Grußwort des Präsidenten des Bundesarchivs, Prof. Dr. Hartmut Weber zur Eröffnung der Robert-Blum-Ausstellung
Es gilt das gesprochene Wort
"Archive sind dringend notwendige Orte gegen die Erinnerungslosigkeit" hat der vormalige Bundespräsident Roman Herzog den gesellschaftlichen Auftrag der Archive definiert. Und so lautet der gesetzliche Auftrag des Bundesarchivs auch, Vergangenes mit authentischen Quellen jedermann zugänglich zu machen. Archivgut ermöglicht unabhängig von Zeit und Ort und der Erinnerungsfähigkeit der Zeitzeugen die Auseinandersetzung mit der Geschichte als Forschungsgegenstand und mit dem Vergangenen im Rahmen der Erinnerungskultur einer Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich mit den Folgen von zwei Diktaturen im zwanzigsten Jahrhundert auseinanderzusetzen hatte und hat - und die dies mit der zusätzlichen Belastung und Herausforderung einer partiell geteilten Erinnerung tun muss.
Jahrzehnte bevor das Haus der Geschichte und das deutsche Historische Museum begründet wurde, hat Bundespräsident Gustav Heinemann eine Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte angeregt, und sich dafür den Ort vorgestellt, wo die Revolution von 1848/49 schließlich blutig niedergeschlagen wurde, im badischen Rastatt.
Heinemann hatte für diese Initiative mehrere Motive. Einmal wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass die deutsche Geschichte nicht nur eine Geschichte von Schlachten und Schlachtenlenkern ist, nicht nur eine von Kaisern und Königen, sondern auch eine von Volks- und Freiheitsbewegungen. Es lag ihm aber auch daran, den deutschen selbst ins Bewusstsein zu bringen und im Bewusstsein zu halten, dass die Ideen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten in Deutschland nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg von den Westalliierten in der damaligen Bundesrepublik importiert wurden, sondern in Deutschland verwurzelt sind. Und er wollte zeigen, dass die Kräfte und Personen, die in der Vergangenheit, etwa in der Revolution von 1848/49, in der Weimarer Republik und im Widerstand, für Demokratie und Freiheit gekämpft hatten und bis 1945 als Verlierer der Geschichte galten, die eigentlichen Gewinner sind.
Die Erinnerungsstätte wurde im Jahr 1974 in Rastatt als Außenstelle des Bundesarchivs eingerichtet, und hat seither hunderttausenden von Menschen, vor allem Schülern, das historische Ringen der Deutschen um Freiheit, Demokratie und Einheit nachvollziehbar gemacht.
Bisheriger Schwerpunkt der Rastatter Ausstellung war die Revolution von 1848/49, ihre Vorgeschichte und ihre Auswirkungen. Als zweiter Schwerpunkt soll bis zum Jahre 2009 die Friedliche Revolution in der DDR von 1989 verankert werden und damit, soweit ich sehe, in Rastatt erstmals außerhalb von Berlin und außerhalb der "neuen Länder" ein Erinnerungsort für den Widerstand in der DDR und die Friedliche Revolution eingerichtet werden. Die Bezüge sind ja evident. Unter der Parole "Wir sind das Volk" schlossen sich im Sommer 1849 selbstbewusste Rastatter Bürger mit Soldaten der Garnison zusammen und forderten politische Partizipation und eine liberale Verfassung mit der Garantie von Menschenrechten. "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" skandierten 1989 selbstbewusste Menschen auf den Straßen in Leipzig, Berlin, Dresden und anderswo und brachten damit den SED-Staat zu Fall. Je tiefer wir in den Vergleich eindringen, je reizvoller erscheint uns, in Rastatt die Brücke zu schlagen von den Volksbewegungen von 1848/49 und der von 1989.
Als Vermittler zwischen diesen beiden Polen kann auch Robert Blum, der programmatische Revolutionär von 1848/49 gelten, dem das Bundesarchiv diese Wanderausstellung zu seinem 200. Geburtstag gewidmet hat. Der Rastatter Erinnerungsstätte war wichtig, dass man von ihm nicht nur allenfalls das Dictum "Erschossen wie Blum" kennt, sondern sich ins Gedächtnis rufen kann, dass Robert Blum einer der wichtigsten Vorkämpfer unserer heutigen Gesellschaftsordnung war. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts formulierte Blum jene Grundsätze, die mit dem Grundgesetz von 1949 zumindest für einen Teil der Deutschen Wirklichkeit wurden, die jedoch ihren endgültigen Durchbruch erst durch die Friedliche Revolution von 1989 erlebten.
Robert Blum forderte die Abschaffung aller Vorrechte und die Gleichheit aller Bürger. Er forderte freien Zugang zur Bildung für alle Bevölkerungsschichten; denn Blum erkannte, dass die Bildung die Voraussetzung für die aktive Teilhabe an der Demokratie war. Diese politische Partizipation war seine zentrale Forderung. Blum forderte rechtsstaatliche Prinzipien, soziale Absicherung für alle Deutschen. Und er forderte die Einheit Deutschlands - keinen chauvinistischen Nationalismus, sondern einen friedenserhaltenden Staat, eingebunden in eine Gemeinschaft europäischer Staaten.
"Geschichte ist nicht nur Geschehenes, sondern Geschichtetes - also der Boden, auf dem wir stehen und bauen" hat Hans von Keler, der frühere Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, bildhaft formuliert. Blum hat eine Schicht beigetragen zum geistigen Fundament, auf dem unsere Gesellschaftsordnung basiert. Natürlich: Die Revolution, für die Blum kämpfte, sie war nicht unmittelbar erfolgreich und Blum war eines ihrer Blutopfer. Am 9. November 1848 wurde Blum in Wien standrechtlich erschossen - trotz seiner Immunität als Abgeordneter des ersten gesamtdeutschen, demokratisch gewählten Parlaments. Aber Blums Ideen waren erfolgreich: Auf den Tag genau 140 Jahre später, am 9. November 1989, wurden Blums Visionen Wirklichkeit - durch eine friedliche und erfolgreiche Revolution.
Unsere Ausstellung zeigt somit ein wichtiges Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte: Sie zeigt das Ringen des Demokraten, Revolutionärs und Visionärs Robert Blum um Einigkeit und Recht und Freiheit. Diese Konfrontation mit unserer Vergangenheit ist wichtig, denn nur indem wir Nachgeborenen nachvollziehen, welche Opfer unsere Vorfahren für Freiheit und Demokratie brachten, wird uns wieder bewusst, wie wertvoll das ist, was für uns so selbstverständlich geworden ist: Freiheit und Demokratie, Bürger- und Menschrechte, freier Zugang für alle zur Bildung und soziale Absicherung.
Ich wünsche der Ausstellung hier an diesem schönen Ort viele interessierte Besucher.