Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. Februar das Luftsicherheitsgesetz für nichtig erklärt. Damit ist zwar ein umstrittenes Rechtsproblem gelöst, Karlsruhe hat aber nicht über erweiterte Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr zum Schutz vor terroristischen Anschlägen entschieden. Insoweit sieht Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) weiterhin Handlungsbedarf. Für den Fall, dass nur Streitkräfte über erforderliche Fähigkeiten verfügten, müsse über eine Verfassungsänderung nachgedacht werden, forderte der SPD-Abgeordnete Jörn Thießen. Diese Einschätzungen teilen nicht alle Parlamentarier.
In einer von der FDP beantragten Aktuellen Stunde am 17. Februar zur Haltung der Bundesregierung zum Karlsruher Urteil warnte Hans-Christian Ströbele (Grüne) vor erneuten Versuchen, den Streitkräften weitere Befugnisse im Inneren zu übertragen. Nach dem Richterspruch seien derartige Vorhaben "arrogant und tollkühn", so Petra Pau (Die Linke). Ernst Burgbacher (FDP) forderte ein Ende der "Phantomdiskussion" über Einsätze der Bundeswehr bei der Fußball-WM.
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts dürfen von Terroristen als Waffe missbrauchte Flugzeuge nicht von der Luftwaffe abgeschossen werden. Für den Fall, dass Luftfahrzeuge gegen Menschenleben eingesetzt werden sollen, hatte das Gesetz den Abschuss als letztes Mittel gestattet. Selbst wenn sich ausschließlich Terroristen in der "fliegenden Bombe" befänden, verstoße ein Einsatz der Streitkräfte gegen das Grundgesetz. Nach Auffassung der Karlsruher Richter lässt es die Verfassung bisher nicht zu, die Bundeswehr im Inneren mit militärischen Mitteln gegen Terroristen einzusetzen. Das vom Bundestag im Sommer 2004 mit rot-grüner Regierungsmehrheit verabschiedete Luftsicherheitsgesetz hatte den Einsatz der Streitkräfte auf die Verfassungsbestimmungen zur Katastrophenhilfe gestützt. Diese gestatten es schon heute, die Bundeswehr innerhalb Deutschlands zur Unterstützung der Polizei bei besonders schweren Unglücksfällen heranzuziehen. Allerdings - so das Karlsruher Urteil - seien von dieser Kompetenz keinesfalls Kampfeinsätze gedeckt: "Militärische Kampfmittel, beispielsweise die Bordwaffen eines Kampfflugzeugs, dürfen nicht zum Einsatz gebracht werden."
Die Abschussermächtigung des Luftsicherheitsgesetzes scheiterte in Karlsruhe aber nicht nur an fehlenden verfassungsrechtlichen Kompetenzen. Das Gericht stellte zudem einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben in Verbindung mit der Garantie auf Menschenwürde fest, wenn das abzuschießende Flugzeug nicht nur mit Terroristen, sondern auch mit unbeteiligten Passagieren und Bordpersonal besetzt ist. Unter der Geltung der Grundrechte sei es "schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen vorsätzlich zu töten".
Auch wenn die Abschussbefugnis darauf abziele, unzählige weitere Menschenleben am Boden zu retten - der Staat dürfe das Leben Unschuldiger keinesfalls opfern. Selbst wenn feststehe, dass die unbeteiligten Insassen ohnehin dem Tode geweiht seien, verbiete sich ein Abschuss. Wegen der grundgesetzlichen Ewigkeitsgarantie für den Schutz der Menschenwürde wäre die gezielte Tötung Unschuldiger auch mit einer Verfassungsänderung nicht regelbar.
Sollte die Anschlagsgefahr aber von einer ausschließlich mit Terroristen besetzten "fliegenden Bombe" ausgehen, sei in der Abschussbefugnis kein Grundrechtsverstoß zu sehen, betonten die Richter. Insoweit verstoße das Luftsicherheitsgesetz lediglich gegen die tradierten restriktiven Vorgaben des Grundgesetzes zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Das Gericht gab zu bedenken, dass ein derartiges Bedrohungsszenario durchaus eintreten und der Abschuss des Flugzeugs durch die Luftwaffe dann Menschenleben retten könnte - ein Fingerzeig an den Gesetzgeber, den Einsatzrahmen der Streitkräfte durch eine Verfassungsänderung zu erweitern.