Die Ablehnung der Europäischen Verfassung bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden Mitte dieses Jahres versetzte die europäische Gemeinschaft in einen kollektiven Schockzustand. Fassungslos sah sie sich gezwungen, rasch einen so genannten "Plan B" zu schmieden. Der Buchstabe B stand dabei für die schwierige politische Suche nach einem Ausweg aus der institutionellen Krise und Stagnation der Europäischen Union (EU). "B" könnte - und sollte dies auch - deutlich stärker als bisher geschehen, als der Wille zur Forcierung von "Bürgergesellschaft" und "Beteiligung" innerhalb der Mitgliedsstaaten gelesen werden. Beide Begriffe, Bürgerschaft und Beteiligung, werden zunehmend mit "der Jugend" Europas in Verbindung gebracht. Sie verkörpert das nachwachsende Fundament des alten Kontinents, das, um eine europäische Zukunft überhaupt zu ermöglichen, nicht nur stabil und tragfähig sein muss, sondern vor allem auch willens, mit unterschiedlichen Völkern Europas einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Die Ablehnung des europäischen Verfassungswerks ging hauptsächlich von jüngeren Wählern aus, in den Niederlanden stärker noch als in Frankreich. Auch wenn diese Altersgruppe sicherlich nicht allein für das Scheitern der Verfassung verantwortlich gemacht werden kann: "Neuer Schwung für die Jugend Europas", wie er 2001 vom Weißbuch der EU angestoßen werden sollte, sieht sicher anders aus.
Wie nun, fragte sich die Europäische Kommission, ist es bestellt um die politische Partizipation junger Menschen in Europa? Sie gab diese Frage an ein Konsortium von Forschern aus acht europäischen Ländern weiter. In dem auf zwei Jahre angelegten Projekt "Political Participation of Young People in Europe", kurz EUYOUPART, erarbeiteten sie den Grundstein für ein gemeinsames Messinstrument. Am Ende qualitativer und quantitativer Forschungen in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Großbritannien, Finnland, der Slowakei und Estland wurde ein neu entwickelter Fragebogen vorgestellt.
Das neue Instrument ist darauf ausgelegt, vergleichende Forschung zum Partizipationsverhalten junger Menschen zwischen 15 und 25 Jahren in Europa - mit seinen unterschiedlichen politischen Kulturen, Partizipationsoptionen, aber auch unterschiedlichen Forschungstraditionen - zu ermöglichen. In den landesweit durchgeführten Erhebungen wurden 2004 insgesamt über 8.000 Jugendliche unter anderem zu ihrem Interesse an Politik und ihrer Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Prozessen befragt.
Die Gesamtdaten zeichnen zunächst das ernüchternde Bild, dass der Großteil der befragten europäischen Jugendlichen nicht an Politik interessiert ist. In der Abfrage zum generellen Interesse an Politik, geben 63 Prozent ihrem Desinteresse Ausdruck. Entsprechend steht ihnen lediglich etwas mehr als ein Drittel (37 Prozent) gegenüber, das sich ziemlich oder sehr für politische Belange interessiert. Dieses Verhältnis ist in den untersuchten Ländern allerdings höchst unterschiedlich: Mit 51 Prozent politikinteressierten Jugendlichen nimmt Deutschland mit deutlichem Vorsprung einen Spitzenplatz ein, während Großbritannien (30 Prozent), Estland (29 Prozent) und die Slowakei (28 Prozent) sich auf den hinteren Rängen wieder finden. Durchgehend erweist sich das Alter der Befragten als ein das Interesse positiv beeinflussender Faktor: So steigt das generelle Politikinteresse in Deutschland unter den 24- und 25-Jährigen noch einmal auf 62 Prozent an.
Auch das höhere Interesse an Politik bei Männern, das bereits hinlänglich aus anderen Studien bekannt ist, wird beinahe überall bestätigt. Darüber hinaus lässt sich der enge Zusammenhang zwischen der Fähigkeit beziehungsweise dem eigenen Zutrauen, Politik zu verstehen und dem politischen Interesse zeigen. Je weniger verständlich Politik für Jugendliche ist, desto weniger Heranwachsende interessieren sich für sie - das gilt natürlich auch umgekehrt: Je geringer das Interesse an politischen Ereignissen ist, desto weniger wird man in die Materie eintauchen. Etwa jeder zweite befragte Jugendliche gibt an, dass das politische Geschehen so kompliziert ist, dass er es nicht verstehe. Weiteren 36 Prozent geht es "gelegentlich" so. Italienische und britische Jugendliche geben am häufigsten an, Politik sei zu kompliziert, zu wenig verständlich, während sich deutsche und österreichische Jugendliche weitaus eher zutrauen, politische Belange erfassen zu können.
Differenziert man das Interesse weiter nach nationaler und europäischer Politik, sind immerhin 46 Prozent der jungen Europäer an der Politik ihres jeweiligen Heimatlandes sehr oder ziemlich interessiert. Das Interesse an Europa-Politik fällt auf 35 Prozent bei den 15 bis 25-Jährigen ab. Es liegt mit einem Anteil von 48 Prozent bei den deutschen Jugendlichen am höchsten, während lediglich 23 Prozent der jungen Briten und 26 Prozent der befragten Slowaken sehr großes oder ziemliches Interesse am politischen Leben Europas haben. Auch dieses Interesse wird begünstigt durch zunehmendes Alter, eigene Bildung sowie der Bildung der Eltern, ist im urbanen Lebensumfeld höher als auf dem Land und korreliert stark mit dem allgemeinen Interesse an politischen Belangen.
Gefragt nach der eigenen Identität fühlen sich 79 Prozent der Jugendlichen sehr stark ihrer "Heimatnation" verbunden. Immerhin fühlen sich aber auch 47 Prozent als Europäer. Am deutlichsten ist dieses Gefühl unter den finnischen Jugendlichen und erneut auch unter den Deutschen ausgebildet. Britische Jugendliche in der EUYOUPART-Stichprobe zeigen sich am distanziertesten. Einflussfaktoren, die sich positiv auf die Ausbildung einer europäischen Identität auswirken, sind zum einen die individuelle Bildung und das Bildungsniveau des Elternhauses, das generelle Interesse an Politik, und mehr noch: das Interesse an europäischer Politik.
Durchaus überraschend ist, dass dem Europarat und der Europäischen Kommission mehr Vertrauen entgegengebracht wird als den nationalen Institutionen. Am wenigsten vertrauenswürdig erscheinen den Jugendlichen Parteien und Politiker auf der nationalen Ebene. Dem steht gegenüber, dass Jugendliche den Gang zur Wahl in allen berücksichtigten Ländern der Studie als das wirkungsvollste Mittel der politischen Einflussnahme sehen - allen voran deutsche Jugendliche. Dies zeigt sich auch an der Wahlbeteiligung, über die die Jugendlichen selbst Auskunft gaben: Mehr als zwei Drittel derer, die bei der letzten nationalen Wahl wahlberechtigt waren, gaben ihre Stimme ab. Am aktivsten zeigen sich hier Italiener, Österreicher und Deutsche, während nicht einmal 50 Prozent der britischen Jugendlichen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten. Auf deutlich niedrigerem Niveau bewegen sich die Zahlen hinsichtlich der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament im Sommer 2004. Gerade die Hälfte der befragten Jugendlichen stimmte ab, und wieder liegen die italienischen Jugendlichen mit 85 Prozent der Wahlberechtigten weit vor allen anderen Ländern, Großbritannien ist mit 25 Prozent abgegebener Voten weit abgeschlagen.
Illegale oder gewalttätige Protestaktivitäten werden von der überwiegenden Zahl der Befragten nicht als probate Mittel und insgesamt am Ende der Möglichkeiten politischer Einflussnahme gesehen. Ehrenamtliche Arbeit wird von den Jugendlichen als effektiver bewertet als Mitarbeit in einer politischen Partei. Dabei lassen sich einige landesspezifische Unterschiede ausmachen: Deutsche und italienische Jugendliche sind von der Wirksamkeit von Demonstrationen und ehrenamtlicher Betätigung im Vergleich überzeugter. Parteiarbeit wird sowohl in Deutschland als auch in Finnland eher als in den anderen Ländern als Option der Einflussnahme favorisiert. Dessen ungeachtet war gerade jeder Fünfte bereits einmal auf einer Demons-tration, sind lediglich 17 Prozent Mitglied einer Ju-gendorganisation beziehungsweise haben an Veranstaltungen teilgenommen oder ehrenamtliche Arbeit für eine Organisation geleistet.
Mit Blick auf die wahrgenommenen Probleme in der jeweiligen Heimatgesellschaft mag dieses eher geringe Engagement erstaunen. 92 Prozent der Jugendlichen geben beispielsweise an, dass die Umweltverschmutzung ein wichtiges Problem ist. Vor allen anderen Problemen steht jedoch Länder übergreifend die Arbeitslosigkeit. Zwei Drittel der Jugendlichen sehen hierin ein sehr wichtiges Thema. Zählt man diejenigen hinzu, die das Problem noch "ziemlich wichtig" finden, sorgen sich 96 Prozent der befragten jungen Europäer um die Lage auf dem Arbeitsmarkt.
Insgesamt fällt auf, dass die 15- bis 25-Jährigen überwiegend pessimistisch auf aktuelle Problemlagen in ihrer Heimat schauen: Für 61 Prozent von ihnen sind Verbrechen und Gewalt ein sehr wichtiges Thema, mit 56 Prozent folgen Drogen, Armut (52 Prozent), und Terrorismus (48 Prozent). Der Blick in die Zukunft fällt unterschiedlich aus. Am optimistischsten sehen die jungen Esten auf ihr weiteres Leben: Über 80 Prozent erwarten viel bessere und bessere Bedingungen als ihre Elterngeneration. Auch in Finnland, Großbritannien und der Slowakei sind die Jugendlichen generell optimistisch eingestellt. Schlusslichter sind die deutschen und österreichischen Jugendlichen. Sie erwarten überwiegend eine schlechtere Situation als ihre Eltern sie jetzt vorfinden.
All dies zeichnet das Bild einer (überwiegend) bedrückten Jugend ohne viel "Schwung", die zudem in einem Dilemma steckt: Sie schätzt die aktuelle gesellschaftliche Lage mit ihren vielfältigen Problemen pessimistisch ein, gleichzeitig ist das Vertrauen in die nationalen Institutionen geschwächt. Dennoch sehen Jugendliche wenig andere Möglichkeiten als die der Wahl, um Einfluss auf die Politik zu nehmen. Damit geben sie Politikern ihre Stimme, denen sie nur wenig Vertrauen entgegenbringen.
Europäische Institutionen werden indes eher geachtet - allerdings ohne, dass sich dies in der Wahlbeteiligung niederschlagen würde. Die Analysen der Interviews mit etwa 250 Jugendlichen zeigen unter anderem, dass der EU vorrangig ökonomische und weit weniger soziale und politische Kompetenz zugeschrieben wird. Und: Viele Jugendliche haben Bedenken, dass die eigene Stimme in der EU noch weniger zählt als auf nationaler Ebene. Europäische Identität, das Gefühl, Europäerin oder Europäer zu sein, setzt sich nur langsam durch. Einen guten Nährboden dafür bieten Bildung und politisches Interesse. Wenn die Jugend "Schwung in Richtung Europa aufnehmen" soll, braucht sie Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, in Politik und Gesellschaft etwas mitgestalten zu können. Politische Bildung ist dafür unabdingbar.
Dr. Franziska Wächter forscht beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) München in der Abteilung Jugend und Jugendhilfe.