Das Parlament: Europäisches Jugendparlament, das klingt ein bisschen nach einer Kopie des Europäischen Parlaments.
Catherine Zanev: Eine Kopie ist es nicht. Wir orientieren uns in unserer Arbeitsweise zwar am Europäischen Parlament: Die Jugendlichen arbeiten in Ausschüssen und verfassen Resolutionen, die dann in einer Debatte nach den Regeln des Europäischen Parlaments diskutiert werden. Aber bei uns geht es nicht darum, Länder oder Parteien zu vertreten, sondern die eigene Meinung.
Das Parlament: Und was ist das Jugendspezifische daran?
Catherine Zanev: Unsere Teilnehmer. Die Themen selbst sind nicht jugendspezifisch. Es geht darum, von der Agrarpolitik bis zur Erweiterung alle aktuellen Themen zu diskutieren. Aber die Perspektive darauf ist eben die von Jugendlichen.
Das Parlament: Was unterscheidet diese Perspektive von jener erwachsener Politiker?
Catherine Zanev: Der wesentliche Un-terschied ist, dass es bei uns meist visionärer zugeht. Ideen werden nicht so sehr durch feste Budgets und nationale Interessen eingegrenzt. Das gelingt nicht immer, denn die Jugendlichen sind zum Teil erstaunlich gut in der Materie, und das verleitet sie manchmal dazu, in den Grenzen der realen Politik zu denken. Aber die Idee ist, Visionen zu entwickeln.
Das Parlament: Und welche Visionen haben die Jugendlichen von Europa?
Catherine Zanev: Die sind recht unterschiedlich, je nach Zusammensetzung der Teilnehmer. Manchmal überzeugen die, die gegen mehr Integration oder eine Erweiterung der EU sind, manchmal die Fürsprecher. Aber tendenziell wünscht man sich ein großes und offenes Europa, das in Frieden und Freundschaft zusammen arbeitet.
Das Parlament: Die Türkei inklusive?
Catherine Zanev: Ein Beitritt der Türkei wird von vielen weniger skeptisch gesehen als von den Politikern. Da ist mehr Toleranz und Bereitschaft, etwas Neues zu wagen. Europa wird kulturell nicht so eng definiert, sondern eher über gemeinsame Werte wie ein gemeinsames Eintreten für Frieden und Freiheit, was die Türkei nicht zwangsläufig ausschließt.
Das Parlament: Eine europäische Jugendpolitik gibt es im Grunde nicht. Wie wird das vom EJP gesehen?
Catherine Zanev: Dass es keine umfassende europäische Jugendpolitik gibt, ist schade. Viele Jugendliche sind in dieser Zeit des Umbruchs verunsichert, und da wäre es gerade wichtig, dass die EU signalisiert: Wir wollen, dass ihr mit diesem Europa, das wir für euch entwickeln, zufrieden seid. Über das JUGEND-Programm sucht die Kommission zum Beispiel jetzt verstärkt den Dialog mit den Jugendlichen. Das ist eine positive Entwicklung.
Das Parlament: Wäre ein Ministerium für Jugend und Familie eine Lösung?
Catherine Zanev: Nein. Es geht vielmehr darum, in allen Bereichen mehr eine Politik für morgen zu betreiben. Das langfristige visionäre Denken von Jugendlichen findet sich zu wenig in der Politik. Es gibt viele Möglichkeiten, eine jugendliche Perspektive in die EU zu bringen. Zum Beispiel gibt es bei uns eine Idee, die sich an ein Projekt bei der UN anlehnt. Dabei nimmt die deutsche Delegation Jugendliche nach New York mit, die dann gemeinsam mit den Diplomaten die deutsche Position entwickeln. Dieses Modell könnte man auch auf die EU übertragen.
Das Parlament: Jugendliche denken visionärer - was heißt das konkret?
Catherine Zanev: Wir hatten einmal eine Debatte, in der eine noch weiter gehende Erweiterung besprochen und durchaus für möglich gehalten wurde. Bei unseren internationalen Begegnungen wird schnell deutlich, dass keine unüberwindbaren kulturellen Grenzen bestehen. Die Bereitschaft, Europa als etwas ganz Neues zu definieren, als etwas, das auch umgestaltet werden kann und nicht in festen Bahnen verläuft, ist bei Jugendlichen größer.
Das Parlament: Ist das gemeinsame Europa in den Köpfen von Jugendlichen besser verankert?
Catherine Zanev: Ja, die Jugendlichen von heute sind in dem Prozess des immer enger zusammenwachsenden Europas aufgewachsen. Ein gemeinsames Europa ist daher selbstverständlicher für sie, als für ältere Menschen, die länger in einem Europa der Grenzen gelebt haben. Das bedeutet aber nicht, dass die Begeisterung für Europa bei allen Jugendlichen größer ist.
Das Parlament: Welche Jugendlichen interessieren sich für das EJP?
Catherine Zanev: Unsere Veranstaltungen richten sich bisher an Gymnasiasten, die auch ein gewisses Interesse an Europa mitbringen. Das schließt natürlich viele von der Teilnahme aus. Wir haben uns vorgenommen, verstärkt auch gerade die anzusprechen, bei denen eher Skepsis vorherrscht oder denen nicht bewusst ist, dass sie Europa etwas angeht.
Das Parlament: Was soll die Teilnahme am EJP ihnen bringen?
Catherine Zanev: Ziel ist es, Jugendliche dafür zu sensibilisieren, dass in der EU Entscheidungen getroffen werden, die sie betreffen, und dass es deshalb wichtig ist, dass sie bei der Gestaltung Europas mitmachen oder mitdenken. Und ihnen klar zu machen, dass die EU nicht nur das abstrakte Gebilde ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint, sondern die Teilnahme jedes Einzelnen erfordert.
Das Parlament: Wie erfahren die Jugendlichen denn vom EJP?
Catherine Zanev: In erster Linie geben wir unsere Informationen an Schulen weiter. Wir wollen in Zukunft aber auch mehr in der Öffentlichkeit an Jugendliche herantreten. In diesem Jahr waren wir zum Beispiel auf dem "Festival für junge Politik Berlin 05" vertreten.
Das Parlament: Wie viele Jugendliche machen denn mit?
Catherine Zanev: Mit unserem nationalen Wettbewerb, bei dem wir die Teams für die internationalen Sitzungen auswählen, erreichen wir rund 800 Schüler. Und an unseren "Europäischen Foren" nehmen insgesamt noch einmal rund 500 Jugendliche pro Jahr teil.
Das Parlement: Häufig ist der Vorwurf zu hören, Jugendliche seien unpolitisch. Stimmt das?
Catherine Zanev: Es fällt auch uns schwer, Jugendliche für eine Auseinandersetzung mit Politik zu gewinnen, und wir bemerken eine gewisse Skepsis. Wir merken aber auch, dass das Interesse sehr groß ist, sobald man vermittelt, dass Politik nicht trocken und langweilig sein muss. Ich würde von einem schlummernden Interesse sprechen: Das Interesse ist da, aber den meisten Jugendlichen ist gar nicht klar, dass es möglich und erwünscht ist, dass sie sich mit Politik auseinandersetzen.
Das Parlament: Gelingt das den Parteien nicht? Alle leiden an Nachwuchsmangel und Jugendstudien heben immer wieder hervor, dass die Bereitschaft, sich in Institutionen zu engagieren niedrig ist.
Catherine Zanev: Das liegt sicher auch daran, dass das Denken in den Parteien sehr festgefahren ist. Jugendliche suchen dagegen nach Möglichkeiten, ihre eigenen Ideen einzubringen, neue Konzepte zu entwickeln und zu diskutieren. Insofern liegt das mangelnde Interesse, sich in Institutionen zu engagieren, eher an den unflexiblen Institutionen selbst.
Das Parlament: Geht es dabei nur um festgefahrene Denkmuster oder auch um starre Strukturen?
Catherine Zanev: Bestimmt werden auch starre Strukturen als Hindernis gesehen. Dass man sich in bestehende Hierarchien einordnen und an festgeschriebene Verfahren halten muss, schreckt sicher viele ab.
Das Parlament: Wie ist das im EJP, da gibt es diese Strukturen doch auch?
Catherine Zanev: Ja, natürlich. Jugendliche mit demokratischen Strukturen vertraut zu machen ist uns auch sehr wichtig. Wir wollen zum einen zeigen, dass gewisse Strukturen für die Zusammenarbeit nötig sind. Dabei soll auch ein Verständnis dafür entwickelt werden, dass gerade in der EU Entscheidungen deshalb nicht immer so leicht getroffen werden können. Gleichzeitig zeigen wir aber auch, dass Strukturen genauso wenig wie Denkmuster starr sein müssen: Unsere Teilnehmer müssen sich selbst Strukturen für die Ausschussarbeit geben, und mit unseren Mitgliedern diskutieren wir gerade eine Umstrukturierung unserer Vereinsarbeit.
Das Parlament: Macht so eine EJP Veranstaltung eigentlich Spaß?
Catherine Zanev: Natürlich. Es macht Spaß, andere nach einer heißen Diskussion überzeugt zu haben. Und natürlich geht es neben der Diskussion um inhaltliche Themen bei unseren Veranstaltungen auch um das Kennenlernen, gemeinsames Essen und ausgelassenes Feiern der europäischen Vielfalt.
Das Parlament: Letzteres können Parteien nicht bieten. Wie könnten sie die Jugendliche denn besser einbinden?
Catherine Zanev: Vielleicht, indem sie sich offener zeigen für neue Ideen. Ich denke, eine Möglichkeit die politische Partizipation allgemein zu steigern, wäre, spontane Initiativen noch mehr zu unterstützen.
Das Interview führte Susanne Balthasar