Marschalls einführendes, kompaktes Lehrbuch bietet zum Thema Parlamentarismus reichlich Anschauungsmaterial. Grafiken, Auswahlliteratur, Links, Wiederholungsfragen und präzise Zusammenfassungen machen aus dem Lehrbuch eine didaktisch aufbereitete Lerneinheit für jeden kommenden Parlamentarismus-Forscher.
Im ersten Kapitel legt Marschall die Grundlagen, in dem er die theoretischen und empirischen Wurzeln des Parlamentarismus entfaltet. Begriffs- und Ideengeschichtlich erfolgt ein Streifzug durch die Repräsentationslehre. Im zweiten Kapitel stehen Struktur und Organisation von Parlamenten im Mittelpunkt. Wie organisiert sich ein Parlament? Und wie arbeiten überhaupt Parlamentarier?
Ein Funktionskatalog wird im dritten Kapitel ausgebreitet. Die Parlamentarismusforschung ist sich keineswegs einig, welche Funktionen ein Parlament haben sollte, das auch den Namen zu Recht verdient. Das Kapitel mündet in eine Typenbildung. Originell schließt sich das vierte Kapitel an, denn hier wird das Thema Parlamentarismus unterhalb und oberhalb des Nationalstaates problematisiert.
So kann man sich auch mit den Vor- und Nachteilen gängiger Klischees gegenüber dem veralteten oder postmodernem Parlamentarismus auseinandersetzen. Am Funktion- und Ideenkatalog kann der Autor kommunalpolitische Parlamente ebenso einordnen wie das Europäische Parlament.
Selbstverständlich darf die klassische Parlamentarismuskritik nicht fehlen. Die Kritik ist so alt, wie Parlamente existieren. Kritische Ansätze, die im fünften Kapitel zusammengestellt werden, argumentieren damit, dass die Idee des Parlamentarismus zwar gut sei, die Wirklichkeit der Institution jedoch versagt habe. Klassisch sind auch die Kritikpunkte, die eine Übermacht der Parteien und somit ein Unverständnis für die Organisationswirklichkeit des modernen Parlamentarismus ins Zentrum rücken.
Der abschließende Abschnitt erörtert eine neoparlamentarische Perspektive. Sind Parlamente immer noch lernende Organisationen? Marschall kann sich keine alternative Form demokratischer Legitimation anstelle des Parlamentarismus vorstellen. Demokratie in Flächenstaaten scheint auf Parlamente nicht gänzlich verzichten zu können.
Andererseits macht er auch deutlich, woran konkret das Unzeitgemäße der wahrgenommenen Parlamente heute besteht. Doch für Marschall überwiegen, nach Abwägung aller Argumente, die Vorteile des Parlamentarismus. Transparenz, Vermittlung zwischen Regierenden und Regierten, Minderheiten, die ein Sprachrohr erhalten - wer außer den Parlamenten sollte diese wichtige Funktionen erfüllen?
Nach dem einführenden Grundkurs wird klar, dass Parlamente auch zu pflegen sind, um eine Demokratie am Leben zu erhalten. Nuancierte Stilwechsel im Umgang mit der Organisation könnte da bei vielen Mandatsträgern schon zur Verbesserung von parlamentarischer Wirkung führen. Wer beispielsweise erst im Parlament und nicht gegenüber Medienvertretern Neuigkeiten ausbreitet, wird nicht nur höhere Aufmerksamkeit für das Parlament erreichen, sondern auch professionelle Parlaments-Korrespondenten zur Bestform provozieren.
Wenn das Parlament sowohl der Ort der Darstellungs- als auch der Entscheidungspolitik ist, dann verändert sich nicht nur die Wahrnehmung dieser Körperschaft. Langfristig verändern sich dann auch die Rekrutierungsprozesse der Parlamentarier. Marschall kann somit durch seine systematische Einführung Nachdenklichkeit provozieren, die auf elementare Demokratiefragen zielt.
Stefan Marschall
Parlamentarismus. Eine Einführung.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden 2005; 350 S.,21,90 Euro