Ein Sprecher einer Jugendorganisation der Parteien beispielsweise erklärte, dass die Kondome seiner Partei sehr viel besser seien als die der anderen und es doch wichtig wäre, bei den Wählerinnen und Wählerin auch bis ins Bett zu kommen - was kein Parteiprogramm oder Flyer schaffen würde. Was ist daran noch politisch? Diese Kampagnen können wir nicht mehr ernst nehmen.
Politik, zumindest die der Parteien, ist dem Konsum verfallen: Die Programme sind voll vom pragmatischen Kleinklein. Ideale, die eine junge Generation eigentlich sucht, findet man darin nicht mehr. Der Pragmatismus der "neuen Mitte" hat die inhaltlichen Differenzen zwischen den Parteien verwischt: Der einzige Unterschied ist, dass die einen etwas rascher und harscher wirtschaftspolitische Reformen umsetzen wollen, und die anderen das "sozial verträglich" versuchen - was auch immer das heißt. Dieser Pragmatismus lässt in jedem Fall keinen Platz für Visionen.
Auch weicht der Inhalt der politischen Auseinandersetzung immer stärker der Form: In diesem Wahlkampf stritt man dann auch lieber über die Frage, ob die beiden Kanzlerkandidaten ein oder zwei Wahlkampfduelle ausfechten sollten oder ob Edmund Stoiber und Oskar Lafontaine sich in Printmedien oder dem TV duellieren. Die einzige wirkliche inhaltliche Debatte, die es bis in die Medien und damit in die Gedanken der Menschen schaffte, war die von der Union geforderte Erhöhung der Mehrwertsteuer: An diesem kleinen Punkt, deren Auswirkungen ich gar nicht leugnen möchte, bissen sich Befürworter und Gegner mehrere Wochen fest. Das wirkt abschreckend, denn auch wir Erstwähler verstehen, dass diese Maßnahme nicht annähernd die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lösen würde.
Das Problem bei den Wahlkampfprogrammen ist, dass sie einem Bankprospekt immer ähnlicher werden: Bei uns bekommen Sie, falls wir regieren werden, 250 Euro mehr! - so ließen sich viele Inhalte zusammenfassen. Sicherlich sind die ökonomischen Probleme eines Landes wichtig. Doch viel entscheidender wäre für mich und viele junge Menschen eine grundlegende Debatte, in welche Richtung dieses Land steuern wird. Und natürlich hat gerade die junge Generation ein großes Interesse an Themen wie der Globalisierung, der Friedenspolitik, Gerechtigkeit und Ökologie. Wirkliche Antworten auf diese Fragen, Visionen und mutige Konzepte - das vermissen sehr viele junge Menschen. Aber vielleicht kann man die auch gar nicht in einem Parteiensystem finden, das unter dem Zwang des Wettstreits um die politische Macht steht.
Ein 23-jähriger Bekannter sagte vor einigen Wochen zu mir, dass er einfach keiner Politikerin und keinem Politiker mehr glauben könne: Zuviel wurde ihm schon versprochen und zu wenig gehalten. Ich glaube, dass er in diesem Punkt Recht hat: Das Gefühl, keiner wolle wirklich Verantwortung für sein Handeln übernehmen, hat sich bei mir gerade in den vergangenen Jahren manifestiert. Und ich kann mich noch an den Wahlkampf von Helmut Kohl im Jahr 1990 erinnern. Damals war ich zwar erst fünf, sechs Jahre alt, aber ich habe immer noch die Bilder dieser großen - mit "Schwarz-Rot-Gold" unterlegten - Plakate mit der Aufschrift "Blühende Landschaften" im Kopf. Ich kann verstehen, dass sehr viele Menschen enttäuscht sind.
Die Frage ist, inwieweit Politik zum Betrieb, zur wahren Deutschland AG geworden ist, in der es immer mehr um Posten, Macht und Egozentrik geht. Politiker schmücken sich bisweilen mit Begriffen aus der Ökonomie. Sie wollen damit wahnsinnig modern und zukunftsgewandt wirken. Im Endeffekt verstecken sie sich einfach nur hinter oberflächlichen Titeln. Gerhard Schröder sprach einmal in einer Regierungserklärung davon, dass er sich als moderner Chancenmanager sehe. Genauso tragisch wird es, wenn Politiker Homestorys und Modefotos mit Zigarre machen lassen. Ich verstehe das nicht.
Die Skepsis über den Berliner "Politikbetrieb" ist bei den jungen Leuten sehr groß: Mehr als zwei Drittel glauben laut vielen Umfragen nicht mehr, dass eine andere Partei "es besser machen würde" - eine ziemliche Bankrotterklärung. Ich bin mit dem selben Gefühl wählen gegangen. Ich war noch von der Nacht verkatert und schleppte mich ins Wahllokal. Wen ich wählen sollte, wusste ich nicht. Mir war nur klar, wen ich nicht wählen wollte. Mit dem, was ich schlussendlich ankreuzte, bin ich dann auch nicht wirklich zufrieden.
Das schreckt vor einem Engagement ab. Ich kenne nur wenige junge Bekannte, die sich in den Jugendorganisationen der Parteien engagieren. Einer ist in der Jungen Union Berlin. Er kam da über die Eltern und sein Umfeld hin: "Für mich ist die Junge Union einfach ein Stück Heimat und die hat mich geprägt", sagte er zu mir, als ich ihn im vergangenen Jahr auf einer Party traf. Die eigene Sozialisation spielt heute mehr denn je eine Rolle für das eigene politische Engagement. Heute existiert eine Gesellschaft, die kaum noch große Konflikte zwischen den Generationen und keine Tabus mehr kennt. Die politische Diskussion zu Hause ist bei vielen, die ich kenne, konfliktärmer geworden. Entweder sind die Eltern radikaler in ihren Forderungen, oder eben so pragmatisch, dass sie auch abweichende Meinungen akzeptieren. Die Debatten dort verlieren an Bedeutung - deshalb ist es für viele schwierig, eigene Positionen aus dem Konflikt mit dem Elternhaus heraus zu finden. Entweder man schließt sich der Meinung der Älteren an oder sucht seine Antworten auf politische Fragen - eher selten - in Gruppen wie den Jugendorganisationen der Parteien oder - häufiger - in der Subkultur.
Das gängige Vorurteil, junge Menschen hätten kein Interesse mehr an Theorie und Programmen, stimmt dort nicht: Wir Jugendlichen wollen Programme entwickeln, Theorien diskutieren, aber sie nicht vorgesetzt bekommen. Auch das schreckt uns an Parteien und ihren Jugendorganisationen ab. Die subkulturelle Szene - ob nun antifaschistische, ökologische, antirassistische oder soziale Gruppen - ist flexibler, offener und sie lässt Raum. Sprich, es wird einem nichts vorgesetzt, kein Programm, dass man unterzeichnen muss. Hier geht es auch weniger um Karrieren in der Politik, um den einfachen persönlichen Gewinn, was die meisten in die Parteien treibt.
Die Skepsis gegenüber Institutionen ist groß: Eine Bekannte, die mich irgendwann diesen Sommer in einem Café um Rat fragte, wo sie etwas politisch machen könne, wollte in keine Partei, nicht zu Greenpeace oder irgendeiner anderen bekannten Organisation. Sie wollte wirklich etwas eigenes entwickeln. Nur wusste sie nicht wo, wie und mit wem. Mir blieb ein Satz von ihr in Erinnerung: "Wenn Politik das Träumen zuließe, wäre ich sofort in irgendeiner Organisation!" Vielleicht ist dieser Satz naiv, aber er beschreibt ganz gut das Grundgefühl, dass viele dazu bringt, sich als "unpolitisch" zu beschreiben.
Der Satz meiner Freundin zeigt genau diese Widersprüchlichkeit: Für viele von uns ist das Politikverständnis emotional. Es geht um Wunsch nach Veränderung - hin zu einer anderen Welt. Viele haben diesen kryptischen Traum von einer besseren Welt, wie auch immer sie dann aussehen mag. Demgegenüber steht der kühle, elitäre Parteienapparat, das große Jobcenter Politik, in dem Machtkämpfe, Druck, Eitelkeiten und eine große Egozentrik im Vordergrund stehen. Da hat die Rationalität obsiegt.
Ich wollte mal in eine Partei und habe diesen Plan sehr schnell aufgeben - aus eben diesen Gründen. Ich suche grundlegendere Debatten - weit ab von den täglichen Diskussionen in den Parteien. Sie erreichen mich nicht mehr. Ich gehe wählen, aber mit ungutem Gefühl. Ich wünsche mir, dass auch meine Generation rebellischer wäre. Es würde unserer Gesellschaft gut tun, wenn wir Antworten und Gedanken entwickeln würden, die wirklich etwas Neues wären. Ob wir sie umsetzen könnten, ist eine andere Frage.
Ich bin in jedem Fall eher pessimistisch, was die Zukunft angeht. Wir werden uns mehr und mehr unsere Nischen suchen und uns vom Politikbetrieb auch weiterhin entfernen. Zu ernüchternd ist das, was wir jeden Abend in den Nachrichten sehen oder morgens in der Zeitung lesen. Viele, denen es nicht um die politische Karriere geht, verabschieden sich irgendwann auch aus den sozialpolitischen, außerparteilichen Gruppen. Etwa nach dem Studium, wenn sie anfangen zu arbeiten. Dann lachen sie über die eigenen Ideen und Visionen, die sie einmal vehement vertreten haben und man ertappt sich wohl, dass man doch angekommen ist oder einfach keine Energien mehr für die großen "Pläne" hat. Das Schlimme ist nur, dass wir eigentlich anfangen müssten, etwas zu verändern und zu begreifen, dass wir eigentlich alle verantwortlich sind. Hoffentlich werden wir ein schlechtes Gewissen haben.
Ric Graf, 20 Jahre jung, lebt in Berlin und arbeitet als freier Autor.