Die Jugendgeneration von heute ist eine Mediengeneration. Sie verbringt mehr Zeit mit audiovisuellen Medien als mit Büchern. Sie ist es gewohnt, den dynamischen Darstellungen und komplexen Erzählweisen eines Videospiels zu folgen. Jugendliche sind Konsumenten von Medienprodukten, die eigens auf sie zugeschnitten werden; sie sind aber auch Produzenten, die gelernt haben, sich Medien aktiv anzueignen und ihre eigenen Botschaften zu versenden. Da erscheint es sinnvoll, dass sich die Parteien ihnen mit den entsprechenden Medien - sprich dem Internet - nähern.
Wahlkämpfe sind Hochzeiten der politischen Kommunikation. Insbesondere der Internetwahlkampf und dessen mediale Begleitung wenden sich an die jüngeren Wählergruppen. Was die Parteien hier anzubieten haben, ist jedoch auch im dritten Onlinewahlkampf - nach 1998 und 2002 - ernüchternd. Zwar verfügen alle etablierten Parteien über eine Vielzahl von Plattformen und Websites. Netzaffinität lassen sie jedoch durchweg vermissen. Die zentralen Parteiportale begreifen das Internet im Wahlkampf nach wie vor als zusätzlichen Kanal, auf dem man - wie sonst auch in den Medien - seine Botschaften abladen kann. Die Seitenstruktur ist oft identisch: Unser Programm, unsere Themen, unsere Kandidaten, unsere Kampagnen, unsere Unterstützer. Das Schlimme ist: Es steht auch wirklich so auf den Seiten. Hier ist keine Bewegung hin auf den Wähler zu erkennbar, keine Frage nach seinen Wünschen und seinem Programm, ganz zu schweigen davon, dass man Parteipositionen zur Dis-kussion stellt. Die Angst vor kontroversen Meinungen auf der eigenen Website ist tief verwurzelt: Hier soll gerade im Lagerwahlkampf Geschlossenheit demonstriert werden.
Doch ist es eben der diskursive Moment, der die Attraktivität eines jeden Forums ausmacht, egal, ob dort Hundefutter oder das Steuersystem thematisiert werden. Zaghafte Versuche einer solchen Ermöglichung von Meinung sind bei der FDP vorhanden gewesen. So führen die Liberalen regelmäßig Umfragen auf ihrer Website durch. Nach der Wahl fragen sie beispielsweise, welche Positionen die FDP bei Koalitionsverhandlungen auf jeden Fall durchsetzen soll. Ebenso wurde eine "Liberale Kommunikationsplattform" aufgebaut, an der auch Nichtmitglieder mitwirken können. Registriert und koordiniert wird hier das liberale Projekt gepflegt, was letztlich auch nur halbherzig ist, weil die FDP vor einigen Jahren mit einer offeneren Programmdiskussion im Internet schon einen Schritt weiter war.
Andere interaktive Projekte, die nach einem ambitionierten Start und sicherlich auch überzogenen Erwartungen im Netz vor sich hin dümpeln, sind virtuelle Parteitage und der virtuelle Ortsverein der SPD (VOV). Ein erster ernstzunehmender virtueller Parteitag wurde von den Grünen im Dezember 2000 durchexerziert. Leider ist das Vorhaben über diesen exemplarischen Status nicht hinausgekommen und zählt heute nur noch zu den historischen Orten der Parteiengeschichte im Internet (www.virtueller-parteitag.de).
Der bereits 1995 ins Leben gerufene VOV firmiert aus satzungstechnischen Gründen als Arbeitskreis beim Parteivorstand der SPD und wendet seine besondere politische Aufmerksamkeit den "modernen Informations- und Kommunikationstechnologien" zu. Beides limitiert die Beweglichkeit und sieht schon von weitem nach Parteitümelei aus. Mitreden darf nur, wer das "Mitgliedsformular" ausgefüllt hat. Das "Projekt Jugend" widmet sich dort seit 2001 der Altersstruktur innerhalb der Ortsvereine der SPD und regt an, darüber nachzudenken. Das Problembewusstsein ist also vorhanden, nur denen, die wegbleiben, wird hier nicht wirklich eine Brücke gebaut.
Enttäuschend sind aber auch die frischen und frechen Websites, mit denen CDU (leere-versprechen.de) und SPD (die-falsche-wahl.de) im zurückliegenden Wahlkampf ihr "negative campaigning" betrieben haben. Außer der Diskreditierung des politischen Gegners wird dort nichts Neues angeboten. Mit viel Tam-Tam wird das alte rechts-links-Schema zementiert, das zur politischen Verortung neuer Wählergruppen nicht mehr geeignet ist.
Zur allgemeinen Kampagnenausstattung zählen auch die Unterstützerseiten der Parteien und Kandidaten wie prozentfabrik.de (Grüne), rote-wahlmann schaft.de (SPD), team-zukunft.cdu.de (CDU). Sie orientieren sich an den Vorbildern einer US-amerikanischen Unterstützungskultur und verkennen dabei, dass solche Aktionen aufgesetzt wirken, wenn sie von oben initiiert werden.
Ein Hoffnungsschimmer sind die Politikerblogs, die im Bundestagswahlkampf erstmals auftauchten. Zwar besteht auch hier die Gefahr einer Überbewertung, da die Mischung aus Tagebuch und Journalismus entgegen der öffentlichen Wahrnehmung bisher nur eine geringe Verbreitung gefunden hat. Sie hat aber zweifellos das Potenzial, eine personalisierte und authentische Wahlkampfkommunikation für einige internetaffine Bürger zu ermöglichen. Das gelingt aber nur, wenn dort keine plakativen Parolen verbreitet werden, sondern vor allem persönliche Sichtweisen der Politiker. Vor allem muss die Kommentierung weiterhin auf Augenhöhe der Nutzer stattfinden. Das ist zeitaufwendig und gelang schon in der Abgeschiedenheit der ersten Versuche nur sehr wenigen Politikern. Es ist daher gut möglich, dass diese neuen Splitter der politischen Öffentlichkeit in den nächsten Kampagnen mehr und mehr zu Expertenrunden werden wie bei wahl blog05.de (http://neuwahlen.twoday.net) oder dem wahlta gebuch.de der Grünen.
Dabei bietet der Wahlkampf im Internet auch andere Chancen, die umso interaktiver und partizipativer sind, je unabhängiger sie von den Parteien sind. Der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise ist nach 2002 auch 2005 wieder zum Quotenschlager avanciert. Dieser simple und unvoreingenommene Einstellungstest vergleicht die Übereinstimmung der Angaben des Nutzers mit den Aussagen der Parteien. Das Ergebnis ist weniger eine Wahlempfehlung als eine unterhaltsame Form der Selbstvergewisserung, die bei auftretenden Zweifeln vielleicht Lust auf mehr Information macht.
Den Durst nach Mitsprache und Mitmachen ausgerechnet bei denen zu stillen, die bewusst sagen, "ich gehe nicht hin", ist keine Sisyphusarbeit, sondern eine äußerst dankbare Aufgabe. Das zeigt das gleichnamige Projekt von politik-digital.de. Über 100.000 Besuche und mehr als 12.000 Einträge und Kommentare in zwei Monaten sind ein beachtliches Ergebnis. Dafür musste lediglich ein Ort im Netz bereitgestellt werden, der kontroverse Diskussionen über ein Thema ermöglicht, das von den etablierten Partein nicht angenommen wird.
Andere Initiativen versuchen noch stärker die Partizipation zu fördern: Etwa campact.de, das sich als Netzwerk politisch aktiver Menschen versteht, die gemeinsam in aktuelle Debatten eingreifen wollen. Die Einstiegsschwelle ist bewusst niedrig gehalten. Jeder ist willkommen, egal ob eine "einmalige, sporadische Mitarbeit bei bestimmten Kampagnen oder dauerhafte Übernahme regelmäßiger Aufgaben" das Ziel ist, heißt es auf der Website.
Wahlkämpfe sind sicher nicht die Zeit, in denen sich Parteien auf vergleichbare Art und Weise öffnen könnten. Auch funktionieren bestimmte Aktionsformen nur aus der Distanz beziehungsweise im Gegensatz zu etablierten Institutionen. Sollten sich die etablierten Organisationen und Institutionen dennoch stärker im Online-Bereich engagieren wollen, müssen sie sich bewusst machen, dass dies nur belohnt wird, wenn man sich ernsthaft auf das Medium und die Menschen, die sich darin (inter)aktiv bewegen wollen, einlässt.
Dr. Eike Hebecker arbeitet am Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI) der Justus-Liebig-Universität Gießen.