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Im Auftrag der Wähler

Zentraler Ort der politischen Auseinandersetzung: Blick in den Plenarsaal im Reichstagsgebäude.
Zentraler Ort der politischen Auseinandersetzung: Blick in den Plenarsaal im Reichstagsgebäude.
© DBT/studio kohlmeier


Fächer für die Stimmkarten bei namentlichen Abstimmungen.
Fächer für die Stimmkarten bei namentlichen Abstimmungen.
© DBT/Werner Schüring


Abstimmung per Handzeichen. Die Mitglieder einer Fraktion haben sich vorher auf eine gemeinsame Haltung geeinigt.
Abstimmung per Handzeichen. Die Mitglieder einer Fraktion haben sich vorher auf eine gemeinsame Haltung geeinigt.
© DBT/Werner Schüring


Detailarbeit im Abgeordnetenbüro.
Detailarbeit im Abgeordnetenbüro.
© DBT/studio kohlmeier


Im Auftrag des Bürgers die Details klären, die in einem Gemeinwesen zu regeln sind: Abgeordnete vor einer Ausschusssitzung.
Im Auftrag des Bürgers die Details klären, die in einem Gemeinwesen zu regeln sind: Abgeordnete vor einer Ausschusssitzung.
© DBT/studio kohlmeier


Die Mitglieder des Deutschen Bundestages

Wer an Politik denkt, hat bestimmte Bilder vor Augen. Machen wir doch mal ein kleines Experiment: Schließen wir die Augen und probieren es selbst aus. Was sehen wir, wenn wir an Politik denken? Die Kanzlerin? Den Parteichef? Einen Ministerpräsidenten? Eine Demonstration? Wetten, dass bei den meisten nach ein paar Sekunden auch der Bundestag vor dem inneren Auge auftaucht? Mit Abgeordneten, die reden, zuhören, abstimmen? Das ist gut so. Denn die Abgeordneten bilden tatsächlich das Zentrum der Politik. Wie das funktioniert, was Abgeordnete zu tun haben, was sie dafür bekommen und wie man überhaupt Abgeordneter wird — das wollen wir hier näher beleuchten.

Eigentlich ist das ein ziemlich unattraktives Wort für einen Menschen, der Entscheidungen treffen und beeinflussen, die Mächtigen kontrollieren oder selbst mitregieren möchte. „Abgeordneter”. Das klingt nach Abordnung, nach Entsendung. Man denkt vielleicht unwillkürlich an Historienfilme, wo ein Fürst eine Abordnung schickt, die in seinem Auftrag Verhandlungen führen soll. Jedenfalls ist der entscheidende Wille woanders. Ein solcherart Ab-Geordneter ist damit beauftragt, bestimmte Fragen zu klären oder Aufgaben zu erfüllen. Vielleicht kann er auch verbindliche Verpflichtungen für seinen Fürsten eingehen, soweit der ihm Handlungsvollmachten, also ein entsprechendes Mandat, erteilt hat.

Und damit sehen wir: Volltreffer! Ein Abgeordneter hat tatsächlich nur Stellvertreterfunktionen. Die Bürger haben ihm einen Auftrag gegeben, ein Mandat. Er ist, wie das Grundgesetz festlegt, „Vertreter des ganzen Volkes” (Artikel 38 GG). Denn in der Demokratie ist — um in unserem Bild zu bleiben — das Volk der Fürst. Oder wie die Verfassung sagt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus” (Artikel 20 GG). Das ist das Wesen der Demokratie, was ja wörtlich „Volksherrschaft” heißt: Dass die Entscheidungen grundsätzlich von den Bürgern getroffen werden.

Nur — praktisch könnte das nicht funktionieren. Wir wären wohl ziemlich schnell genervt, wenn wir nicht einmal im Monat, nicht einmal in der Woche, sondern jeden Tag zur Abstimmung gehen müssten. Wenn wir zudem, um uns kundig zu machen, etwa über eine Gesundheitsreform, mal eben über Nacht 500 eng bedruckte Seiten lesen müssten, dazu noch tausende Seiten mit Stellungnahmen, mit Entwürfen und Gegenentwürfen. Und wir wären wohl frustriert, weil wir mit „Ja„ oder ”Nein” abstimmen müssten und nicht darüber verhandeln könnten, ob es nicht besser auf Seite 184 im dritten Absatz „muss” statt „kann” heißen sollte.

In der Familie können alle gemeinsam über alles entscheiden, vielleicht noch in der Nachbarschaft. Aber spätestens in der Gemeinde bedarf es bereits Repräsentanten, die den Willen der Bürgerschaft umsetzen. Und ein moderner Staat mit Millionen von Menschen braucht politische Profis, die den Willen der Bürger aufgreifen und die vielen Details klären, die in einem großen Gemeinwesen geregelt werden müssen.

Aber ihre Bezeichnung erinnert sie jederzeit daran, wem sie verantwortlich sind: Sie sind „Abgeordnete”, abgeordnet vom Volk, das sie vertreten. Die Repräsentation auf Zeit — begründet durch die Wahl — ist immer ein dynamischer Prozess. Nur durch den ständigen Austausch zwischen Abgeordneten und Bürgern kann sie funktionieren. Die ständige Kommunikation ist Basis der Abgeordnetenarbeit — wie die Kapitel dieses Sonderthemas zeigen sollen: Bei der Wahl (S. 24), in den Sitzungswochen (S. 26), bei den Finanzen (S. 32) und natürlich vor Ort im Wahlkreis (S. 34).

Wie sollen sich die Bürger ein Bild davon machen, von wem sie sich vertreten lassen wollen? Keine Zeitung wird von jedem Kandidaten dessen Meinung zu allen anstehenden Entscheidungen abdrucken. Wäre es nicht ein ungeheurer Vorteil, wenn man die wichtigsten Grundeinstellungen der Kandidaten anhand von Kürzeln erkennen könnte? Man kann. Die Kürzel heißen CDU, CSU, SPD, FDP, Die Linke., Bündnis 90/Die Grünen und so weiter — die Parteien. Es ist nicht vorgeschrieben, dass ein Kandidat für eine Partei auftreten muss. Aber es erleichtert die Einordnung.


© DBT/Karl-Heinz Döring.

Die Einordnung nach Parteien macht erkennbarer, was denn eigentlich „Wille” des Volkes ist. Denn natürlich können zwei Menschen zwei verschiedene Auffassungen davon haben, wie eine Sache geregelt werden sollte. Und wir reden in Deutschland von rund 60 Millionen Wählern! Wirklichkeitsfremd wäre es zudem, dass jeder einzelne auch sofort eine konkrete Vorstellung davon hätte, wie ein neues Problem gelöst werden müsste. Um seinen Willen zu entwickeln, ist es für ihn sicherlich hilfreich, wenn er Vorschläge für Handlungsmöglichkeiten angeboten bekommt, die er zur Orientierung nutzen kann. Auch hier gibt das Grundgesetz Auskunft: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit” (Artikel 21 GG).

Dass die Parteien an der Willensbildung „mitwirken”, heißt aber nicht, dass sie diese Willensbildung auch stellvertretend für das Volk „übernehmen”. Der einzelne Abgeordnete ist von Parteien ausgewählt und in seinem Wahlkampf unterstützt worden. Aber er wird nicht von den Parteien ins Parlament entsandt. Darüber entscheiden die Wähler. Repräsentative Demokratie bedeutet nicht, dass das Volk seinen Willen gewissermaßen bei den Parteien abgibt. Damit das jederzeit klar ist, legt das Grundgesetz fest, dass die Abgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen” sind (Artikel 38 GG).

Rechte der Abgeordneten

In dem Augenblick, in dem durch allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen ein Bürger zum Abgeordneten wird, gewinnt er eine ganze Reihe von Rechten, die er benötigt, um wirklich frei den Willen seiner Wähler umzusetzen. Weil es zu früheren Zeiten nicht selten Versuche gab, unliebsame Abgeordnete mittels konstruierter Vorwürfe einzusperren, genießt jeder Abgeordnete nach dem Grundgesetz (Artikel 46 GG) sogenannte Immunität und Indemnität. Die eine schützt ihn vor strafrechtlicher Verfolgung, die andere davor, wegen seiner Äußerungen im Parlament gerichtlich oder dienstlich belangt zu werden.

Natürlich steht ein Abgeordneter deswegen nicht über dem Gesetz. Wenn er eine Straftat begangen hat, muss er dafür bestraft werden, wie jeder andere auch. Aber das Parlament prüft vorher in jedem Einzelfall, ob wirklich ein Anfangsverdacht vorliegt, der ein Ermittlungsverfahren rechtfertigt, oder ob da jemand etwas konstruiert hat, um einem Abgeordneten politisch zu schaden. Ist der Anfangsverdacht begründet, steht einer Strafverfolgung nichts im Wege.

Weitere wichtige Rechte, die jedem Abgeordneten zustehen, damit er seinen Auftrag erfüllen kann, haben direkt mit der Arbeit des Bundestages zu tun. Natürlich muss jeder Abgeordnete an allen Abstimmungen teilnehmen können und damit er an der Willensbildung des Parlaments mitwirken kann, muss er sowohl ein Rederecht im Plenum bei den einleitenden und abschließenden Beratungen haben wie auch ein Mitwirkungsrecht in den Ausschüssen, in denen die Fachpolitiker die Details beraten. Er hat ein Recht auf Büroräume in Berlin und auf Unterstützung durch Mitarbeiter in Berlin wie in seinem Wahlkreis, um sich auf seine Arbeit vorbereiten und den Kontakt mit den Bürgern halten zu können. Darüber hinaus muss er die Regierung zu allen möglichen Angelegenheiten befragen und Antworten erwarten können. Und nicht zuletzt muss er angemessen bezahlt werden, um unabhängig seinem Fulltimejob nachgehen zu können.

Wie aber soll nun der einzelne Abgeordnete die Übersicht behalten über die vielen, vielen Themen, Aspekte und Bereiche? Wie soll er die anderen Abgeordneten davon überzeugen, was er auf einem Gebiet für den besten Weg hält? Und wie sollen die Wähler verfolgen können, ob die Abgeordneten einer bestimmten Partei auch tatsächlich so verfahren, wie sie es angekündigt haben? Die Antwort heißt: Fraktionen. Bevor sich das Parteienspektrum in Deutschland herausbildete, haben sich schon die Abgeordneten im Frankfurter Paulskirchenparlament 1848 zu Gruppen innerhalb des Parlaments zusammengefunden, um ihre Arbeit besser zu organisieren und ihre Interessen zu bündeln.

Fraktionen sind keine verlängerten Arme der jeweiligen Parteien, auch wenn sie meist genauso heißen wie diese. Und sie können den Abgeordneten, die sich ihnen angeschlossen haben, nicht vorschreiben, wie sie abzustimmen haben. Aber sie sind unerlässlich, damit das parlamentarische Getriebe funktioniert. Einer von rund 600 Abgeordneten ist relativ einflussarm. Aber wenn er seine Fraktion mit 50, 60 oder gar mehreren hundert Abgeordneten von seiner Auffassung überzeugen kann, dann sieht die Sache schon anders aus.

Arbeit in den Fraktionen

Anders als mit Arbeitsteilung in den Fraktionen ist die parlamentarische Arbeit kaum zu organisieren — schließlich tagen sämtliche der derzeit 22 Fachausschüsse am selben Tag, viele zur selben Zeit. Da kann nicht jeder überall sein, sondern muss als Experte stellvertretend für seine Fraktion sein Fachgebiet im Blick behalten. Genauso ist es sinnvoll, wenn nicht zu einem Thema alle rund 600 Abgeordneten sprechen, sondern die Fraktionen jeweils ihre Fachleute dafür auswählen. Anders wäre das Parlament schnell bei einer Selbstblockade angekommen.

Selbstverständlich sind nicht immer alle Mitglieder einer Fraktion einer Meinung. Deshalb gibt es innerhalb der Fraktionen faire Strukturen und Prozesse der Meinungsbildung. Der einzelne Abgeordnete wirkt innerhalb seiner Fraktion in verschiedenen Gremien mit, um sich mit Kollegen mit ähnlichen Interessen abzustimmen. Da gibt es Facharbeitsgruppen, regionale Landesgruppen, Strömungsgruppen, soziologische Gruppen. Und wenn die dann alle miteinander um die beste Haltung der Fraktion als Ganzes gerungen haben und die Fraktion intern darüber abgestimmt hat, dann erwarten alle, dass sich alle auch daran halten, wenn es im Bundestag zur Entscheidung kommt. Zumindest darf die Fraktionsführung verlangen, dass ein Abgeordneter, der von dem Beschluss abweichen will, das rechtzeitig signalisiert — damit die Kollegen in der Fraktion nicht überrascht sind, sondern sich darauf einstellen können. Bei näherem Hinsehen sieht der berühmte „Fraktionszwang” also ein wenig anders aus als oft beschrieben.

Der Abgeordnete steht somit ständig vor wichtigen Fragen: Wie setzt er den grundsätzlichen Willen seiner Wähler in praktische Politik um? Wie behält er den besten Kontakt zu seinen Wählern und erfährt, wie er am besten deren Einschätzung zu aktuellen Themen in Berlin repräsentieren kann? Wie findet er immer wieder auch eigene, neue Lösungen von Problemen in einer sich ständig verändernden Welt? Und wie behält er die innerliche Unabhängigkeit gegenüber dem, was von außerhalb und innerhalb des Parlaments an Einflussversuchen auf ihn einwirkt? Nur vier von vielen Spannungsfeldern, die die Arbeit der Abgeordneten buchstäblich spannend machen.

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Text: Gregor Mayntz
Erschienen am 18. Juni 2007

Weitere Informationen:

Mandat
Im Grunde heißt „Mandat” so viel wie „Auftrag”. Die Abgeordneten sind Mandatsträger, denn sie handeln im Auftrag der Wähler. Sie sind Beauftragte des Volkes. Das freie Mandat in den modernen demokratischen Verfassungen bedeutet, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen sind und keinen speziellen Weisungen zu folgen haben. Die Abgeordneten erhalten für ihre Arbeit im Bundestag ein Mandat auf Zeit. Es erlischt, wenn sich nach der nächsten Wahl ein neuer Bundestag konstituiert — es sei denn, das Mandat wurde durch Wiederwahl erneuert.

Immunität
Ein Abgeordneter darf nur mit Genehmigung des Bundestages wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen und verhaftet werden, es sei denn, dass er bei der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Auch jede andere Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten oder die Einleitung eines Verfahrens gegen ihn bedarf der Genehmigung des Bundestages. Strafverfahren sind auf Verlangen des Bundestages auszusetzen. Abgeordnete können nur mit Genehmigung des Bundestages strafrechtlich verfolgt werden. Die Strafverfolgungsbehörde muss über ein Ermittlungsverfahren gegen einen Abgeordneten den Bundestagspräsidenten informieren. Dieser leitet die Mitteilung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung weiter, der dem Plenum vor Anklagerhebungen oder Durchsuchungen einen Beschlussvorschlag unterbreitet.

Indemnität
Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seines Abstimmungsverhaltens oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse gemacht hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder in anderer Weise außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dieser Schutz gilt auch für Äußerungen in den Fraktionen oder in der Gruppe. Er gilt nicht für verleumderische Beleidigungen sowie für Äußerungen außerhalb des parlamentarischen Bereichs.

Fraktion
Mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Bundesland miteinander im Wettbewerb stehen, können eine Fraktion bilden. Schließen sich Mitglieder des Bundestages abweichend von dieser Regelung zusammen, so werden sie nur als Fraktion anerkannt, wenn der Bundestag zugestimmt hat.

Fraktionslos
Einzelne Abgeordnete, die keiner Fraktion oder Gruppe angehören, sind fraktionslos. Ihre Rechte sind gegenüber denen der Fraktionen begrenzt, auch das Rederecht im Plenum ist eingeschränkt. Sie können aber Geschäftsordnungsanträge stellen und Fragen zur schriftlichen oder mündlichen Beantwortung an die Bundesregierung richten. In den Ausschüssen können fraktionslose Abgeordnete als beratende Mitglieder mit Rede und Antragsrecht tätig werden, sich aber nicht an Abstimmungen beteiligen.

Geschäftsordnung
Die Geschäftsordnung des Bundestages regelt Funktionen, Rechte und Pflichten der Abgeordneten, der Ausschüsse, der Fraktionen, aber auch des Bundestagspräsidenten und des Ältestenrates. Es gibt Bestimmungen über die Einberufungen und Abläufe von Sitzungen sowie den Gang der Beratungen, insbesondere von Gesetzentwürfen im Plenum und in den Ausschüssen. Die Geschäftsordnung dient auch dem Ausgleich der Interessen zwischen den Fraktionen. Jeder neu gewählte Bundestag gibt sich eine Geschäftsordnung, so legt es Artikel 40 des Grundgesetzes fest. In der Regel übernimmt ein neuer Bundestag die Geschäftsordnung seines Vorgängers und verändert sie, wenn nötig, im Laufe der Wahlperiode.


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