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Katrin Göring-Eckardt ist Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Aufgewachsen in einem anderen Staat, angekommen in diesem hier, versucht sie, die Erfahrung aus beiden in kluge Politik münden zu lassen.
Sie sitzt auf dem Stuhl, der den schönen Namen „Sorgenfrei“ trägt, und sagt, der könne ihr gefallen. Gehörte er ihr, würde sie ihn in ihrer neuen Wohnung an die Flügeltür stellen, die nach draußen führt. Das wäre ein guter Platz. Man kann sich vorstellen, dass die 1966 geborene Thüringerin es gern hat, wenn die Innen- und die Außenansicht gleichermaßen zu haben sind. So kann man sich ein Bild machen. Vom Leben.
Dieser Ort hier ist aber auch nicht schlecht: Der große Saal der Gemäldegalerie im Kulturforum der Hauptstadt wirkt mit seinen weißen Säulen, dem Tageslicht, das durch in die Decke eingelassene Fenster fällt, und den schmalen Bänken aus hellem Holz wie ein Refugium. Nach rechts und links öffnet sich der Blick in die Ausstellungsräume.
Katrin Göring-Eckardt sagt manchmal Sätze, über die man stolpert. Nicht, wenn sie als Vizepräsidentin die Sitzung des Deutschen Bundestages leitet. Das macht sie klar, ruhig und mit großer Gelassenheit. Als wäre es schon immer ihre Arbeit gewesen. War es aber nicht. Katrin Göring-Eckardt, die in der vergangenen Legislaturperiode zusammen mit Krista Sager die Fraktion geleitet und dieses Land mitregiert hat, ist zum ersten Mal Mitglied im höchsten Gremium des Bundestages. Und das gefällt ihr. „Man kann seine Schwerpunkte bestimmen und Dinge anstoßen, die einem wichtig sind. Die Menschen hören zu. Das hat natürlich etwas mit diesem Amt zu tun. Man kann es nutzen, um etwas zu bewegen.“
Keine Stolpersätze. Alles klar und nachvollziehbar. Sätze, über die man stolpert, kommen dann, wenn man mit der sanft wirkenden Frau, deren Hartnäckigkeit allerdings sprichwörtlich ist, über Lebensgeschichte und politischen Werdegang redet. Dann sagt sie zum Beispiel: „Ich habe die Grünen auswendig gelernt.“ Und damit ist sowohl ein langer Weg gemeint, der zurückgelegt wurde, als auch eine Art, mit dem Leben umzugehen. Wenn das Leben eine in Situationen bringt, die man sich zwar nicht aussuchen, aber doch gestalten kann, dann hat sich Katrin Göring-Eckardt immer für das Gestalten entschieden. Und dafür musste sie lernen. So viel und so ausdauernd wie möglich.
Als Kind und Jugendliche lernte die in Friedrichroda Geborene, dass unabhängiges Denken in einem Land wie der DDR nicht gern gesehen und im Zweifelsfall bestraft wird. Das hatte auch die eigene Mutter vorsichtig gemacht, die wegen unabhängigen Denkens von der Oberschule verwiesen worden war. Und der Vater fand, dass Franz Josef Strauß der interessanteste deutsche Politiker ist.
„Ich war in der DDR Mitglied in einem Karnevalsverein. Stellte man es geschickt an, ließ sich in den Büttenreden viel Kritik unterbringen, auch wenn die vorher zensiert wurden.“
Katrin Göring-Eckardt lernte damals, sich einzumischen. Sie wollte sich nicht gemein machen mit diesem Staat, aber sie wollte auch nicht Zuschauerin sein und passiv bleiben. Mit ihrer Deutschlehrerin konnte sie damals über solche Dinge reden. Und sie fasste zwei Beschlüsse: nicht in eine der Blockparteien einzutreten und nicht Lehrerin zu werden. Aber Rückzug war auch keine Lösung. Nischen suchen vielleicht. „Meine ersten politischen Reden waren Büttenreden. Ich war in der DDR Mitglied in einem Karnevalsverein. Stellte man es geschickt an, ließ sich in den Büttenreden viel Kritik unterbringen, auch wenn die vorher zensiert wurden. Es hat Spaß gemacht, die Spielräume auszureizen.“
Reden lernen gehörte auch zum Theologiestudium, das Katrin Göring-Eckardt nach dem Abitur begann und das ebenfalls eine Nische in diesem Land sein konnte, in dem alles und alle unter Kontrolle standen. Die Abgeordnete sagt, es sei noch heute manchmal schwer, nicht zu predigen, obwohl das manche Themen sicher gut vertrügen. Aber in der Politik sei die Predigt nur in ganz besonderen Fällen angebracht.
Der größte Lernprozess begann für die damals 23-Jährige, als die Mauer verschwand, dann das Land hinter der Mauer, und als aus der kleinen Bundesrepublik das wieder ungeteilte Deutschland wurde. „Zuerst habe ich mich wie viele andere gefragt, ob es nicht möglich und lohnenswert ist, einen ganz neuen Anfang zu versuchen, nicht die deutsche Einheit, sondern aus eigener Kraft und im eigenen Land. Ich bin erst später zu einer großen Verfechterin der Deutschen Einheit geworden. Damals aber, in der Wendezeit, habe ich gelernt, dass es wichtig und möglich ist, Sachen außerhalb des Systems zu denken. Man kann sagen, das hier ist meine Idee, die speist sich nicht aus dem System, aber sie kann vielleicht innerhalb des Systems verwirklicht werden.“
„Man kann seine Schwerpunkte bestimmen und Dinge anstoßen, die einem wichtig sind. Die Menschen hören zu. Das hat natürlich etwas mit diesem Amt zu tun. Man kann es nutzen, um etwas zu bewegen.“
Dies dann auch zu tun und zu versuchen, dafür boten die Grünen die beste Alternative, fand Katrin Göring-Eckardt. Sie engagierte sich im Vereinigungsprozess zwischen Bündnis 90, dem Zusammenschluss verschiedener Bürgerbewegungen der DDR, und den Grünen. Und in dieser Zeit und in den Jahren, die nun folgten, hat sie die Grünen „auswendig gelernt“. Sie wurde Sprecherin des Thüringer Landesverbandes, Beisitzerin im Bundesvorstand der Partei und 1998 Bundestagsabgeordnete.
Sie sagt, die Sprache sei am Anfang in beiden Parteien völlig unterschiedlich gewesen. Die Geschichte beider Parteien und die der Menschen sowieso. “Man sagte das Gleiche und meinte völlig unterschiedliche Dinge. Das konnte schiefgehen, aber es wuchs eine neue politische Kultur daraus. Ich weiß noch, wie hart wir damals darum gestritten haben, ob in die Präambel der Satzung unserer neuen Partei geschrieben wird, dass wir für eine neue politische Kultur sind. Es wurde reingeschrieben und die neue Kultur entstand dann in der Praxis.“
Katrin Göring-Eckardt erzählt, wie sie damals eine Rede hielt, um sich für ein Amt im Vorstand der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu bewerben. Und wie sie ein Gleichnis wählte, eine Satire von Michael Sostschenko, das in der DDR viele Menschen kannten. In der Bundesrepublik aber kaum jemand. Deshalb geriet die Rede auch fast zum Desaster. „Meine Parteikolleginnen aus dem Osten konnten herzhaft lachen, aber die Mehrheit im Saal war ziemlich konsterniert. Sie verstand kaum ein Wort.“
Das ist Geschichte, sozusagen die Schule des Lernens. Den Sostschenko kennen auch heute noch fast nur Ostdeutsche. Aber heute weiß man das. Und stellt sich darauf ein. Diese Art der Anpassung, sagt die Vizepräsidentin des Bundestages, sei eine anerkennenswerte Leistung. Die nähre sich aus neu erworbenem Wissen und ermögliche, zu gestalten und nicht nur Zuschauerin oder Zuschauer zu sein.
Jetzt als Vizepräsidentin hat Katrin Göring-Eckardt andere Gestaltungsmöglichkeiten als in den Jahren, da sie in einer Koalitionsfraktion arbeitete. Sie ist nun innerhalb der Fraktion für Kulturpolitik zuständig. Und sie bleibt engagiert bei dem, was ihr am wichtigsten ist: die Gestaltung des Lebens und der Zukunft von Kindern. „Ich war vor Kurzem in einem Projekt, das in Berlin-Hellersdorf arme Kinder unterstützt. Da kam ein Vierjähriger mit seiner zweijährigen Schwester, um etwas zu essen zu bekommen. Dafür waren beide eine halbe Stunde durch die Stadt gelaufen. Das hat nichts mehr mit unserem System zu tun. Und es muss sich ändern. Ich werde mich auch in diesem Amt bemühen, etwas für die zu tun, die außerhalb dieser Gesellschaft leben müssen, weil sie arm sind und nicht teilhaben können.“
Es sei in den vergangenen Jahren gelungen, sagt die zweifache Mutter, das Thema Kinder zum gesellschaftlichen Thema zu machen. Und es sei gelungen, gesellschaftliche Veränderungen nachvollziehbar zu machen. Auch das habe sie gelernt: dass Politik nur dann gut ist, wenn Menschen sie nachvollziehen können. Mit dem Wissen darum lebt es sich nicht sorgenfreier. Aber bewusster und selbstbewusster.
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Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 31. Januar 2007
Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen)
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Geboren
3. Mai 1966 in Friedrichroda (Thüringen)
Wohnort
Ingersleben (Thüringen)
Ausbildung
Abitur, Theologiestudium
Beruf
Angestellte, Landessprecherin
Familie
verheiratet, zwei Kinder
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