Anna dachte, es wäre die Chance ihres Lebens - die Chance, ihrem tristen Leben in der Kleinstadt zu entkommen. Doch anstatt als Kellnerin in Spanien zu arbeiten, wurde die 18-jährige Russin mit einem gefälschten Reisepass nach Belgien gebracht, zur Prostitution gezwungen und an einen albanischen Menschenhändler verkauft, der sie nach Großbritannien brachte.
Schicksale wie Annas, jüngst zitiert auf einer Konferenz gegen Menschenhandel in Brüssel, sind nur eines von tausenden. Im Kampf gegen das Geschäft mit der Ware Mensch haben die Abgeordneten des Europa-Parlaments jetzt neue Strategien gefordert, um vor allem gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern vorzugehen.
"Menschenhandel zu sexuellen Zwecken zählt zu den sich am schnellsten ausbreitenden Straftaten im Rahmen des organisierten Verbrechens in der EU", schreibt die österreichische Abgeordnete Christa Prets (SPE) in ihrem mit überwältigender Mehrheit am 17. Januar vom Parlament angenommenen Bericht. Die EU-Staaten müssten daher schnellstens eine gemeinsame Anti-Menschenhandel-Politik auf die Beine stellen, um die Zahl der Opfer innerhalb der kommenden zehn Jahre zu halbieren. Etwa eine Million Menschen weltweit werden jedes Jahr über die Grenzen geschmuggelt, die Hälfte von ihnen landen als Sexsklaven oder billige Arbeitskräfte in Europa. Mehr als 80 Prozent der Opfer sind Frauen und Mädchen, von denen wiederum jede Dritte in der Prostitution landet. Jede zweite ist minderjährig. Die moderne Form der Sklaverei lohnt sich. Für viele kriminelle Gruppen ist das Geschäft mittlerweile lukrativer als der Handel mit Waffen oder Drogen. Menschen können schließlich immer wieder verkauft werden. Angaben der Vereinten Nationen zufolge bringt das Verbrechen 11 Milliarden Euro pro Jahr ein.
Als Hauptgründe des Menschenhandels nennt der Bericht die so genannte Verweiblichung der Armut und der Arbeitslosenrate sowie Gewalt und Diskriminierung von Frauen und Kindern. Nur mit mehr Chancengleichheit von Frauen lasse sich das blühende Geschäft mit Menschen verhindern und bekämpfen, fordern die EU-Parlamentarier. Eine EU-weite Datenbank über den Menschenhandel wäre ein erster Schritt im Kampf gegen das Verbrechen, so das Parlament. Regionale und nationale Beobachtungszentren sowie Koordinatoren müssten entsprechende Informationen sammeln und austauschen. Vor allem aber gelte es, die Chancen auf Bildung und Beschäftigung gerade für Frauen in allen Staaten der Union auszubauen.
Eine gemeinsame EU-Politik müsse nicht nur eine Rechtsbasis schaffen, um Menschenhändler einfacher verfolgen und bestrafen zu können, sondern auch Strafen für die Kunden minderjähriger Prostituierter vorsehen. EU-Beitrittsländer wie Bulgarien und Rumänien sollen darüber hinaus Geld aus Brüssel erhalten, um langfristige Strategien zur Prävention des Menschenhandels entwickeln zu können.
An Deutschland ging der Appell des EP, sich im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft 2006 gegen Menschenhandel und erzwungene Prostitution stark zu machen. Die deutsche Rotlichtszene bereitet sich schon auf einen Ansturm der Freier vor. Experten schätzen, dass etwa 40.000 Frauen aus Osteuropa zur WM anreisen. Und viele von ihnen werden nicht freiwillig nach Deutschland kommen.
Die Mitgliedstaaten sollten zudem ihre Visapolitik überprüfen, damit Missbrauch verhindert und verringert wird, so die EU-Abgeordneten. Jedoch betonten sie den Zusammenhang zwischen Menschenhandel und legaler und illegaler Immigration. Gerade die Chance, legal in ein EU-Land einzuwandern, sei ein wichtiges Mittel, um den weltweiten Menschenhandel einzudämmen.