Dass ausgerechnet ein Mann aus dem Norden Europas, der Finne Erki Liikanen, als ehemaliger EU-Kommissar zuständig für die Informationsgesellschaft schon 1999 die e-europe-Initiative startete, verwundert nicht. Glänzt doch das Land der 1.000 Seen nicht nur als Standort für Europas Mobilfunkinnovationen à la Nokia, sondern zählt auch zu den EU-Ländern mit der höchsten Internet-Anschlussrate in Europa.
Von Liikanen übernahm die Luxemburgerin Viviane Reding im November 2004 das Staffelholz. Der gelernten Journalistin obliegt in der EU-Kommission seither die Zuständigkeit für die Informationsgesellschaft und Medien. Ihre Vision lautet "i2010" und liefert den Masterplan für eine europäische Informationsgesellschaft. Er soll sie uneingeschränkt und flächendeckend verwirklichen - bei E-Government und öffentlicher Verwaltung ebenso wie in Bereichen wie Bildung und Gesundheit.
"Der Erfolg des E-Government hängt wesentlich davon ab, ob es uns gelingt die EU-Bürger wirklich in den Mittelpunkt zu stellen", unterstrich Reding Mitte Februar beim E-Government-Kongreß in Wien. Ihr Credo: Um mit den technischen Möglichkeiten des Internets Herz und Verstand der EU-Bürger zu erreichen, bedürfe es vor allem des Vertrauens und einem uneingeschränkten Internet-Zugang für alle Nutzer. "Hier müssen wir bei der digitalen Durchdringung im Jahre 2006 deutlich vorankommen."
Von einer flächendeckenden Versorgung beim Internet-Zugang oder Breitbandanschlüssen ist die EU noch weit entfernt. Zwar verfügten im Jahre 2004 erstmals 43 Prozent der EU-Haushalte über einen Internet-Anschluss. Zwischen den einzelnen Ländern gibt es jedoch erhebliche Unterschiede. In den Mitte März vom EU-Statistikamt Eurostat herausgegebenen Daten zur "Telekommunikation in Europa" offenbart sich die Unterschiedlichkeit. Während Island mit 81 Prozent nicht mehr weit von einer Internet-Vollversorgung entfernt ist, bilden Lettland mit zwölf Prozent, Ungarn und Litauen mit 14 beziehungsweise 15 Prozent die Schlusslichter in der EU. In den Kandidatenländern Rumänien (sechs Prozent), Türkei, (sieben Prozent) und Bulgarien (zehn Prozent) verfügt kaum jeder Zehnte über einen Internet-Zugang. Mit 60 Prozent liegt Deutschland gleich auf mit Norwegen in der Spitzengruppe. Nur die Niederlande (65 Prozent) und Dänemark (69 Prozent) warten mit höheren Werten auf. Bei der EU-weiten Aufholjagd ist eine hohe Anschlussdichte an das Internet mit dem beschleunigten Ausbau von Breitbandnetzen eng verknüpft.
Im Juli 2005 wiesen die Niederlande (22,4 Prozent) und Dänemark (22 Prozent) die höchsten Anschlussdichten bei den Breitbandverbindungen in Relation zur Bevölkerung auf. Der EU-Durchschnitt liegt bei 10,6 und Deutschland bringt es auf einen Wert von 10,2 Prozent. Beim Nutzungsgrad der Haushalte hingegen liegen die Dänen mit 36 Prozent vor den Niederlanden mit 31 Prozent. Im Brennpunkt steht zur Zeit das Breitband-Internet. Das sind schnelle Internet-Zugänge, deren Bandbreite groß genug ist, um auch vollwertige Fernsehprogramme zu empfangen. Das Zauberwort heißt hierbei "Triple-Play": die Kombination von TV- und Hörfunkempfang, Telefonie und Internet. Absehbarer Nebeneffekt: Das bisherige Festnetz verliert durch den Vormarsch des Mobilfunks und die aufkommende Internet-Telefonie zunehmend an Bedeutung. "Nun droht mit neuen breitbandigen Diensten eine Zwei-Klassen-Gesellschaft", fürchtet Professor Hans-Jürgen Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. Die einen - vor allem in den Großstädten - bekommen Zugang zu den Hochgeschwindigkeitsdatennetzen, die andern auf dem Land müssten sich mit den schmalbandigen Holperstrecken begnügen.
Bullinger: "Eine digitale Spaltung der Nation dürfen wir nicht zulassen." Genau dies versucht derzeit der dem verschärften Wettbewerbsdruck ausgesetzte global player aus Bonn, die deutsche Telekom. Mit einem Aufwand von 3,3 Milliarden Euro zum Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes VDSL bemüht sich der Telekommunikationsriese um grünes Licht bei Bundeskanzlerin Angela Merkel für 50 ausgesuchte Städte zur Vollversorgung mit superschnellen Breitbandleitungen. Die Kanzlerin steht dem Vorhaben offenbar positiv gegenüber, was die Brüsseler Wettbewerbshüter der EU-Kommission auf den Plan ruft. Auf Druck der EU-Kommission hatte die Bundesnetzagentur als deutscher Regulierer VDSL Ende 2005 den übrigen Breitbandangeboten am Markt gleichgestellt. Beim Ausbau der Netzinfrastruktur will Brüssel den Monopolisten von gestern keine neuen Monopole im privatisierten Gewand zugestehen.
Eine derartige "Rosinenpickerei" würde nach Ansicht der Brüsseler Behörde Wettbewerber auf dem flachen Land konkurrenzlos ins Hintertreffen bringen. Im Mai will Reding einen Entwurf für einen Rechtsrahmen für die EU-Telekomunikationsstruktur vorlegen. Die Bonner Telekom fürchtet nun eine allzu einengende Brüsseler Regulierung. Auch das Fernsehen in Europa werde mobil und benötige daher einen paneuropäischen politischen Ansatz, spricht sich die Kommissarin für einheitliche EU-Internet-Standards aus. Frankreich prescht in der technologischen Entwicklung bereits voran. France Telecom startet mit einen Feldversuch für ein Hochgeschwindigkeits-Glasfaser-Netz schon in diesem Jahr. Bis Sommer sollen mehrere tausend Haushalte in sechs Stadtbezirken von Paris und sechs Städten des Departement Hautes de-Seine superschnelle Glasfaseranschlüsse erhalten. Dabei soll die neueste "Fiber-to-the-home-Technik" (FTTH) zur Anwendung kommen mit Übertragungsraten von 100 Megabit pro Sekunde. Der französische Markt ist bei der Ausbreitung des schnellen Webs Trendsetter und droht Deutschland abzuhängen.
So hat der linksrheinische Nachbar mit der ADSL2 plus-Technik mit Übertragungsraten von 24 Megabit pro Sekunde die deutsche Telekom bereits überholt. In die VDSL-Technik mit Übertragungsraten bis 50 Megabite zu investieren, wie die Telekom beabsichtigt, will Frankreich erst gar nicht versuchen, sondern setzt bedingungslos auf FTTH. Beiden, sowohl der deutschen Telekom, als auch der französischen Telecom macht die unaufhaltsam auf dem Vormarsch befindliche Internet-Telefonie das Leben schwer. Die Mittel für einen milliardenschweren Netzausbau von Oberbayern bis Mecklenburg-Vorpommern fehlen ebenso wie die Vollversorgung in der französischen Picardie oder der dünn besiedelten Haute-Provence zu finanzieren. Schöne neue digitale Zukunft Europas. Aber nur für die Reichen und Schönen des Kontinents?
Brüssels oberste Hüterin der Informationsgesellschaft, Viviane Reding, will dies nicht zulassen. Ihre Losung lautet: Informationsgesellschaft für alle und uneingeschränkte Interoperabilität. Und dies nicht nur für privilegierte Regionen: "Soziale, ökonomische und ethische Gründe sprechen dafür, auch den 90 Millionen EU-Bürgern moderne IuK-Technologien uneingeschränkt nutzbar zu machen, die derzeit noch nicht von der Informationsgesellschaft profitieren können", hob Reding hervor.
Der Autor ist Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.
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