Schon immer war die Entwicklung des eigenen Faches Gegenstand der historischen Forschung. In letzter Zeit hat sich dies interessanterweise vermehrt in Biografien niedergeschlagen, einem Genre, das von der deutschen Geschichtswissenschaft lange eher gering geschätzt wurde. Dass auch Hans Rothfels (1891-1976) zum Kreis derer gehört, die eine biografische Würdigung geradezu herausfordern, liegt auf der Hand, gehörte er doch nach dem Zweiten Weltkrieg zu den führenden Repräsentanten des Faches in der Bundesrepublik.
Wie nur wenige hat es Rothfels sogar dazu gebracht, zum Thema einer eigenen wissenschaftlichen Tagung zu werden. Veranstaltet wurde sie vom Münchener Institut für Zeitgeschichte, bei dessen Anfängen Rothfels eine Schlüsselrolle spielte. Jetzt liegt eine Studie von Jan Eckel vor, die den wissenschaftlichen Werdegang von Rothfels in Beziehung zu dessen "lebensgeschichtlichen Situationen" setzt.
Die Auseinandersetzung mit der Vita und dem Werk einzelner Historiker hat in jüngerer Zeit noch dadurch eine besondere Brisanz erfahren, dass sich die Geschichtswissenschaft verstärkt ihrer Rolle in der NS-Zeit zugewandt hat. Im Unterschied zu anderen Gründungsfiguren der westdeutschen historischen Zunft scheint Rothfels auf den ersten Blick über jeden Verdacht erhaben zu sein, sich in die Nähe der NS-Ideologen oder gar der Täter begeben zu haben.
Aufgrund seiner jüdischen Herkunft, in die der evangelisch getaufte Nationalkonservative und Kriegsfreiwillige des Jahres 1914 von den Nationalsozialisten zurückgezwungen wurde, zählte Rothfels zu den Opfern des Regimes. Von seiner Professur in Königsberg 1934 vertrieben, wählte er nach einer Übergangszeit das Exil, zunächst in England und später in den USA, wo er an den Universitäten von Providence und Chicago lehrte. Anders als die meisten seiner Leidensgenossen kehrte er nach Deutschland zurück und folgte 1951 einem Ruf an die Universität Tübingen.
Seine Reputation über die Fachgrenzen hinaus resultierte weniger aus seinen akademischen Arbeiten über Clausewitz und Bismarck, sondern aus einer weit verbreiteten Schrift über den konservativen Widerstand, dessen Vermächtnis für die Nachkriegszeit im Sinne eines "Gründungsmythos des westdeutschen Staates" herausgestellt wurde. Ämter und Ehrungen blieben nicht aus. Von 1958 bis 1962 war Rothfels Vorsitzender des Historikerverbands, 1961 wurde er in den Orden "Pour le mérite" aufgenommen.
Rothfels gehörte einer Generation an, die von der Jahrhundertwende bis zum Kalten Krieg die Erschütterungen und Umbrüche des 20. Jahrhunderts durchlebte. Noch im Kaiserreich politisch sozialisiert, war er mit dessen Kriegsniederlage und Ende konfrontiert. Der Weimarer Republik und ihrer Verfassung begegnete der "nationale Junghistoriker" Rothfels mit ablehnender Distanz. Von der Präsidialregierung Brüning erwartete er sich eine "evolutionäre Verfassungsumwandlung".
Sein "rechtsgerichteter Etatismus" führte Rothfels nicht direkt in das Lager der extremen Rechten. Unübersehbar aber sind, so Eckel, "intellektuelle Dispositionen, die auf eine grundsätzliche Kompatibilität mit nationalsozialistischen Politik- und Herrschaftsvorstellungen verweisen". Freilich ließ die NS-Rassen-ideologie keinerlei Kompromisse zu, so dass sich Rothfels entgegen seinen Wünschen ausgegrenzt sah. Aus dem Abgrund des Exils kehrte er als "versöhnungsbereiter und integrierend wirkender Remigrant" in ein Land zurück, das seine nationale Einheit verloren hatte und an der europäischen Frontlinie des Kalten Kriegs lag.
Eckels methodisch anregendes Buch, das über seinen engeren Gegenstand weit hinausweist, geht der Frage nach, "wie sich die extremen Zeiterfahrungen des deutschen 20. Jahrhunderts auf die wissenschaftliche Tätigkeit" ausgewirkt haben. Gesucht wird nach den "Kontinuitäten und Transformationen eines intellektuellen Profils". Vereinfacht formuliert geht Eckel dem uralten Problem nach, welche Gegenwartsfragen vom Historiker an die Vergangenheit gestellt werden.
Das Oeuvre von Rothfels erscheint ihm als Modellfall dafür, wie der Historiker die zeitgenössisch wahrgenommenen Bedrohungen in der Geschichte wieder findet. Über alle Brüche hinweg hielt Rothfels an den Grundlinien eines "nationalkonservativen Diskurses" fest und fühlte sich konstant einem "Ordnungs- und Stabilisierungsdenken" verpflichtet.
Rothfels übernahm, so Eckel, "Denkfiguren des neokonservativen Lagers in die geschichtswissenschaftliche Beschreibung und Interpretation". Als sich diese Ausgangsposition in den 50er-Jahren mit der "zögerlichen Bejahung einer westlichen politischen Gemeinschaft" verband, war der Boden dafür bereitet, dass Rothfels mit seinem "Bedürfnis nach positiver Traditionsbildung" zu einer Symbolfigur der jungen Bundesrepublik werden konnte. Noch behauptete sich der Glaube an einen "im Kern ,gesunden' Verlauf der deutschen Historie".
Jan Eckel
Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert.
Wallstein Verlag, Göttingen 2005; 479 S., 42,- Euro