Die Lehrer erfüllen die vielfach erhobene Forderung nach Medienkunde, die Schülern erlangen Lesekompetenz und tun etwas für ihre politische Bildung, und die Verlage machen frühzeitig auch jene auf ihre Publikationen aufmerksam, die daheim keine Zeitung kennen.
Dieser letzte Punkt ist der springende, jedenfalls aus Sicht der Verleger. Viel zu lange haben sie vergleichsweise tatenlos zugesehen, wie ihnen bei den Jugendlichen die Leser verloren gingen. Längst ist der typische Zeitungsleser tendenziell ein älterer Mann. Schuld ist die elektronische Konkurrenz: Erst die Einführung des kommerziellen Fernsehens und dann die massenhafte Verbreitung des Internets führten dazu, dass die Printmedien gerade bei Jüngeren im Verdrängungswettbewerb den Kürzeren zogen. Seit etwa 20 Jahren werden junge Leute, wie die Untersuchungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie (IfD) belegen, immer seltener regelmäßige Leser einer Tageszeitung.
Das hat mehrere Gründe. In gleichem Maß, wie das Fernsehen an Attraktivität gewann, nahm das Interesse junger Menschen an den klassischen Zeitungsressorts Politik und Wirtschaft ab. Kommunikationsforscher vermuten zudem, dass sich das Mediennutzungsverhalten jüngerer Zielgruppen durch die Gewöhnung an das flüchtige Fernsehen verändert hat. 58 Prozent aller 16- bis 29-Jährigen haben heute laut IfD zudem "den Eindruck, ,Alles, was für mich wichtig ist, kann ich auch auf andere Weise erfahren'". Einzelne Ergebnisse der PISA-Studie belegen, dass Schülern das Verständnis komplexer Texte immer schwerer fällt.
Diese Entwicklung war abzusehen, doch die Verlage ignorierten die ersten Warnsignale aus Amerika: Dort wurde schon in den 70er-Jahren bei jungen Leuten ein deutlicher Rückgang der Zeitungslektüre festgestellt. Auch das Vorbild für "ZiSch", das 1979 vom Aachener Institut zur Objektivierung von Lern- und Prüfungsverfahren (IZOP) im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) entwickelt worden ist, stammt ursprünglich aus den USA. Im Blickpunkt standen in den Anfangsjahren die Klassen acht bis zehn. Sie bilden auch heute noch den Kern des Projekts, das im Grunde genommen ganz einfach funktioniert: Jeder Schüler erhält über einen gewissen Zeitraum hinweg kostenlos eine in der Regel regionale Tageszeitung. In welcher Form die Lehrer die Zeitungen in den Unterricht einbeziehen, ist ihre Sache.
Vordergründig haben die Verlage vor allem zwei Ziele: Die Schüler sollen lernen, wie eine Zeitung entsteht und nach Möglichkeit selbst zur Feder greifen. Entscheidender aber ist der potenzielle Erkenntnisgewinn: Die jungen Leser sollen lernen, dass die Zeitungslektüre nicht nur bildet, sondern auch Spaß macht. Der Werbe-Slogan vom "klugen Kopf" wurde einst zwar für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" erfunden, doch auch die Leser einer qualitativ hochwertigen Regionalzeitung dürfen ihn sich zu eigen machen. Gänzlich außer Frage steht der Beitrag des Projekts zur politischen Bildung. Das selektive Lesen, der Einblick in die Produktionsprozesse, die eigene journalistische Arbeit: Das sind nur drei Aspekte, die von den Projektleitern in den Verlagen erwähnt werden.
Konkreten Nutzen im Sinne einer Auflagensteigerung haben die Verlage kaum; sieht man einmal davon ab, dass die verteilten Exemplare, sofern die Kosten von einem Sponsor übernommen werden, die Verkaufszahl erhöhen. Auszahlen sollen sich die Projekte langfristig. Der Gewinn, sagt Rainer Mohrmann, stellvertretender Chefredakteur des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, "tendiert gegen Null"; es gehe darum, "die Printmedien bei den Jugendlichen zu positionieren". Allerdings erwähnt er auch nicht ohne Stolz, dass Schüler ihre Eltern immer wieder zu einem Abonnement überredeten. 250 Klassen und 5.600 Schüler beteiligen sich im Verbreitungsgebiet des Verlags, der unter anderem das "Flensburger Tageblatt" und die Sylter Rundschau herausgibt (Gesamtauflage: 190.000 Exemplare). Die Zeitungen haben einen einheitlichen Mantel, aber unterschiedliche Regionalausgaben. In jeder der 14 Zeitungen ist ein Redakteur zuständig für "ZiSch". Er hält den Kontakt zu den Klassen, ist Ansprechpartner für die Lehrer und "hebt" die Texte ins Blatt. Mohrmann betont, dass alle Beiträge veröffentlicht werden. Aus einigen Schülern sind sogar regelmäßige freie Mitarbeiter geworden; einer hat sogar gute Aussichten auf ein Volontariat.
Beim "Südkurier" funktioniert das Projekt ganz ähnlich, nur heißt es hier anders: Die Zeitung mit Hauptsitz in Konstanz ist irgendwann aus "ZiSch" ausgestiegen, wie Projektleiterin Andrea Maria Tiedtke-Klugow erläutert, um das Projekt zeitlich flexibler gestalten zu können; in der Kooperation mit dem IZOP sei man an feste Termine gebunden gewesen. Statt dessen hat der Verlag 1997 das Konzept "Klasse!" übernommen und verfeinert, das bei der Würzburger "Main-Post" entwickelt worden ist (beide Zeitungen gehören zur Holtzbrinck-Gruppe); Mit "KlasseKids!" ist die Kooperation vor zwei Jahren auch auf dritte und vierte Grundschulklassen ausgedehnt worden. Tiedtke-Klugow reduziert den Mehrwert für die politische Bildung nicht nur auf die Beschäftigung mit der Zeitung; er spiegele sich auch in den Themen wieder, die die Schüler bearbeiteten. 380 beteiligen sich in der Regel an "Klasse!".
Die meisten Zeitungen haben für ihre Projekte Sponsoren gesucht und gefunden. Denen wäre es natürlich am liebsten, wenn die von ihnen repräsentierten Bereiche hin und wieder auch inhaltlich berück-sichtigt würden. Meist handelt es sich um regionale Einrichtungen. Deren Interessen sind oft allerdings gar nicht pekuniärer Art. Beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag arbeitet man zum Beispiel neben örtlichen Sparkassen unter anderem auch mit der Industrie- und Handelskammer zusammen. Tiedtke-Klugow legt Wert darauf, dass die Sponsoren sowohl zum Projekt wie auch zur Zeitung passen; das kann ebenso ein regionaler Energieversorger wie die "Grüne Schule" der bekannten Blumeninsel Mainau sein. Die Sponsoren belohnen die beste Texte mit Preisen, auch der Südkurier verteilt im Rahmen des Wettbewerbs "Meister aller Klassen" (MaKs) ein Preisgeld von insgesamt 3.500 Euro.
Die überregionalen Zeitungen haben sich etwas schwerer getan, die Vorzüge von "ZiSch" zu erkennen. Mittlerweile kooperiert das IZOP mit allen. Vorreiter war die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" mit ihrem Projekt "Jugend schreibt", das bereits 1988 ins Leben gerufen wurde. Betreut wird es von Ursula Kals. Biografisch hat sich für die Redakteurin damit ein Kreis geschlossen, denn sie hat über "Jugend schreibt" promoviert. Kals betont, dass die Seite ausdrücklich kein "Getto-Dasein" friste: Sie müsse sich inhaltlich ins Umfeld einfügen. Entsprechend hoch sind die qualitativen Anforderungen an die Texte, die im Feuilleton-Buch der FAZ erscheinen.
Tatsächlich brauchen sich die zwei bis drei Mal pro Monat erscheinenden Texte nicht zu verstecken. Die Redakteurin ist immer wieder beeindruckt, "wie unverkopft und unbefangen ihre Autoren an Themen wie Missbrauch, Essstörung oder Holocaust herangehen". Bei allen Zeitungen haben die Schüler weitgehend freie Hand, was die Auswahl der Themen angeht. Einzige Einschränkung bei der FAZ: Kals will "keine Ich-Geschichten, keine eitle Pop-Literatur". Seit die Agarwirtschafts-Lobby CMA (Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft) Sponsor von "Jugend schreibt" ist, gibt es auf allerdings jeder zweiten Seite den Schwerpunkt Landwirtschaft, gesunde Ernährung und Lebensmittelproduktion.
Liest man die Beiträge zu "Jugend schreibt", aber auch die "ZiSch"- oder "Klasse!"-Texte in den Regionalzeitungen, kommt einem der PISA-Schock wie Hysterie vor. Die Redaktionen betonen, dass sie die Zulieferungen nicht anders redigierten als die Artikel sonstiger Mitarbeiter; die Artikel seien einfach gut. Eine Anmerkung hat Ursula Kals allerdings doch: Es muss kräftig gekürzt werden. "Wenn sie selbst lesen sollen", sagt die FAZ-Redakteurin, "lieben Schüler kurze Texte; wenn sie schreiben, finden sie kein Ende."
Tilmann P. Gangloff arbeitet als Medienjournalist und Publizist in
Allensbach.