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Europa:
Europa ist überall ? Europäische Gesetze regeln den
Alltag, Euro-Münzen klimpern im Portemonnai. Aber was bedeutet
es eigentlich, zu Europa zu gehören? Hat Europa eigentlich
Grenzen und wie sieht die Zukunft der Europäischen Union aus?
GLASKLAR hat sich in Europa umgesehen. In der aktuellen Ausgabe
lest ihr unter anderem, was EU-Richtlinien mit Glück in der
Liebe zu tun haben, wie junge Leute heute grenzenlos arbeiten,
lernen oder ihrem eigenen Film drehen und was Menschen von anderen
Kontinenten so alles über Europa denken.
www.glasklar-bundestag.de
Politik aktiv gestalten:
Mitmischen.de ist das Jugendforum des Deutschen Bundestages im
Internet. Die Plattform bietet Chats mit Abgeordneten des
Bundestages, Diskussionsforen, Abstimmungen, Nachrichten und
Hintergrundberichte zu aktuellen politischen Themen.
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Für Michael Kretschmer ist Wahlkreisarbeit oft mit Grenzüberschreitung verbunden. Das schärft den Blick und macht ihn weit. Gut für einen Abgeordneten.
Der kalte Wind hat sich an diesem Morgen
gelegt. Geblieben ist ein strahlend blauer Himmel über
Görlitz. Der macht die Stadt zum Verlieben schön.
Wahrscheinlich aber muss man sie auch bei Regen mögen.
Görlitz ist ein Kleinod. Ein Umweltminister nannte die Stadt
an der Neiße einmal das „Tafelsilber der
Einheit”. Es wurde nicht verscherbelt in den vergangenen
Jahren, sondern gehütet und geputzt. 1991 schon wurde
Görlitz in die Arbeitsgemeinschaft historischer Städte
aufgenommen und zur Modellstadt für die Altbausanierung
erklärt. Heute ist Görlitz, auf polnischer Seite
heißt die Stadt Zgorzelec, ein gutes Stück Europa. Die
Stadt verkörpert alle Möglichkeiten und Chancen, die
durch die Osterweiterung der Europäischen Union gegeben sind.
Vor zehn Jahren wurde sie dafür mit der Europamedaille
ausgezeichnet, ein Jahr später proklamierte man die
Europa-Stadt „Görlitz-Zgorzelec”.
Zu DDR-Zeiten, erzählt Michael Kretschmer, war Görlitz
die Stadt mit der höchsten Selbstmordrate und dem langsamen
Verfall preisgegeben. Man habe die Luft schlecht atmen und die Welt
nicht sehen können. Man lebte am Rande.
Michael Kretschmer kennt die Stadt, die 1945 auf Beschluss der
Potsdamer Konferenz geteilt wurde durch die zum Grenzfluss
erklärte Neiße, in schlechten und guten Zeiten. Das
bindet und verbindet. Er ist hier 1975 geboren, hier aufgewachsen
und zur Schule gegangen. Er hat in Görlitz eine Ausbildung zum
Büroinformationselektroniker gemacht und danach in Dresden
studiert. Er saß nach der Wende in der kreisfreien Stadt
Görlitz im Stadtrat und hat so begonnen, Politik zu machen.
Heute ist er Abgeordneter der CDU/CSU im Deutschen Bundestag und
Generalsekretär der Sächsischen Union. In anderen
Bereichen des Lebens würde so einer als Shootingstar
tituliert. Neidisch muss man deshalb nicht sein, denn das, was
Michael Kretschmer zu tun hat, ist anstrengende Arbeit. Das mobile
Telefon taktet den Tag. Man muss ein System entwickeln, um sich dem
nicht vollständig zu überlassen. Man muss lernen, auf
„lautlos” zu stellen, wenn man Auge in Auge mit anderen
Menschen redet. Man muss Prioritäten setzen und darf andere
nicht spüren lassen, wie groß jetzt gerade der Druck ist
und wie viele andere Dinge noch geregelt werden müssten.
Es mag ein Zufall sein oder nicht, aber dieser Tag in Deutschlands
östlichstem Wahlkreis ist für den Abgeordneten Kretschmer
so eine Art Kindertag. Oder Jugendtreff. Er beginnt in der
Mittelschule Ostritz. Um dahin zu kommen, fährt man eine
kleine Tour durch den Wahlkreis und hört die eine und andere
Geschichte. Michael Kretschmer beherrscht sowohl den großen
historischen Abriss alsauch die kleinen Anekdoten am Rande, die von
Liebe, Fehde, Buße, Familienzwist, menschlichen
Schwächen und regionalen Besonderheiten erzählen. In
Görlitz, denkt man beim Zuhören, ging schon vor langen
Zeiten ganz schön was ab. Und woher kommt eigentlich der
Begriff „Umgebindehaus”, den der Abgeordnete hier
gerade benutzt?
Wer macht den Anfang?
Zwei 10. Klassen der Mittelschule Ostritz
sind mit Michael Kretschmer verabredet. Die Schülerinnen und
Schüler haben vor einiger Zeit den Deutschen Bundestag
besucht. Damals hatte der Abgeordnete keine Möglichkeit
für Gespräche. Das holt er nun nach.
Er zieht das Jackett aus, krempelt die Hemdsärmel hoch,
lockert die Krawatte ein wenig und beginnt zu erzählen. Von
sich, seinem Werdegang, der Arbeit im Bundestag, den Abläufen
in einer Sitzungswoche. Er spricht darüber, was
sächsische Abgeordnete beschäftigt —
Braunkohleförderung zum Beispiel, fehlende Arbeitsplätze,
Ausbildung, Kreisgebietsreformen, Schulpolitik, deutsch-polnische
Nachbarschaften.
Irgendwann sagt der 32-Jährige: „Jetzt ihr. Ich will
wissen, was ihr denkt und wie es euch geht.” Und dann
entsteht die klassische Pause, in der alle darauf warten, dass
jemand anfängt. Nicht einfach ist das. Die Jungs gucken
ziemlich cool, die Mädchen flüstern miteinander, der
Lehrer sitzt und hofft wahrscheinlich, dass jemand den Anfang
macht. Michael Kretschmer kennt das und er weiß, dass jetzt
die direkte Ansprache am besten hilft. Er läuft durch den
Klassenraum und fragt die eine und den anderen: „Hast du
schon einen Ausbildungsplatz? Wie viele Bewerbungen hast du
geschrieben? Wie hat es dir in Berlin gefallen? Wieso willst du
Koch werden? Hast du in den Ferien ein Praktikum gemacht? Welche
Fragen beschäftigen dich?” Langsam kommt Bewegung in die
Sache. Die Stimmung und die Antworten schwanken zwischen
hoffnungsvoll und resigniert, ein bisschen wütend manchmal:
Warum es immer noch so sei, dass Frauen für die gleiche Arbeit
oft weniger Geld als Männer bekämen, wieso es hier
Stillstand gebe und im Nachbarland Polen nicht, wo der
wirtschaftliche Aufschwung bleibe, was jetzt mit der Braunkohle
werde, wer auf die Idee gekommen sei, ein durchgestrichenes
Hakenkreuz verbieten zu wollen, wie jemand, der körperlich
schwer arbeitet, bis 67 durchhalten könne?
Michael Kretschmer sagt später, er besuche sehr häufig
Schulen in seinem Wahlkreis und es gebe da unterschiedliche
Erfahrungen. Manchmal komme man wirklich ins Gespräch, oft sei
es ein schwieriges Unterfangen, in so kurzer Zeit Vertrauen
herzustellen. „Ich mache das gern”, sagt er, „es
ist wichtig für meine Arbeit.”
Sprung aus der Not
Nach der Schule Kinderheim. Zwei
Kinderheime, eins in Görlitz und eins in Zgorzelec, die den
gleichen Namen tragen: Janusz Korczak. Die Kinder- und
Jugendhilfeeinrichtung in Görlitz-Weinhübel wird von der
Stiftung Diakonie-Sozialwerk Lausitz betrieben und beherbergt rund
70 Kinder. Knapp 60 Kinder werden im polnischen Partnerkinderheim
betreut. Unterschiedlich gut sind die Ausstattung und der Zustand
der Gebäude, gleich ist der Anspruch, Kindern in Not ein
zeitweiliges oder dauerhaftes Zuhause zu geben, Zuwendung zu
zeigen, professionelle Hilfe für Kinder und Eltern anzubieten.
Michael Kretschmer hat, gemeinsam mit anderen, die Initiative
für ein Benefizkonzert ergriffen, das im Juni in Görlitz
stattfinden soll und dessen Erlös beiden Kinderheimen
zugutekommen wird. Heute ist ein Filmdreh geplant — für
gute Vorhaben muss Öffentlichkeit hergestellt werden. Man
trifft sich mit einem Drehteam des Lokalsenders eRTV zuerst in den
Räumen der sogenannten Notfallwohngruppe im Kinderheim
Görlitz, wo drei kleine Mädchen Wortführerinnen sind
und die ganze Gesellschaft in Atem halten. Mit dabei sind ein Pater
der katholischen Kirche, der später im polnischen Kinderheim
die Rolle des Übersetzers übernimmt, und Lutz Kühne
von der Agentur „Die Partner”, die für den guten
Zweck ein schönes Plakat entworfen hat, das man sich am
Nachmittag in den Räumen der Agentur gemeinsam anschauen
wird.
In beiden Kinderheimen wird viel und intensiv miteinander geredet.
In Zgorzelec stellt sich ein Projekt vor, das in den Räumen
des dortigen Heimes Beratung und Hilfe für in Deutschland
straffällig gewordene polnische Bürger und ihre
Angehörigen anbietet.
Michael Kretschmer erfährt, welche Wünsche man sich von
dem Erlös des Benefizkonzertes erfüllen möchte: Ein
Trampolin, ein gemeinsamer Ausflug der Kinder aus beiden Heimen,
neue Möbel und Spielzeug für die Kleinsten. Der
Abgeordnete hofft und wünscht, dass es für alles reichen
möge. Von Zgorzelec geht es zurück über die Grenze
nach Görlitz ? Grenzüberschreitungen sind in solch einem
Wahlkreis Alltag. Man kann beobachten, wie die Menschen sich
näherkommen und Gemeinsamkeiten wachsen. Wahlkreisarbeit ist
hier immer auch Europapolitik. Michael Kretschmer schätzt
das.
Späte Mittagspause im Patrizierhaus St. Jonathan. Die
Mitarbeiterin des Wahlkreisbüros, Bernadette Lechner, kommt
dazu, man klärt schnell ein paar Dinge, telefoniert, holt ein
bisschen Luft.
Stunde der Wahrheit
Nach dem Besuch in der Agentur „Die
Partner” — das Plakat ist wirklich schön geworden
— stehen ganz junge Medienmacher auf dem Programm. Seit 1997
gibt es das Projekt Sächsische Ausbildungs- und
Erprobungskanäle, SAEK. Teil davon sind Hörfunkprojekte
mit Schülerinnen und Schülern in verschiedenen
Städten. Michael Kretschmer wird heute im Studio in der
Straßburgpassage erwartet, von Martin, Tom, Nora, Hedwig,
Lisa und Moritz. Fünf Jahre alt der Jüngste, zehn der
Älteste. Sie werden ein Interview mit dem Abgeordneten
führen für eine Sendung, die sie regelmäßig
produzieren und die auch auf den Erprobungskanälen
ausgestrahlt wird. Alle können etwas beitragen zur Sendung,
wer noch nicht schreiben kann, malt das Wetter und erzählt
später vor dem Mikrofon, was er gemalt hat.
Das ist die Stunde der Wahrheit. Nicht nur, weil Michael Kretschmer
aufgefordert wird, sich in ein pinkfarbenes Freundinnenbuch
einzutragen — mit Foto. Nicht nur, weil ihm von den
Mädchen erklärt wird, dass Brad Pitt so ziemlich der
bestaussehende Mann der Gegenwart ist. Nicht nur, weil er sein
Lieblingsessen nennen und sich damit in Konkurrenz zu Kasslerbraten
und Nudeln Polonaise — das ist doch ein Tanz, oder? —
begeben muss. Nicht nur, weil er gebeten wird, Autogramme zu geben.
Sondern vor allem, weil ihm im Aufnahmestudio eine Menge Fragen
gestellt werden, von denen manche eine abendfüllende
Diskussion sein könnten: Warum sind Sie Politiker geworden,
was macht Ihnen bei Ihrer Arbeit Spaß, warum heißen
Politiker eigentlich Politiker, was machen Sie den ganzen Tag? Ja,
was macht der Michael Kretschmer eigentlich den ganzen Tag?
Arbeiten, sagt er und gibt damit die kürzeste aller
möglichen Antworten. „Ich versuche herauszubekommen, was
die Menschen wollen und brauchen, und ich überlege dann, ob
ich ihnen dabei helfen kann, zu bekommen, was sie
brauchen.”
Michael Kretschmer wird an diesem Abend, wie an fast jedem anderen
Abend, den er in seinem Wahlkreis verbringt, auf Achse sein. Um
herauszubekommen, was die Menschen wollen und brauchen. Und die
wollen von einem Generalsekretär das eine und erwarten von
einem Bundestagsabgeordneten das andere und möchten, dass das
eine und das andere den gleichen Menschen kenntlich macht und
planvoll ist und zugewandt und klug. Das ist anstrengende Arbeit.
Auch bei strahlend blauem Himmel.
Text: Kathrin Gerlof,
Erschienen am 18. Juni 2007
Michael Kretschmer
(CDU/CSU)
michael.kretschmer@bundestag.de
www.michaelkretschmer.de
Infos zum Wahlkreis
www.goerlitz.de
www.nol-kreis.de
www.kreis-zi.de
Website Zgorzelec
www.zgorzelec.com