Das Parlament: Herr Otto, Ihre Homepage ist geradezu vorbildlich. Sind Sie unter Deutschlands Politikern eher die Ausnahme oder die Regel?
Hans-Joachim Otto: Es ist mittlerweile sicherlich die Regel, dass Abgeordnete das Internet nutzen um mit Wählern und Parteimitgliedern zu kommunizieren. Ich persönlich kenne keinen einzigen, der das nicht tut - wenn auch manchmal etwas widerwillig. Ich zwinge auch niemanden stundenlang im Netz zu surfen. Aber es ist völlig klar: Ein Politiker, der sich dem Internet entzieht, wird scheitern.
Das Parlament: Wie öffnen sich Bundestag, Landtage und Parteien nach Ihrer Beobachtung dem Internet?
Hans-Joachim Otto: Sagen wir es so: Sie sind alle drei in Bewegung geraten. Aber sie marschieren nicht an der Spitze der Bewegung, sondern werden von ihr getrieben - manchmal auch unfreiwillig.
Das Parlament: Sehen die Parteien das politische Treiben im Netz vielleicht als Konkurrenz oder gar Bedrohung?
Hans-Joachim Otto: Für die Parteien ist das Netz nach meiner Überzeugung keine Bedrohung, sondern eine Möglichkeit um Interesse an Politik zu fördern und mehr Transparenz und damit Vertrauen herzustellen in das, was wir Politiker tun. Insofern halte ich das Netz eher für förderlich. Was speziell die Liberalen angeht: Mittlerweile finden 50 Prozent unserer neuen Mitglieder über das Internet zu uns. Dabei ist das Engagement der FDP für das Netz nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus der Not geboren. Wir haben weniger Geld und Personal als die beiden großen Volksparteien und die Möglichkeiten der neuen Medien erweitern unseren Handlungsspielraum.
Das Parlament: Welchen Stellenwert nimmt die politische Auseinandersetzung im Netz ein?
Hans-Joachim Otto: Sie ist eine sehr effektive Ergänzung zu den klassischen Instrumenten des politischen Diskurses, nicht aber ein Ersatz. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das Internet ersetzt nicht persönliche Begegnungen an Infoständen oder in Bürgerhäusern. Ich veröffentliche nach wie vor Presseerklärungen, gebe Interviews oder gehe im Wahlkampf in Saalveranstaltungen. Aber das Netz bietet faszinierende Möglichkeiten. Ich kann als Politiker ungefiltert kommunizieren. Qualitativ ist das eine Revolution. Eine ganz entscheidende Entwicklung der letzten Jahre sind die Weblogs. Sie sind ganz sensible Seismografen für Strömungen, Tendenzen oder auch Gefahren. Mittel- bis langfristig könnten sie eine ernsthafte Alternative zu den klassischen Umfragen werden.
Das Parlament: Gehören Sie zu den überzeugten Bloggern?
Hans-Joachim Otto: Absolut. Wenn mir etwas einfällt, dann äußere ich mich, gebe persönliche Anregungen, erkläre Fakten und Hintergründe zu einem bestimmten Thema, zum Beipiel, wenn es um die Verfassungsklage gegen die Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordenten geht, an der ich ja auch beteiligt bin. Ich habe zu meinem Mitkläger Friedrich Merz sofort gesagt: "Das ist ein Klassiker, wo wir ins Internet gehen müssen." Leider schaffe ich das nicht wöchentlich, sondern nur drei- bis viermal im Monat. Blogs geben mir die Chance sehr viel schneller eine große Zahl von Menschen zu erreichen. Und andere können sich an dem Gespräch beteiligen, so dass man ganz schnell in einer Art Schneeballsystem ein breites Meinungsspektrum bekommt.
Das Parlament: Kann man über Blogs Kampagnen schmieden?
Hans-Joachim Otto: Kampagnen schmiedet man im Internet eher über E-Mails. Das habe ich auch schon getan. Ich sehe das Netz weniger als ein Mobilisierungsmedium als ein Vertiefungsmedium. Und die Regel ist noch immer: wer Kampagnen will, der wendet sich an die Bildzeitung.
Das Parlament: Wie schätzen Sie denn die Zukunft der klassischen Medien ein?
Hans-Joachim Otto: Das Internet wird den Zeitungen Konkurrenz machen, aber es wird sie nicht überflüssig machen. Dennoch beobachte ich in Gesprächen mit Bürgern einen immer stärkeren Trend sich online zu informieren statt in Zeitungen. In ein bis zwei Jahren, schätze ich, wird die Bedeutung des Internet überwiegen.
Das Parlament: Inwieweit beeinflussen die Internet-Kontakte Sie in Ihren politischen Entscheidungen?
Hans-Joachim Otto: Ich gebe meine Willensbildung nicht im Netz ab. Ich bringe noch immer den Mut auf an Entscheidungen festzuhalten, auch wenn sie sich gegen die Stimmung richten, die mir übers Internet vermittelt wird. Aber ich differenziere und modifiziere meine Entscheidungen. Insofern ist meine Politik natürlich auch vom Netz geprägt, sie ist aber nicht vom Netz abhängig.
Das Parlament: Ist es nicht lästig, wenn sich über das Internet jeder - auch der Laie - politisch artikulieren kann?
Hans-Joachim Otto: Im Gegenteil. Die FDP wünscht das ausdrücklich. Wir wollen die Chance nutzen mit Millionen Menschen, vornehmlich jungen Leuten, Kontakt aufzunehmen. Natürlich bilde ich mir nicht ein, jeden bis zum letzten Bürger, der täglich vier Stunden vor dem Fernseher sitzt, zu erreichen.
Das Parlament: Birgt das Netz die Chance zu mehr direkter Demokratie?
Hans-Joachim Otto: Wenn Sie unter direkter Demokratie die Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen und Mitwirkung bei der Meinungsbildung meinen, kann man die Frage bejahen. Wenn jedoch gemeint ist, dass Bürger selbst entscheiden können, lautet die Antwort nein. Die Entscheidungen des Bundestages sind wie sie sind und das Internet wird an unserer repräsentativen Demokratie nichts ändern.
Die Fragen stellte Jutta Witte
www.hans-joachim-otto.de