Die Zeit der Unterschriftlisten ist zwar noch nicht vorbei. Doch wer heute politischen Protest organisiert, geht zusätzlich ins Internet: Rund 8.000 Bürger haben seit Ende 2004 bei "Campact - Demokratie in Aktion.de" politisches Engagement per Mausklick gezeigt.
Campact, zusammengesetzt aus "to campaign" und "to act", ist offiziell seit November 2004 im Netz. Der große Bruder, an dem sich die deutschen Macher orientiert haben, ist die amerikanische MoveOn-Bewegung. Der Wunsch der Gründer der deutschen Kampagnenseite, der 33-jährige Christoph Bautz und der 34-jährige Günter Mezges: "Wir machen uns für eine sozial gerechtere, ökologisch nachhaltigere und friedlichere Gesellschaft stark."
Fünf Minuten reichen, um mitzumachen. Soviel Zeit, verspricht die Ankündigung auf der Website, ist erforderlich, um sich zumindest in die wichtigsten Punkte der jeweiligen Kampagnen einzulesen. Mit einem weiteren Klick können dann vorformulierte Mails verschickt werden. Doch wer mehr möchte als ein Häppchen Information, kann sich auch stundenlang mit dem angebotenen Material beschäftigen. Zu jeder Kampagne bietet das "Logbuch" aktuelle Informationen, ein Newsletter hält Interessenten dauerhaft auf dem Laufenden und bei der Stange, und ein Pressespiegel zeigt, was die Medien über dieses Thema berichten. Bei der Kampagne "Gentechnik-Angriff stoppen" stellten die Campact-Macher zusätzlich die Bundestagsdebatten und den Gesetzentwurf ins Netz. Antworten der Politiker werden ebenfalls veröffentlicht.
Mit ihrer ersten Aktion, nur wenige Tage nach dem Seiten-Start, setzte sich Campact für einen Volksentscheid zur EU-Verfassung ein. Doch trotz massiver Mail-Protestflut an den heutigen Arbeitsminister und damaligen SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering lehnten die Sozialdemokraten den Volksentscheid ab. Das amerikanische Vorbild konnte sich beim Start besser positionieren: Die erste MoveOn-Aktion war ein Aufruf, sich lieber mit Politik statt mit der Lewinsky-Affaire des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton zu befassen. Innerhalb nur eines Monats unterstützten 100.000 Amerikaner bereits den Appell. Heute, acht Jahre nach der Gründung, meldet MoveOn mehr als drei Millionen Mitglieder und erhielt im vergangenen Jahr 9 Millionen Dollar Spendengelder.
Von solchen Zahlen ist Campact noch weit entfernt. Von den 90.000 Euro Anschubfinanzierung, die Christoph Bautz zur Gründung überwiegend "von guten Freunden aus dem Umfeld der Bewegungsstiftung" einsammelte, wurden bereits für die ersten vier Kampagnen exakt 33.463,75 Euro ausgegeben, wie die Finanzübersicht detailliert ausweist.
Rund 19.000 Euro gab es an Kleinspenden im vergangenen Jahr und weitere knapp 31.000 Euro flossen durch Fördermitgliedschaften und Großspenden in die Kampagnen-Kasse. "Zu wenig", sagt Bautz. Mindestens verdreifachen müsste sich das Kleinspendenaufkommen, um dem mittlerweile fünfköpfigen Team nicht nur sein Auskommen zu bieten, sondern auch weitere Kampagnen zu ermöglichen. Dabei stellt Bautz aber klar, dass nicht jeder Spender unbedingt willkommen ist. Unabhängig wollen die Akteure bleiben und auf gar keinen Fall möchten sie von Konzernen Geld oder gar öffentliche Mittel in Anspruch nehmen.
Drei bis vier Kampagnen parallel kann das Team derzeit bewältigen. Zurzeit kann sich jeder gegen die vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer im kommenden Jahr aussprechen: "Mehrwertsteuer? Finger weg!". Die Aktion hat bislang den geringsten Zuspruch. Seit Kampagnenstart im November 2005 bis Anfang März dieses Jahres gingen dazu 1.784 Mails an Bundestagsabgeordnete. Im September vergangenen Jahres wurde die Aktion "ausgestrahlt: Gegen ein Comeback der Atomenergie" ins Netz gestellt. Knapp 11.000 Mails schickten Campact-Unterstützer in den ersten fünf Monaten an die Atomkraft-Befürworter unter den Ministerpräsidenten. Mitte Januar startete die Aktion "Gentechnik-Angriff stoppen". In den ersten drei Monaten bekam der Bundeslandwirtschaftsminister mehr als 5.000 E-Mails.
Welche Kampagnen auf die Website gestellt werden, entscheidet das Campact-Team. Nicht ganz basisdemokratisch, wie Christoph Bautz einräumt: "Wir haben uns für Schnelligkeit entschieden." Eine Diskussion aller Teilnehmer würde die Kampagnen schon lahm legen, bevor sie gestartet sind. Dennoch wird selbstverständlich darauf geachtet, "was die User dazu sagen", denn schließlich will Campact nicht an seiner Basis vorbei agieren. Neben dem Arbeitsteam gibt es einen hochkarätigen Beirat, dessen Wissen ebenso hinzugezogen wie die Unterstützung befreundeter Organisationen gerne angenommen wird - von Attac bis Transparency International, BUND oder Gewerkschaften. Da wird "kooperiert" und im Team gearbeitet. Schließlich lautet der Anspruch der Campacter, ihre Kampagnen gut zu recherchieren und nur fundierte Forderungen aufzustellen.
Dass sich gegenüber dem amerikanischen Vorbild zur Zeit die deutschen Zahlen noch kärglich ausnehmen, hat neben kulturellen Unterschieden für Bautz auch noch einen ganz handfesten Grund: "Die haben mit der Lewinsky-Affaire und danach mit dem Irak-Krieg den Nerv getroffen." Wenn Campact ein ähnlich emotionales Thema aufgreift, ist sich Bautz sicher, dann wird sich auch in Deutschland die Idee der politischen Teilhabe via Internet sehr schnell weiter entwickeln.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.