Er solle sich erst mal waschen und rasieren, gab der SPD-Vorsitzende Kurt Beck einem Arbeitslosen in Wiesbaden mit auf den Weg, als dieser ihm seine erfolgslose Jobsuche vorwarf. War dieser Ratschlag Becks politisch korrekt? Nach Ansicht von Grünen und der Linken - traditionell der Political Correctness verdächtig - war es das nicht. Arbeitslose bedürften derartige verbaler Tritte nicht, sondern konkreter Hilfe, hieß es von der Linken. Die Grünen nannten Becks Äußerung "obernaiv und elitär".
Aus Großbritannien wird berichtet, drei von vier Unternehmern wollten keinen Weihnachtsschmuck in Büros. In Wokingham verbat die Gemeinde einem Millionär, sein Haus mit Weihnachtslichterketten zu schmücken, und prompt geht ein Geheul los, "weiße, bürgerliche, liberale Weltverbesserer mit irgendeiner Art von Schuldkomplex" wollten Weihnachten den Garaus machen, so der Tory-Abgeordnete Philip Davies, ein Sprecher der britischen "Kampagne gegen politische Korrektheit". Drei Beispiele für Political Correctness, jene Sprach- und Verhaltensregeln, die - je nach Weltanschauung - die Diskriminierung von Minderheiten vermeiden sollen oder für Denkverbote und eine windelweiche liberale Haltung stehen.
Die Debatte um die Political Correctness, kurz PC, hatte in der Bundesrepublik in den 90er-Jahren Hochkonjunktur. Angestoßen wurde sie von konservativen und rechten Kreisen. Demnach ist PC dafür verantwortlich, dass wir Deutschen immer noch kein "normales" Verhältnis zu unserer Vergangenheit hätten. PC verhindere Meinungsfreiheit und sorge für Denk- und Handlungsverbote. Böse PC.
Doch wer steht eigentlich hinter dieser allmächtigen PC? Glaubt man den schärfsten Gegnern, muss es irgendwo eine verschworene Gemeinschaft von - wie eben jene Kritiker es ausdrücken würden - Gutmenschen geben, die mittels eines gnadenlosen Machtapparates über die Einhaltung des politisch Korrekten wachen. Leider hat sich bis heute kein Mitglied dieser Gemeinschaft gemeldet. Aber das ist auch nicht notwendig. Denn in ihren Veröffentlichungen über PC geht es Kritikern meist nicht um eine Auseinandersetzung mit der Gegenseite. Es geht darum, die eigene Weltsicht zu etablieren, indem vermeintliche Tabus gebrochen werden, damit man endlich "die Dinge wieder beim Namen nennen" könne, wie es der Publizist Klaus J. Groth 1996 in "Die Diktatur des Guten" ausdrückte.
Die Kritik an angeblich herrschender politischer Korrektheit war (und ist) Teil einer neokonservativen Strategie gegen die ihrerseits als falsch deklarierte liberale Multikulti-Gesellschaft. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt es in der Tat seit den 70er-Jahren einen politisch motivierten veränderten Sprachgebrauch, der sich durchgesetzt hat. Neger ist tabu, statt dessen heißt es Schwarzer oder Farbiger. Auf einer Website für Übersetzer wird empfohlen, statt Eskimo Inuit zu benutzen; zu kleine Menschen dürften nicht mehr Liliputaner, sondern sollten Kleinwüchsige genannt werden.
Ob an Stelle von Zigeuner nun Sinti oder Roma gesagt werden muss, bleibt allerdings unklar. Die Mehrheit dieser Minderheit lehnt "Zigeuner" als diskriminierend ab, einige allerdings kritisieren an "Sinti und Roma", dass damit Gruppen wie Kale, Manusch und Lowara ausgeschlossen werden. Womit der Ursprung der PC erreicht ist - das Bemühen um Anti-Diskriminierung.
Im Zuge von Bürgerrechts-, Anti-Vietnamkriegs- und Feminismusbewegung wurde der Begriff ausgehend von nordamerikanischen Universitäten in den 60er-Jahren zur moralpolitischen Beurteilung von Sprache und Verhalten geprägt. Dahinter stand die Einschätzung (und Hoffnung), dass eine veränderte Sprache Diskriminierung von Minderheiten und Frauen abschaffen kann. Mitte der 80er-Jahre begannen Studenten die Ausweitung des Lehrstoffes zu fordern. Statt ausschließlich Pflichtkurse zur "Western Civilization" verlangten sie unter anderem Kurse über außereuropäische Kulturen und weibliche Autoren. Es entstand ein Sprachkodex, der Minderheiten gerecht einbeziehen sollte. Als dieser Kodex immer rigider wurde, entstand der Begriff "politically correct" zunächst als ironisch verwendeter Begriff innerhalb der Linken.
In den 90er-Jahren begannen US-Konservative an Hochschulen und in Medien in Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner PC als Kampfbegriff zu prägen. Diese Bewegung schwappte ebenso wie zuvor PC nach Deutschland über. Munition fanden konservative Kreise reichlich: Die Umbenennung vom Negerkuss in Schokokuss; Theater ließen den Agatha-Christie-Klassiker "Zehn kleine Negerlein" unter dem Titel "Da waren's nur noch Neun" laufen; in kirchlichen Lebensschützerkreisen gibt es keine "gesunden", sondern "nichtbehinderte" Kinder. Dass allerdings der türkische Kollege kein Türke, sondern ein "Mitbürger mit Migrationshintergrund" ist, dürfte nur schwer in den alltäglichen Sprachgebrauch des deutschen Kollegen zu integrieren sein.
In der kontrovers geführten Debatte wurde von den Gegnern der Politischen Korrektheit gerne behauptet, man könne sich gegen das PC-Meinungsdiktat kaum wehren. Alleine ihre vielfachen Veröffentlichungen gegen PC belegen bereits das Gegenteil. Dieter E. Zimmer schrieb 1993 als Beleg für die unheimliche Macht des PC, die Autoren Martin Walser, Wolf Biermann, Botho Strauß und Hans Magnus Enzensberger seien nach nicht pc-gemäßen Reden beziehungsweise Aufsätzen durch PC "erledigt" worden. Heute wissen wir, dass alle vier weiterhin veröffentlichen und ihre neuen Werke in den Feuilletons besprochen werden.
Sicherlich gibt es - auch heute - Kreise, in denen PC sehr ernst genommen wird. Verdächtig sind waldorfschulgeprägte SozialpädagogInnen, allerdings selten diejenigen, die in der Praxis arbeiten. Auch so manche Mitglieder linker Splittergruppen mögen auf korrekte antimperialistische und antidiskriminierende Sprache achten - das sind kaum die Meinungsmacher in unserer Gesellschaft. Womit der Einfluss von PC nicht herabgewürdigt werden soll. Ein Bürgermeister wagt es kaum noch, in seiner Rede auf die "Bürgerinnen" zu verzichten. Mag sein, dass er trotzdem ein Macho ist. Einer gewissen Sensibilisierung für die Tatsache, dass die Bevölkerung nicht nur aus Männern besteht, konnte er sich kaum entziehen. Und wenn der Ausdruck "Multikultischwuchteln" des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche (ehemals CDU, jetzt fraktionslos) öffentlich kritisiert und nicht als lustig-kerniger Spruch abgetan wird, ist das ein Erfolg von PC.
Ob PC allerdings jemals jene Macht errungen hatte, die Konservative ihr nachsagten, darf bezweifelt werden. Denkverbote, die sich über Sprache ausdrücken, existieren in jeder festen Weltsicht. Die einen "wissen", dass die USA der Ursprung allen weltpolitischen Übels sind, in bestimmten Kreisen ist man überzeugt davon, dass Gott die Welt in sieben oder sechs Tagen so geschaffen hat wie sie heute ist, mancher hegt keinerlei Zweifel daran, dass die Rente mit 67 "alternativlos" ist. Die Weigerung, Kant zu folgen, führt zu Denkverboten. Political Correctness kann dafür eine Spielart sein. Mit Ethik hat politische Korrektheit allerdings nichts zu tun, allenfalls mit Moralvorstellungen, und die unterliegen bekannterweise ständiger Veränderung. Der Arbeitslose aus Wiesbaden fühlte sich übrigens nicht beleidigt von Beck und hat dessen Anregung umgesetzt. Die Ablehnung von Weihnachtsschmuck in britischen Büros hat nichts mit Rücksicht auf andere Religionen zu tun, sondern mit der Einschätzung der Unternehmer, zuviel Schnickschnack am Arbeitsplatz wirke unprofessionell. Und der Millionär in Wokingham dufte sein Haus nicht illuminieren, weil seine Nachbarn sich von der ständigen Beleuchtung belästigt fühlten.
Die Autorin ist Journalistin in Esslingen.