Als am Sonntagabend die Buchmesse zu Ende ging, waren nach Angaben der Veranstalter exakt 284.838 Besucher gekommen. Mit mehr als 7.200 Einzelausstellern aus 101 Ländern wurde die Vorjahreszahl von 6.700 Ausstellern aus 110 Ländern noch einmal übertroffen. Mit 380.000 ausgestellten Titeln waren es 30.000 mehr als 2004.
Messedirektor Boos warnte allerdings davor, auch für die Zukunft ein anhaltendes Wachstum vorauszusetzen. Alle wichtigen Verlagshäuser in der Welt seien inzwischen in Frankfurt vertreten, sehr viel mehr werden es darum nicht mehr werden. Um dennoch auf Wachstumskurs zu bleiben, will sich die Messe schon bald als Buchpartner im Ausland präsentieren. Der Anfang soll bereits im kommenden Jahr in Südafrika gemacht werden, wo im Juni in Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Verlegerverband eine neue Buchmesse in Kapstadt starten soll.
Interessante Zahlen gab es zur weltweiten Buchproduktion. Im vergangenen Jahr sind in der Europäischen Union 387.000 neue Titel herausgekommen, davon 80.000 in Deutschland, je 30.000 in Spanien und Italien und 22.000 in Frankreich. Die EU lag damit vor dem englischsprachigen Raum, der 375.000 Titel aufweist (USA 195.000, Vereinigtes Königreich 85.000) und vor Asien mit 300.000 Titeln (darunter China mit 110.000 und Japan mit 72.000 Titeln). Schließlich eine eher traurig stimmende Zahl, die schon im Vorjahr von der UNESCO publiziert und jetzt wieder bestätigt wurde: Im gesamten arabisch sprechenden Raum mit seinen über 200 Millionen Menschen werden weniger ausländische Titel in die heimische Sprache übersetzt als in Griechenland mit seinen knapp zwölf Millionen Bewohnern.
Bei den Verlagen "führt" Russland mit 6.300 Verlagen vor Japan (4.361), den USA (83.200), Großbritannien (2.275) und Deutschland (1.827). Für den gesamten spanisch sprechenden Raum sind 3.500 Verlage ausgewiesen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es 4.349 Buchhandlungen (Stand 30.04.2005), das sind 91 weniger als vor einem Jahr.
Bei den Sachbüchern ist unverkennbar, dass zu den bisher als vorrangig angesehenen Themen aus Politik, Zeitgeschichte, Globalisierung und Ökologie immer stärker auch Fragen des interkulturellen und auch interreligiösen Dialogs treten. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 steht das Thema "Islam" ganz oben an. Nach der ersten Publikationswelle, die häufig allzu einseitig Terrorismus und religiösen Fanatismus thematisierte, wächst jetzt die Zahl der Publikationen, die überhaupt erst einmal informieren wollen. Für fast jedes arabische Land gibt es mittlerweile gute Einführungen zur Geschichte, zur Kultur und Literatur, auch zu ethnischen Fragen.
Manche Autoren, die vor 30 Jahren bei der ersten Ölkrise, als auch unverhofft das Interesse an den islamisch geprägten Ländern wuchs, en vogue waren, sind es auch heute wieder. Und so wie damals wird jetzt wieder die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen den Religionen gesehen, was dann sehr schnell zur Analyse der eigenen Wertvorstellungen führt.
Wie dringlich das Thema "Religionen heute" geworden ist, zeigt sich auch daran, dass ausgerechnet der Suhrkamp Verlag, der sich doch nach landläufiger Meinung den "säkularen" Werten der Aufklärung verpflichtet fühlt, im kommenden Jahr einen "Verlag der Weltreligionen" gründen will - übrigens in Ergänzung zu einer ebenfalls neuen "Edition Unseld", die aktuelle Themen aus Geistes- und Naturwissenschaften bündeln soll. Man spürt, dass es an der Zeit ist, religiöse Themen als dringende politische Fragen einer neuen Weltordnung zu sehen; dass Religion "tot" sei, möchte heute niemand mehr behaupten.
Schon Tradition - man muss sagen: eine bedauerliche Tradition - hat die auf jeder Buchmesse anberaumte Pressekonferenz des PEN-Zentrums Deutschland zum Thema "Writers in Prison". Es ist eine Aktion von Kulturschaffenden, überwiegend von Schriftstellern, für verfolgte oder bedrohte Kollegen in Ländern, in denen Meinungs- und Pressefreiheit wenig gelten.
Nach PEN-Angaben sind im ersten Halbjahr 2005 weltweit 28 Schriftsteller und Journalisten getötet worden; zwölf sind spurlos verschwunden, mehr als 200 Menschen wurden verfolgt und inhaftiert, über 100 auf andere Weise attackiert oder bedroht. Immerhin konnte durch entschiedenen öffentlichen Protest fast der Hälfte der Betroffenen geholfen werden, sei es, dass Haftstrafen erlassen wurden, sei es, dass Ausreisen gestattet wurden.
In vielen Ländern ist der Gummiparagraf der "Diffamierung" Anlass genug, um Verfolgungen einzuleiten oder harte Haftstrafen auszusprechen. In China, Vietnam und Tunesien wurden beispielsweise mehrere Internet-Journalisten massiv bedroht, in mehreren südamerikanischen Ländern verschwanden mutige Verleger spurlos. In Frankfurt wurden der zynische Ausspruch iranischer Vernehmungsbeamter zitiert: "Wir erleichtern ihnen den Tod."
Südkorea hatte keine Mühe gescheut, sich als Land mit reicher kultureller Tradition zu präsentieren. Der große Saal der Halle 1 war in mildes Licht getaucht, das den zahlreich aufgestellten großen Steinen ein geheimnisvolles Aussehen gab und zwölf in Großbild präsentierte Autoren beleuchtete. An den Steinen konnte man sich elektronisch über insgesamt 100 Bücher informieren - Bücher, die nach koreanischen Angaben alles Wichtige über Geschichte und Kultur des Landes aussagen. Denn als ein Kulturland, weniger als einer der prosperierenden "global player" in der heutigen Weltwirtschaft präsentierte sich das fernöstliche Land; man spürte förmlich, wie sehr es sich gegen seine übermächtigen Nachbarn Japan und China behaupten wollte. Voller Stolz zeigte man die berühmte "Jikij"-Schrift von 1387, die mittels eines erstmals technischen Buchdrucks, also gut 100 Jahre vor Guten- berg, verfasst wurde. Heute steht sie in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes.
Zur Messeeröffnung war der südkoreanische Ministerpräsident Lee Hae Chan gekommen. Er beklagte eine "Distanz" zwischen den Kulturen des Ostens und des Westens, die trotz aller technologischen Fortschritte weiterbestehe; ja, die gewaltige Informationsmenge der heute digital verbundenen Gesellschaften führe eher zu einem Desinteresse "am großen geistigen Erbe anderer Kulturen". Er würdigte die Buchmesse zugleich als "große geistige Seidenstraße", die Begegnungen zwischen den Völkern ermögliche.
Mit Orhan Pamuk erhielt nach Yasar Kemal (1997) zum zweiten Mal ein türkischer Autor den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Wie es sich für einen richtigen Schriftsteller gehört, sitzt Pamuk zwischen allen Stühlen. In seiner Heimat sieht er sich angesichts seiner weltoffenen Haltung angefeindet, ja inzwischen von der Justiz bedroht; in Frankfurt gab es nach der Preisrede in der Paulskirche wegen des vehement vorgetragenen Plädoyers für einen EU-Beitritt der Türkei manches Stirnerunzeln. Pamuk hatte gewarnt: "In Europa eine Türkenfeindlichkeit zu schüren führt leider dazu, dass sich in der Türkei ein europafeindlicher, dumpfer Nationalismus entwickelt." Es gelte, eine Entscheidung zwischen Frieden und Nationalismus zu treffen.
Unendlich viele Eindrücke der Buchmesse sind jetzt zu verarbeiten. Im koreanischen Pavillon war ein bedenkenswerter Satz zu lesen: "Seit alten Zeiten hegten die Koreaner die Auffassung: Ein Tag ohne Lektüre hinterlässt einen schalen Geschmack." Bei dem breiten und interesanten Angebot dieses Herbstes liegt es an jedem Leser selbst, welchen Geschmack er während der kommenden Wochen im Munde spürt.