Atomkraft: Sicherheit geht vor
Sigmar Gabriel (SPD) macht Druck. Bis Ende des Jahres will der Bundesumweltminister mit den Ländern und den Kernkraftbetreibern über ein besseres Sicherheitsmanagement in Atommeilern eine Einigung erzielt haben. Wenn er mit den Ländern, denen die Aufsicht über die Kraftwerke untersteht, nicht zu einer freiwilligen Einigung kommt, werde er es auf dem Verordnungsweg regeln, sagte er während einer Sondersitzung des Umweltausschusses am 1. August 2007.
Frist verkürzen
Die Störfälle in den schleswig-holsteinischen Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel Ende Juni seien nach bisherigen Erkenntnissen durch ein gleichzeitiges Versagen von Mensch und Technik entstanden. Nun wolle die Regierung bundesweit dafür sorgen, dass sich Fehler wie in Krümmel und Brunsbüttel nicht wiederholen. Bisher habe nur Baden-Württemberg ausreichend strenge Regeln eingeführt. In Schleswig-Holstein, aber auch in anderen Ländern, dauere es meist mehrere Jahre, bis die Betreiber alle Auflagen der Aufsichtsbehörden erfüllt haben. Die Frist, Unterlagen nachzureichen, müsse deshalb auf ein Jahr verkürzt werden.
Am 28. Juni hatten sich beide Atomkraftwerke nach Kurzschlüssen automatisch abgeschaltet. In Krümmel hatte der Kurzschluss einen explosionsartigen Brand an einem Trafo ausgelöst, der aber außerhalb der Reaktorzone stand. In Brunsbüttel hatte sich nach einem Kurzschluss in einem Spannungswandler erst der Kraftwerksblock, dann der Reaktor abgeschaltet. Der Betreiber Vattenfall hatte danach immer betont, dass die Bevölkerung nicht gefährdet war.
Gabriel wies die Ausschussmitglieder aber auch darauf hin, dass insbesondere die Ursachen für die technischen Fehler in Krümmel noch nicht aufgeklärt seien. Die Ursache für den Kurzschluss des Trafos in Krümmel sei noch nicht festgestellt. Der Betreiber Vattenfall werde aber erst dann eine Erlaubnis zur Wiederaufnahme des Betriebes erhalten, wenn Bundes- und Landesbehörden keine Bedenken mehr hätten, bekräftigte er seine früheren Aussagen.
Neben den Störungen wurden in Brunsbüttel auch Mängel bei der Anbringung von Metalldübeln im Sicherheitssystem festgestellt. Bei einer Überprüfung, die Teil eines Kontrollprogramms der Aufsichtsbehörde ist, wurde unter anderem festgestellt, dass zu große Löcher in die Dübelplatten gebohrt waren. Mit den Platten werden Rohre am Gebäude befestigt. Vattenfall habe sich zunächst geweigert, die schadhaften Teile auszutauschen. "Die ganzen Vorfälle zeigen, dass die Sicherheitskultur von Vattenfall wirklich unterentwickelt ist", sagte Gabriel.
Ebenfalls unterentwickelt sei die Kommunikationskultur des Unternehmens. Vattenfall war Anfang Juli in die Kritik geraten, weil es die Öffentlichkeit nicht von vornherein über die Pannen bei den Zwischenfällen informiert hatte und zudem der zuständigen Aufsichtsbehörde nicht die Namen des Schichtleiters und des Reaktorfahrers von Krümmel verraten wollte. Im Vorfeld der Sondersitzung hatten das Magazin "Focus" und der Berliner "Tagesspiegel" aber von Dokumenten berichtet, die belegten, dass das schleswig-holsteinische Sozialministerium sehr wohl die Namen der betreffenden Arbeiter wusste. Gabriel nahm die zuständige Ministerin erneut in Schutz.
Leitwarte überwachen
"Die Ausführungen des Ministers zeigen deutlich, dass die Bevölkerung über das Risiko relativ im Dunkeln gelassen wurde", kritisierte Hans-Kurt Hill, energiepolitischer Sprecher der Linken, nach der Sitzung. Im Übrigen habe er sich in seiner Ansicht bestätigt gefühlt, dass Schnellabschaltungen von Reaktoren deren Sicherheitsrisiko erhöhen. In Krümmel hatte der Reaktorführer zwei Sicherheits- und Entlastungsventile per Hand geöffnet, weil er die Anweisungen seines Schichtführers falsch verstanden hatte. Dadurch fiel der Druck im Reaktordruckbehälter zu schnell. Unabhänging davon war auch der noch intakte Blocktrafo ausgefallen, und das Kraftwerk konnte keinen Strom mehr ins Hauptnetz speisen. Hill sprach sich für ständige unabhängige Beobachter in jeder Leitwarte aus, um zu verhindern, dass Betreiber Vorfälle vertuschen können. "Wenn man Tschernobyl betrachtet, kann man nicht genug Aufwand treiben." Gabriel hatte Beobachter zuvor kurz angebunden abgelehnt.
Auch Michael Kauch (FDP) sprach sich für stärkere Sicherheitsmaßnahmen aus. Statt Personen vor Ort forderte er aber Videoaufzeichnungen in der Leitwarte. Den Einwand Gabriels, das würde eventuell die Privatsphäre der Angestellten untergraben, wollte er nicht gelten lassen. "Die Sicherheit der Bevölkerung muss absolute Priorität haben", so Kauch. Die Videoaufzeichnung, ähnlich wie im Cockpit eines Flugzeuges, könne dazu dienen, Störfälle im Nachhinein besser aufklären zu können.
Für Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, blieb "die Erkenntnis, dass viele Fragen offen sind". Die Diskussion um strengere Sicherheitsstandards sei schon ein Jahr alt. Die Forderungen der Grünen von damals habe sich die Regierung jetzt zu eigen gemacht. Georg Nüßlein (CDU) kritisierte, die Sitzung sei inhaltslos gewesen. "Es war nur eine Show für die Antragsteller Grüne und Linke, um Pressemitteilungen abzusetzen."
Anlässlich der Sondersitzung forderten die Umweltschutzorganisationen Greenpeace und Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) strengere Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke. Alte Atomkraftwerke sollten schneller vom Netz genommen werden als geplant, so der BUND. Das gelte auch für solche, die nicht genügend gegen terroristische Angriffe gesichert seien. Greenpeace forderte, die Meiler alle zwei statt alle zehn Jahre auf ihre Sicherheit zu überprüfen. Jedes Auto müsse alle zwei Jahre zum TÜV, also könne es nicht angehen, dass es bei Atommeilern anders sei.
Kurzinformation
Forsmark Der Ausfall zweier Notstrom-aggregate, die zur Kühlung des Reaktorkerns dienten, führte im Juli 2006 zur Abschaltung zweier Reaktoren in Schweden.
Brunsbüttel arbeitet mit der derselben Technik wie Forsmark. Das Werk, welches 2009 abgeschaltet werden soll, wurde deshalb vergangenes Jahr auf seine Sicherheit überprüft. Der Betreiber Vattenfall schloss einen Störfall wie in Schweden aus.
Krümmel soll bis 2015 laufen. 2006 lag es mit 15 meldepflichtigen Ereignisse an der Spitze der Pannenstatistik der 17 deutschen Atomkraftwerke. Zu den Ereignissen können aber auch kleinere Vorfälle wie der zeitweilige Ausfall von Pumpen zählen.
Autorin: Sandra Ketterer