Für den Gründer Roms war die Sache klar. Sein Bruder
hatte mit dem Übersteigen der von ihm errichteten Stadtmauer
das Gesetz gebrochen und deswegen den Tod verdient. Kurz
entschlossen griff Romulus den Spaten und erschlug seinen Bruder
Remus. Brudermord im Zeichen des Rechts. "So wird es jedem ergehen,
der meine Mauer übersteigt", soll er noch mahnend hinzu
gefügt haben. Soweit die Mythologie.
Die Menschheit war seit jeher recht erfinderisch, wenn es
darum ging, die eigene Gewalttätigkeit zu legitimieren. Wo
immer ein Krieg ausgefochten wurde, fand sich zugleich auch eine
Rechtfertigung. Dass diese nicht zwangsläufig mit den wahren
Kriegsgründen übereinstimmte, steht auf einem anderen
Blatt. Im Kanon dieser Rechtfertigungen kursiert seit den Tagen der
alten Römer immer wieder ein Begriff, der aktuell wieder
verstärkt die Gemüter erhitzt: der "gerechte
Krieg".
Unterschiedliche Perspektiven Der von Georg Kreis, Professor
für Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Basel
und Leiter des Europainstitutes, herausgegebene gleichnamige
Sammelband klopft den arg strapazierten Begriff aus der Perspektive
verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen und Denkrichtungen
auf seine Tragfähigkeit ab. So stehen historische
Betrachtungen zum Thema neben politikwissenschaftlichen,
völkerrechtlichen und theologischen. Ein Beitrag über die
Diskussion um Terrorismus und Defensivkrieg nach dem 11. September
sowie über die Rhetorik des "gerechten Krieges" zur
Legitimierung von Politik runden den gelungenen Sammelband ab. Die
sieben wissenschaftlich fundierten Beiträge verdeutlichen das
ganze Spannungsfeld zwischen den Prinzipien von Völkerrecht,
Gerechtigkeit und Moral sowie dem politischen Kalkül von
Staaten.
Eine Variante des "gerechten Kriegs" ist die der so genannten
"humanitären Intervention". Gemeint ist damit ein
militärisches Vorgehen zum Schutz der Menschenrechte, das von
der Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen bis hin zum
Kriegseinsatz reichen kann. Diesen Themenkomplex haben Wilfried
Hinsch, Professor für Praktische Philosophie an der RWTH
Aachen, und Dieter Janssen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Philosophischen Institut der Univerität des Saarlandes, in
ihrem Buch "Menschenrechte militärisch schützen" unter
die Lupe genommen.
Bereits der Untertitel der Publikation "Ein Plädoyer
für humanitäre Interventionen" verrät, dass sich die
Autoren in dieser Frage klar positioniert haben. Für sie steht
nicht die Frage, ob ein militärisches Eingreifen zur
Verhinderung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen legitim
oder legal ist, im Vordergrund, sondern entwickeln Vorschläge,
wie solche Interventionen erfolgreich und im Einklang mit dem
geltenden Völkerrecht zu bewerkstelligen sind. Sie laufen auf
nicht weniger hinaus als auf eine grundlegende Reform des Systems
der Vereinten Nationen, vor allem des UN-Sicherheitsrates. Hinsch
und Janssen haben hierbei vor allem das Vetorecht der fünf
ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, das immer wieder zu
Blockaden der Vereinten Nationen führt, im Blick.
Die Autoren liefern mit ihrem Buch einen umfassenden Einblick
in die schwierige Thematik. Trotz des hohen Niveaus bleibt die
Darstellung auch für Laien weitestgehend verständlich.
Für Fachleute sind vor allem die kommentierten Bibliografien
am Ende der jeweiligen Kapitel hilfreich.
Die Debatte über humanitäre Interventionen hat seit
Beginn der 90er-Jahre an Intensität deutlich gewonnen. Im
Zentrum stehen dabei zwei Ereignisse, an denen sich das Dilemma des
Völkerrechts manifestiert: der Kosovo-Krieg 1999 und der
Völkermord in Ruanda fünf Jahre zuvor.
Fehlendes UN-Mandat "Nie wieder Krieg oder nie wieder
Auschwitz?" Mit dieser Frage spitze Bundesaußenminister
Joschka Fischer die Diskussion um den ersten Kriegseinsatz
Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, die quer durch die
Gesellschaft verlief, zu. Auf der einen Seite stand eine empfundene
moralische Verpflichtung, der massenhaften Vertreibung von
Kosovo-Albanern durch das Belgrader Regime Slobodan Milosevic in
Belgrad Einhalt gebieten zu wollen. Auf der anderen der Seite
verspürte man das tiefe Unbehagen darüber, dass für
den NATO-Kampfeinsatz kein Mandat durch den UN-Sicherheitsrat
vorlag. Die NATO handelte schließlich im Alleingang.
Auch im Falle Ruandas versagte die UNO. Obwohl die bereits im
Land stationierten Blauhelme bereits vor einer Eskalation gewarnt
hatten, blieb die Völkergemeinschaft untätig.
UN-Generalsekretär Kofi Annan stellte später die
provokative Frage, ob es denn ungerechtfertigt gewesen wäre,
wenn im April 1994 Staat unilateral eingegriffen hätte, um den
Völkermord an den Tutsis in Ruanda zu verhindern.
Hinsch und Jannssen argumentieren vor dem Hintergrund dieser
und anderer Beispiele überzeugend , wie wichtig es ist,
völkerrechtlichen Grundlagen für humanitäre
Interventionen in der UN-Charta zu verankern.
Wilfried Hinsch,
Dieter Janssen:
Menschrechte militärisch
schützen.
Verlag C.H. Beck,
München 2006;
304 S., 14,90 €
Georg Kreis (Hg.):
Der "gerechte Krieg".
Zur Geschichte einer aktuellen
Denkfigur.
Schwabe Verlag, Basel 2006;
173 S., 17 €