AUSCHWITZ
John Boynes Kinderroman, der keiner ist
Bruno will einfach nur wegziehen. Er versteht nicht, warum er mit seiner Mutter und Schwester Gretel, diesem "hoffnungslosen Fall", dem Vater in die Einöde namens "Aus-Wisch" folgen muss. Er versteht erst recht nicht, warum hinter dem Zaun vor seinem neuen Haus so viele Menschen in "gestreiften Pyjamas" leben, die - so sagt sein Vater - keine vollwertigen Menschen sind.
Der Roman "Der Junge im gestreiften Pyjama" von John Boyne verlässt nur in wenigen Ausnahmen die Perspektive der Hauptfigur, des neunjährigen Bruno, der bis zum Schluss nicht versteht, was um ihn herum vorgeht. Der Junge ist einsam und findet einen Freund ausgerechnet auf der anderen Seite des Zaunes. Schmuel heißt der, trägt einen dieser "gestreiften Pyjamas" und hat immer Hunger. Die zwei treffen sich ein Jahr lang und unterhalten sich durch den Zaun. Der Leser, wenn er denn keine Vorbildung hat, bleibt ähnlich naiv wie Bruno, da er alles aus der Sicht des Neunjährigen erlebt.
Boyne erhielt für seinen vierten Roman viele Preise, unter anderem den "Irish Book Award" für das beste Kinderbuch des Jahres. Solche Werbung schürt hohe Erwartungen. Boyne wird diesen nicht durchgängig gerecht. Fest steht, dass es dem Autor nicht auf historische Fakten ankam. Die regelmäßigen, ungestörten Gespräche zwischen Bruno und Schmuel zum Beispiel waren in Auschwitz kaum möglich. Auch erfährt der Leser wenig vom Krieg und nur ansatzweise etwas vom Innenleben des Lagers. Auf der einen Seite ist das konsequent, denn ein Neunjähriger hätte das Grauen nicht erfassen können. Es ist auch nicht unbedingt wichtig, denn der Autor legt den Fokus auf Brunos Gefühle und Probleme innerhalb der Familie. Beschränkt man sich in der Bewertung des Romans auf diesen Aspekt, ist das Buch auf jeden Fall zu empfehlen.
Erwartet man ein Werk, das Kindern die Greuel des Zweiten Weltkrieges - speziell das Leiden in Auschwitz näher bringt -, wird der Leser enttäuscht. Boynes nutzt das Vernichtungslager als Kulisse für eine eher romantische Geschichte, die als Anti-Kriegs-Buch zu harmlos bleibt. Sicher, es ist ein Kinderbuch. Aber um verstehen zu können, was hinter vielen Andeutungen steckt, braucht der Leser ohnehin eine gewisse Vorbildung. Also sind eher Jugendliche die Zielgruppe und die vertragen mit Sicherheit eine explizitere Sprache.
Der Junge im gestreiften Pyjama. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007; 266 S., 13,90 ¤