FERNSEHEN
Kommt der eigene Parlamentskanal, steigt Phoenix eventuell aus der Berichterstattung aus
Im Laufe des Abends fing der Moderator so langsam an, sich Sorgen um den Gemütszustand von Norbert Lammert zu machen. "Fühlen Sie sich denn so ein bisschen verlassen", fragte Professor Heinrich Oberreuter von der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen den Bundestagspräsidenten. Der atmete einmal tief durch und antwortete mit einem "Nein!" Noch fühle er sich nicht "von allen guten Geistern verlassen".
Dennoch - der CDU-Politiker traf mit seiner Absicht, einen deutschlandweiten Parlamentskanal zu initiieren, auf einer Podiumsdiskussion am 29. November auf viele Kritiker und Bedenkenträger.
Dabei hatte Lammert sein Begehren durchaus nachvollziehbar begründet. Artikel 42 des Grundgesetzes schreibe fest: Der Bundestag verhandelt öffentlich. Eine breite Öffentlichkeit sei aber nur über elektronische Medien zu erreichen, etwa einen Parlaments-TV-Kanal, der deutschlandweit über Kabel und Satellit ausgestrahlt wird. Derzeit übernehme Phoenix die Übertragung des Parlamentsgeschehens. Und das, so stellte Lammert klar, in einer guten Qualität. Aber eben nicht vollständig. Immer wieder steige der Sender während der Debatte aus. Sei es, um zu einer Pressekonferenz zu schalten, oder auch um sich dem Geschehen im Bundesrat zu widmen. Außerdem werde der Ausschussarbeit zu wenig Platz eingeräumt - 2006 habe es 400 Stunden öffentliche Ausschusssitzungen gegeben. Nicht eine einzige davon sei live im Fernsehen zu verfolgen gewesen. Dieser Zustand sei nicht tragbar und inakzeptabel, so Lammert. Zumal, so der Bundestagspräsident, das Angebot ja bestehe: "Wir machen es ja im eigenen Hause." Es werde nur eben nicht deutschlandweit gesendet. Lammert kritisierte auch den Trend zur "Entertainisierung" der Berichterstattung über den Bundestag. Der Sendeauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten könne nicht in Talkshows bestehen.
Sein Sender, so entgegnete Christoph Minhoff, Programmgeschäftsführer bei Phoenix, mache keine Talkshows sondern Gesprächsrunden. Phoenix übertrage 360 Stunden Bundestagsgeschehen im Jahr, womit seiner Ansicht nach die Arbeit des Parlaments "sehr gut gespiegelt" werde. Eine flächendeckende Berichterstattung dürfe man jedoch nicht erwarten. "Phoenix kann nicht die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages leisten", sagte Minhoff. Sollte der Bundestag tatsächlich mit einem eigenen Kanal auf den Markt treten, habe man das Problem eines redundanten Angebotes. Zurecht, so Minhoff, würde dann in der Öffentlichkeit die Frage gestellt: Werden hier Gebührengelder oder Steuern unnötig ausgegeben? Phoenix müsse in diesem Falle darüber nachdenken, ob man nicht aus der Parlamentsberichterstattung aussteige. Wenn dies tatsächlich geschehe, so konterte der Bundestagspräsident, sei auch das Ende des öffentlich-rechtlichen Fernsehens möglich.
"Die Ehe zwischen Politik und Medien ist kaputt", sagte Tissy Bruns, Parlamentsreporterin des Tagesspiegels. Politik werde zunehmend in Talkshows gemacht - Christiansen sei wichtiger als der Bundestag, so habe es zumindest Friedrich Merz einst behauptet. Ob mit einem "Mehr" an Parlamentskanälen dem gegengesteuert werden könne, bezweifle sie. Die ohnehin schon "zersplitterte Öffentlichkeit" würde sich durch den nächsten Spartenkanal weiter "zerstreuen". Außerdem sehe auch sie die Gefahr, dass die öffentlichen Programme sich vollständig zurückziehen könnten. Der politische Diskurs, so warnte Bruns, könnte "unter die Räder kommen".
Für einen Ausbau und die bessere Nutzung des Internetangebotes sprach sich Ulrich Kelber, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, aus. Ein eigener Parlamentskanal hätte das Problem, bei zeitgleichen Veranstaltungen auswählen zu müssen. Mit einem Internet-Breitbandanschluss sei dies nicht nötig - man könnte mehrere parallele Leitungen zur Verfügung stellen. Wenn man zudem den Druck auf die öffentlich-rechtlichen Sender in Sachen Parlamentsberichterstattung erhöhe, sei dies besser als ein eigener Parlamentskanal. Ein hausgemachtes Problem gebe es derzeit zudem noch, sagte Kelber: die Bereitschaft der Parlamentarier zu einer öffentlichen Ausschussarbeit, wie es sie in vielen anderen europäischen Ländern gebe, sei "nicht weit ausgeprägt".
Das sieht auch der Kulturausschussvorsitzende Hans- Joachim Otto (FDP) so. Man habe sich im Ausschuss über eine stärkere Zuwendung zur Öffentlichkeit unterhalten - die Reaktionen seien eher "zurückhaltend" gewesen. Wenn mehr geöffnet werde, so der Tenor im Ausschuss, wäre das der Arbeit des Parlamentes nicht zuträglich. Für ihn persönlich wäre ein Parlamentskanal wünschenswert: "Natürlich will ich, dass alle meine Arbeit sehen." Dennoch beobachte auch er die Tendenz zur Verspartung mit der Folge, dass im Hauptprogramm nichts mehr von der Debatte gezeigt werde. Die Forumsfunktion des Fernsehens dürfe nicht weiter geschwächt werden. Es dürfe nicht darum gehen, für wenige ein 24-Stundenprogramm zu schaffen. Vielmehr gelte es die gesellschaftliche Relevanz der Debatte zu erhöhen, um interessant für viele zu sein. Dazu müsse man sich an die eigene Nase fassen. "Denn", so Otto selbstkritisch, "die Qualität der Debatte ist in den letzten Jahren nicht besser geworden."