Die Frage ist sie gewohnt. Trotzdem wird Ekin Deligöz ernster, als sie nach ihrem Polizeischutz gefragt wird: "Nein, immer ist er nicht mehr nötig", sagt sie dann, "die Lage hat sich etwas beruhigt." Inzwischen wird die familienpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen auch wieder auf politische Themen angesprochen. Doch unfreundliche E-Mails erhält sie weiterhin. "Die waren vorher da und das wird im Grunde wohl auch so bleiben", sagt die 36-Jährige gelassen.
Im vergangenen Oktober sah die Situation anders aus: Eine Woge der Empörung war über Deligöz zusammengeschlagen, als sie in einer großen Boulevard-Zeitung an die muslimischen Frauen in Deutschland appellierte, ihr Kopftuch abzulegen. "Quasi über Nacht" erhielt die Politikerin, die selbst in der Türkei geboren wurde und im Alter von acht Jahren nach Deutschland kam, "einige hundert Schmierbriefe" und Hass-Mails. Darin: Beschwerden, Schmähungen, sogar eine Morddrohung. Deligöz sah sich plötzlich mit einer öffentlichen Hetzkampagne konfrontiert. Sie sei eine Rassistin, habe ihre Kompetenzen weit überschritten, schleime sich bei den Deutschen ein, so lauteten einige der heftigen Vorwürfe, die in türkischsprachigen Medien verbreitet wurden. "Keine angenehme Zeit", erinnert sich die Politikerin. Doch von ihrem Standpunkt ist sie trotzdem nicht abgewichen. "Ich habe mir sehr, sehr viele Gedanken darüber gemacht", sagt Ekin Deligöz, "und deshalb ist es ein Leichtes, dahinter zu stehen."
Anders als die Migrantinnen, die sie mit ihrem Kopftuch-Aufruf erreichen wollte, ist die Grünen-Politikerin in Deutschland angekommen. Beruflich wie privat. Augenzwinkernd bezeichnete sie sich einmal in einem Aufsatz zur Leitkulturdebatte als zugehörig zu den zwei größten Minderheiten Berlins: den Türken und den Schwaben. Seit zehn Jahren ist Deligöz deutsche Staatsbürgerin, seit neun Jahren Abgeordnete im Deutschen Bundestag und verheiratet ist sie - mit einem Deutschen. Ihre türkischen Wurzeln hat Deligöz dennoch nicht vergessen. Als einzige Migrantin ihres Gymnasiums im schwäbischen Weißenhorn bei Neu-Ulm hat sie Vorurteile zu spüren bekommen.
Dagegen musste die junge Deutsch-Türkin etwas tun: "Ich wollte diese Gesellschaft mitgestalten und die Freiheit, die ich in diesem Land habe, verteidigen". Als Jugendliche begann sie sich deshalb 1988 bei den Grünen zu engagieren, wurde schnell Sprecherin der "Grün Bunt Alternativen Jugend Bayern" und half während ihres Studiums der Verwaltungswissenschaften die Grüne Hochschulgruppe an der Universität Konstanz auf- zubauen.
Politisch prägte sie die Friedensbewegung, vor allem die Demonstrationen gegen die von den USA Anfang der 80er-Jahre nahe ihrer Heimatstadt stationierten Pershing-II-Raketen. Aber die Familie hat sie beeinflusst: "Politik gehörte bei uns im Alltag dazu, zum Beispiel dass die Familie sich gemeinsam Nachrichten angeschaut und sich drüber unterhalten hat", erzählt sie.
Heute engagiert sich Deligöz besonders für Familienpolitik. Hier glaubt sie viel bewegen zu können - gerade auch für Migranten. "Integration funktioniert erst, wenn Menschen Chancen bekommen", davon ist Deligöz überzeugt. "Wenn wir es verpassen, in Kinder und Jugendlichen zu investieren, dann werden wir das später nicht mehr wettmachen können." Deligöz weiß, wovon sie spricht. Dass ihr Deutsch heute so gut ist, verdankt sie auch dem Umstand, dass ihre Mutter auf Bildung Wert legte und sie in eine deutsche Klasse schickte. Damals eine Ausnahme. Ekin Deligöz' Mutter unterrichtete zu dieser Zeit selbst als Lehrerin türkische Gastarbeiterkinder. Auch für mehr Kindergartenplätze und ein modernes Frauenbild kämpft die Grünen-Politikerin beharrlich. Denn wie notwendig es ist, berufstätigen Frauen zu helfen, weiß sie aus eigener Erfahrung. Den Spagat zwischen Kind und Karriere schafft auch sie nur mit Hilfe: Ihr Sohn geht in einen Ganztagskindergarten. Und für das zweite Kind, das sie in wenigen Monaten erwartet, wird ihr Mann ein Jahr zu Hause bleiben - so wie beim ersten Mal auch. Sandra Ketterer
Die Autorin ist Volontärin bei "Das Parlament"