Die im Mai 2005 abgeschlossene Studie wurde vom Bundestag in Auftrag gegeben und vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) erstellt. Dazu nahmen die Wissenschaftler unter anderem die Internet-Angebote von Regierung und Parlament in Deutschland und Großbritannien sowie die Online-Auftritte einzelner Abgeordneter unter die Lupe: "Wir haben viel Licht, aber auch viel Schatten gefunden", berichtet der Politikwissenschaftler Christopher Coenen, der die Untersuchung mit verfasst hat.
Gute Noten gab es für die Internet-Angebote des Bundestags, die nach Meinung der Experten schon seit den 90er-Jahren zur internationalen Spitze gehören. Besonders sei das Jugendforum Mitmischen.de hervorzuheben, mit dem Jugendliche für Politik begeistert werden sollen. "Ein innovatives Projekt, das international Anerkennung gefunden hat", sagt Coenen. Verbesserungswürdig seien dagegen das "Online-Forum" und die "Online-Konferenzen" unter Bundestag.de, die eher selten und nicht optimal genutzt würden.
Unzufrieden sind die Forscher auch mit einer Reihe von Angeboten von Bundesregierung und Ministerien. Zu oft hänge die Qualität davon ab, ob ausreichend Personal vorhanden sei: "Technisch sind viele Online-Diskussionsangebote ausgezeichnet", erklärt Coenen. "Aber die Betreuung und die Auswertung lassen zu wünschen übrig." Auch an der Rückkopplung mangele es: "Wenn nicht zu erkennen ist, dass die Beiträge der Bürger auch tatsächlich von der Politik zur Kenntnis genommen werden, schreckt man selbst die Interessiertesten ab." Online-Debatten dürften deshalb nicht einfach im Sande verlaufen oder mit einem knappen "Vielen Dank" geschlossen werden. "Deshalb sagen wir: Weniger ist mehr." Bei begrenzten Personalressourcen, so Coenen, solle sich die Politik auf wenige Modell-Projekte mit höchsten Ansprüchen konzentrieren und es ansonsten bei einer Art Internet-Grundversorgung belassen. "Dann muss man dem Bürger eben erklären, dass nicht mehr drin ist."
Eines dürfe man ohnehin nie vergessen: "Repräsentativ sind Ergebnisse von Online-Diskussionen sicher nicht", sagt Christopher Coenen. Schließlich werde immer nur der Internet-affine Teil der Bevölkerung angesprochen. "Und selbst innerhalb dieser Gruppe ist die Zahl derer, die sich aktiv beteiligen, ziemlich klein." Bei einer typischen Online-Diskussion sei es schon relativ viel, wenn sich eine dreistellige Zahl von Nutzern zu Wort melde. Ende der 90er-Jahre, auf dem Höhepunkt der Internet-Euphorie, wurde von einer Wiederbelebung antiker Demokratie-Ideale geträumt. Das Internet könne dafür sorgen, dass jede Stimme gehört werde, hieß es seinerzeit. "Doch noch immer ist die politische Nutzung des Internet die Sache einer sehr kleinen Minderheit." Mit großen Veränderungen sei allenfalls dann zu rechnen, wenn Elemente der direkten Demokratie eingeführt würden. "Aber die Tendenz geht in eine andere Richtung: Bei allen Bemühungen geht es um einen besseren Austausch zwischen Politikern und Bürgern. Aber stets im Rahmen der repräsentativen Demokratie", sagt Coenen.
Wann lohnt es sich für die Politik, in Internet-Debatten zu investieren? "Wenn man eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ansprechen will, um deren Probleme und Ansichten kennenzulernen", antwortet der Fachmann. Dies zeigen nach seiner Ansicht etwa die Online-Anhörungen des britischen House of Commons, die Coenen in vielerlei Hinsicht für vorbildlich hält: In einem Fall sollten Frauen, die sich an einem Online-Forum für Opfer häuslicher Gewalt beteiligten, von ihren Erfahrungen berichten. Sie wurden via Internet zugeschaltet, während der zuständige Aussschuss tagte. Auf diese Weise, so Coenen, sei ein Dialog mit Betroffenen zustande gekommen, die sich sonst wahrscheinlich nie an die Öffentlichkeit gewandt hätten. Hierzulande würden vor allem Fachforen mit Erfolg eingesetzt, in denen sich ein kleiner Kreis von Experten zusammen findet und diskutiert. Bei Fragen zum IT-Einsatz in Verwaltungen habe sich dies bereits bewährt.
Mehr noch: Zur Bundestagswahl 2005 entdeckten zahlreiche Abgeordnete das Internet als einen weiteren Kanal, um mit Bürgern und Wählern in Kontakt zu kommen. "So lässt sich die häufig beklagte Distanz zum so genannten einfachen Bürger überwinden", sagt Coenen. "Das ist eine große Chance." Diese werde jedoch vertan, wenn authentische Inhalte fehlten: In vielen Politiker-Weblogs mangelt es nach Beobachtung des Experten an persönlichen Einträgen. Stattdessen würden sie von den Parteizentralen mit austauschbaren Inhalten bestückt. Nutzer hätten solche Angebote jedoch mit Missachtung bestraft oder gar mit Kritik überzogen.
Und wie steht es um die den Dialog zwischen Berufspolitikern und so genannten einfachen Netz-Bürgern? "Man kann schon sagen, dass da zwei Welten aufeinander prallen", sagt Coenen. "Der Politiker steckt in lauter Zwängen und muss sich dreimal überlegen, was er sagt oder im Internet hinterlässt." Die Netz-Kommunikation werde dagegen immer spontaner und sei oft von einer ironischen, sarkastischen oder gar polemischen Sprache geprägt. Ein Problem ist dies aber offenbar nicht: "Die Politiker, die an Online-Diskussionen teilnehmen, sind mit dem Internet inzwischen so vertraut, dass sie die Kluft überbrücken können."
Entschieden wenden sich die Verfasser der Studie gegen Stimmen, die Online-Kommunikation als "bedeutungsloses Rauschen" abtun. Zwar sei solcher Pessimismus nach dem Zusammenbruch der New Economy geradezu en vogue gewesen. Inzwischen gewinne die politische Netzöffentlichkeit aber eindeutig an Bedeutung. Auf den verschiedenen Politikebenen sei mit weiteren spannenden Innovation zu rechnen. www.bundestag.de
Armin Grunwald, Gerhard Banse, Christopher Coenen,
Leonhard Hennen
Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie - Tendenzen
politischer Kommunikation im Internet.
Edition Sigma - Studien des TAB; Berlin 2006, 264 S., 22,90
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