, bis zur Bundeskanzlerwahl geschäftsführend im Amt zu bleiben.
Der neue Bundeskanzler wurde bisher immer in der zweiten oder dritten Sitzung des neuen Bundestages gewählt. Nach dem Willen von Union und SPD sollen die Koalitionsgespräche bis zum 12. November abgeschlossen sein. An den Verhandlungen werden auf Fachebene auf beiden Seiten bis zu 190 Politiker beteiligt sein. Seit dem 19. Oktober tagen die 16 Arbeitsgruppen. Nach Beendigung der umfangeichen Verhandlungen werden Parteitage über eine Koalitionsbildung zu entscheiden haben.